Der 19-jährige Esslinger Marvin Puchmeier starb beim Abbau nach einem Konzert in der Stuttgarter Schleyerhalle. Eine Profikletterer stürzte aus 17 Metern auf ihn, als er Arbeiten am Boden erledigte. Haben die beteiligten Unternehmen gegen die Sicherheitsvorschriften verstoßen?

Stuttgart - Die Gewerkschaften beklagen die hohe Zahl an Arbeitsunfällen und Toten, weil auf Baustellen und in den Betrieben der Arbeitsschutz missachtet würde. Allein in Baden-Württemberg gab es im vergangenen Jahr 70 Tote zu beklagen, davon vier in Stuttgart. Einer ist Marvin Puchmeier, er gibt diesen Zahlen ein Gesicht.

 

Der 19-jährige Esslinger besserte als Bühnenhilfsarbeiter (Stagehand) in der Schleyerhalle sein Taschengeld auf, als am 21. Februar 2017 kurz vor Mitternacht ein Profikletterer (Rigger) aus 17 Metern Höhe abstürzte und auf ihn fiel. Marvin Puchmeier verstarb rund eine halbe Stunde später. Er hatte am Boden für die US-Metal-Band „Avenged Sevenfold“ zuvor abgelassene Traversen für den Abtransport vorbereitet. Der Verursacher überlebte schwer verletzt, kürzlich hat man ihn zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte zwar einen Auffanggurt getragen, war aber nach Ansicht der Berufsgenossenschaft ETEM (Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse) zum Unfallzeitpunkt nicht gesichert gewesen.

Der Vaters des Unfallopfers fordert Schadenersatz

Damit ist der Fall aber nicht erledigt – und das liegt nicht nur daran, dass Marvins Vater Ralf Puchmeier als Nebenkläger Berufung eingelegt hat. Die Staatsanwaltschaft bestätigte auf Anfrage unserer Zeitung, sie prüfe, ob weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet würden. Gegen wen, sagt sie „aus ermittlungstaktischen Gründen“ nicht. Legt man aber die Beurteilung der BG ETEM zugrunde, könnten neben dem Verursacher drei Firmen gegen Rechtsvorschriften verstoßen haben: dessen Arbeitgeber, der Konzertveranstalter und der Betreiber der Schleyerhalle. Aufklärung erhofft sich der Vater des Opfers bereits bei einem Gütetermin Mitte Dezember vor dem Arbeitsgericht gegen die Firma, beim dem Marvin Puchmeier einen Arbeitsvertrag für eine geringfügige Beschäftigung unterschrieben hatte und von dem er an den Konzertveranstalter verliehen wurde.

Gegen den Arbeitgeber des Unfallverursachers findet die Güteverhandlung im März vor dem Landgericht statt. Ralf Puchmeier fordert Ersatz für die Beerdigungskosten und Schmerzensgeld, das in die von ihm gegründete Stiftung für benachteiligte Jugendliche fließen soll.

Verzicht auf Eigensicherung und Abstimmungsdefizite

Die BG geht davon aus, dass Marvin Puchmeier noch leben würde, wären die Arbeiten in luftiger Höhe und am Boden zeitlich oder räumlich versetzt vorgenommen worden. Das ist zwingend vorgeschrieben, schließlich könnten auch Gegenstände herabfallen. Es habe aber keine „Zusammenarbeit zwischen ,Rigger’ und ,Stagehand’ stattgefunden, heißt es in dem BG-Bericht. Es sei von den Firmen auch kein Aufsichtsführer bestimmt worden, um die Arbeiten zu koordinieren. Ungeklärt ist, ob die Beschäftigten für die Veranstaltung eine Einweisung erhielten. Einen Nachweis darüber gebe es weder für Puchmeier noch für den Unfallverursacher, meint der Gutachter.

Als dritte Unfallursache neben dem Verzicht auf Eigensicherung und Abstimmungsdefiziten werden „fehlende Einrichtungen zum Auffangen von abstürzenden Personen“ genannt. Ein Zugang in 17 Meter Höhe sei nur über eine Quertraverse möglich. Diese sei aber nicht mit einer Absturzeinrichtung ausgerüstet. Es gebe eine Möglichkeit zur Sicherung, diese sei jedoch umständlich und würde deshalb nicht genutzt. Man hätte aber auch Hubarbeitsbühnen einsetzen können.

Michael von Koch, Leiter der Abteilung Gewerbeaufsicht, zeigt sich tief betroffen von diesen Vorwürfen. Er ist sich bewusst, dass Kontrollen womöglich hilfreich gewesen wären. Der für diese Branche zuständige Mitarbeiter habe allerdings noch einige tausend andere Betriebe zu überwachen, lautet sein deprimierendes Fazit.