Am 18. Mai schaut die Showwelt auf den kleine Ort am Öresund: Malmö trägt den Eurovision Song Contest aus