Männergruppe in Schorndorf Wo Männer zu besseren Menschen werden wollen

Leonhard Fromm leitet Männer in Gruppen auf dem Weg an, der zu sein, der sie sein wollen. Foto: /Gottfried Stoppel (Archiv)

Einmal im Monat kommen in Schorndorf Männer zusammen, um über ihre Probleme zu reden und um sich stark zu machen. Ist das ein moderner Umgang mit Männlichkeit oder eine Pseudo-Therapie von Maskulinisten?

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Karl steht in der Mitte des Raumes und wollte eigentlich seine Wut zeigen. Er hat seine Hände hinter dem Rücken, eine knetet die andere. „Was machst du da mit deinen Händen?“, fragt einer der Männer, die um ihn herum hocken. Karl, ein freundlicher Mann um die 60, sucht hier nach seiner Wut. Oder eher will er sich den Filter wegtrainieren, der ihn seine Wut immer wieder runterschlucken lässt. Man hat nicht unbedingt das Gefühl, dass er sich hier wohlfühlt. Aber er ist extra dafür eine Stunde angereist, einmal quer durch die Region Stuttgart.

 

Normalerweise wird man erst mal geräuchert

Etwa eineinhalb Stunden vorher, ein Montag in Schorndorf. Draußen ist es ein dunkler Februarabend, die kalte Rems plätschert hinterm Haus vorbei. Drinnen hängen Kinderzeichnungen an den Wänden – im Gebäude ist auch ein Kindergarten –, Stühle sind im Kreis aufgestellt. Etwa 15 Männer sind hier, freundliches Geplauder, man kennt sich, manche warten aber auch still darauf, dass es losgeht. Nicht unbedingt das Setting, wie man sich eine Männergruppe vorstellt. Einmal im Monat kommt man hier in offener Runde zusammen, um sich seinen Gefühlen zu nähern, seinen Problemen zu stellen und, ja, auch um zu lernen, ein Mann zu sein. Aber was heißt das schon?

Alles, was in der Runde passiert, ist anonym und vertraulich, das ist eine Grundregel. Nur Gruppenleiter Leonhard Fromm taucht deswegen mit seinem echten Namen in diesem Text auf.

Der Abend folgt einem genauen Protokoll. Fromm, Gestalttherapeut, Berater und Mitglied des eingetragenen Vereins „Kreis der Männer – Mankind-Project Deutschland“ (MKP), ist derjenige, der darauf guckt, dass es eingehalten wird: Normalerweise werde am Anfang Mann für Mann geräuchert, bevor man sich in die Runde begibt, „das kommt aus dem Schamanischen“, erklärt Fromm abseits der Runde. Dann würde auch ein Mann mit einem Stock an der Tür stehen und fragen: „Wofür bist du hier.“ Fromm sagt: „Das muss alles etwas Magisches haben, damit die Männer aus ihrer normalen, oberflächlichen Welt rauskommen.“

„Bist du klar mit den Männern hier?“

An diesem Abend sind die Rituale etwas abgespeckt. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde gucken sich die Männer nacheinander tief in die Augen. Manche schauen starr durch einen durch, andere wirken misstrauisch, manche blicken ihr Gegenüber hart und kalt an, man muss sich anstrengen, ihnen nicht auszuweichen. Oder ist das nur der Film im eigenen Kopf? Am Ende fragt Fromm in die Runde: „Bist du klar mit den Männern hier?“ Es gehe darum, eine Verbundenheit zwischen den Männern herzustellen, „Augen sind ein Spiegel zur Seele“, sagt Fromm.

Es wäre aber auch der Moment, um anzusprechen, wenn ein anderer Kerl unangenehme Gefühle in einem auslöst. Ihn habe etwa mal der Nasenring eines anderen Mannes wütend gemacht, erzählt Fromm im Nachgang. „Dann merkst du aber, dass das alles deine Projektionen auf diesen Mann sind. Dann hast du Zugang zu deinem Schatten und siehst, wer du wirklich bist, du wirst ehrlich mit dir selber“, sagt Fromm. An diesem Abend schweigen aber alle.

Es geht um schwierige Chefs und Trennungen, um Wut und Angst

Die Leute hier wollen nicht nur erfahren, wer sie wirklich sind, sondern auch konkrete Lösungen. Nach dem man sich tief in die Augen geschaut hat, soll jeder zwei Minuten über das Gute und Schlechte in seinem Leben reden. Es geht um schwierige Chefs und Trennungen, um Wut und Angst, um Trauer und Freude. Am Ende soll jeder ein Thema formulieren, an dem man arbeiten möchte, so der Auftrag von Leonhard Fromm. Manchmal hilft er nach, einen Satz zu formulieren, der aussagt, wo jemand eigentlich hinwill. Einige sagen „Aho!“, wenn sie fertig sind mit dem Sprechen, was mit einem „Aho!“ der Gruppe beantwortet wird.

Wer ein besonders drängendes Thema hat, dem bietet Leonhard Fromm an, gemeinsam daran zu arbeiten – vor der gesamten Gruppe. Hier kommt Karl ins Spiel, der Mann mit der gefilterten Wut. Er fühlte sich von einem Dienstleister schlecht behandelt, es ging um keine ganz kleine Summe. Dem will er seine Unzufriedenheit klarmachen und ernstgenommen werden. Fromm ist in seiner Analyse schnell bei Familienverhältnissen und Karls Bruder, gemeinsam wird vor der Gruppe geübt, mehr Wut rauszulassen, alle beobachten, manche kommentieren. Man hat beim Beobachten nicht das Gefühl, dass sich Karl dabei wohlfühlt. Aber er ist zufrieden mit dem Ergebnis.

Es entsteht eine Verbundenheit mit „den Brüdern“

„Das Treffen hat mir bewusst gemacht, dass ich nicht so durchsetzungsstark bin“, sagt Karl. „Das schafft eine geschärfte Wahrnehmung für mich selber“, es mache ihm die Problemstellen bewusst. Auch die Übung, Wut zu zeigen, seine Komfortzone zu verlassen, habe er gut gefunden. Er sei ein vorsichtiger Mensch, sagt Karl. Leonhard Fromm besitze eine Direktheit und Energie, die manchmal angsteinflößend sein könne. Aber er bewundere diese Energie auch, wolle davon lernen, sagt Karl.

Zwei „arbeiten“, der Rest sieht zu: Leonhard Fromm (ganz links) bei einem Männerseminar im Kloster Schöntal; so ähnlich läuft es auch in Schorndorf, die Gruppe will aber nicht gezeigt werden, Anonymität ist ein Grundprinzip. Foto: privat

Auch Martin kommt schon lange zu den Treffen. „Ich gehe immer gelöster und befreiter aus dem Abend, als ich gekommen bin, auch wenn die Geschichten der Brüder oft traurig sind“, sagt er. Er fühle danach immer eine große Verbundenheit mit „den Brüdern“. Und: „Wenn der andere Bruder arbeitet, fallen einem immer mindestens 50 Prozent eigene ähnliche oder gleiche Beispiele ein, worüber man sich in diesem Moment auch Gedanken macht.“ Was hat es bei ihm verändert? „Ich suche die Schuld für meinen Ärger nicht mehr bei meinem Mitarbeitern, Kollegen oder der Partnerin, sondern bei mir. Ich glaube, das ist der gute Lösungsansatz.“

Mitglieder werden „initiiert“

Martin ist ein sogenanntes initiiertes Mitglied bei Mankind Project (MKP). Auch Fromm ist initiiertes Mitglied, einige andere Teilnehmer an diesem Abend auch. Für eine Initiation muss man das sogenannte „New Warrior Training Adventure“ absolvieren, auf Deutsch heißt das etwa „Trainings-Abenteuer für neue Krieger“. Was genau man dort ein Wochenende lang für 600 Euro lernt, ist geheim, die Teilnehmer verpflichten sich, nicht darüber zu reden. Man weiß nur, dass man dort einen Tiernamen bekommt, sehr tief in sich geht und sich etwa an manchen Ritualen amerikanischer Ureinwohner orientiert. Daher kommt wohl auch das „Aho!“

„Ganz am Anfang dachte ich kurz, hoffentlich bin ich nicht in einer Sekte gelandet“, sagt Alex nach dem Treffen, er war erstmals dabei. Tatsächlich stufte etwa in Frankreich eine Behörde das Mankind Project dort als maskulinistisch ein, also als Gruppe, die Männer naturbedingt als überlegen sehen. Für Deutschland sagt Mirijam Wiedemann, die im Kultusministerium gefährliche weltanschauliche und religiöse Angebote beobachtet: „Wir haben keine Gefährdungsanzeige, was diese Gruppe angeht.“

Dinge wie die Initiation würden ein Gemeinschaftsgefühl und Zugehörigkeit schaffen, dazu das Gefühl, Teil von etwas Exklusivem zu sein. „Pauschal ist diese Intention nichts schlechtes“, sagt Wiedemann. Generell sieht Wiedemann Angebote von MKP als Teil eines Coaching-Marktes, der sich stark ausdifferenziere und für den es keine einheitlichen Qualitätskriterien gebe. Das heißt: Jeder darf sich Coach nennen, deswegen weiß man vorab nicht, ob man an gute oder schlechte gerät. Man hat deswegen gemeinsam mit der Beratungsstelle Zebra eine Checkliste für Coaches erstellt. Aber Coaching habe definitiv eine Berechtigung, „wenn es gut gemacht ist“, sagt Wiedemann.

„Männer haben Zugang zu ihren Gefühlen“

Auch Fromm sagt, es gebe viele Dilettanten am Markt. Er sieht sich auf der anderen Seite. Er macht das alles auch wegen seiner Vorgeschichte. „Ich will nicht in einer kaputten Welt leben, in der ich selbst ein kaputter Mann war, in der ich zwei Ehen in den Sand gesetzt habe und Kinder hatte, die Angst vor mir hatten“, sagt Fromm. Kaputte Männer seien gefährlich, sagt Fromm. Was macht dann gute Männer aus? „Sie haben Zugang zu ihren Gefühlen und können darüber reden“, so Fromm. Das scheint anzukommen.

„Ich bin daran interessiert, an meinen Themen zu arbeiten“, sagt Alex, der Teilnehmer, der sich kurz schon in einer Sekte wähnte. In der Männergruppe bleibt er ruhig, sagt danach aber: „Ich würde nicht ausschließen, da noch mal hinzugehen.“

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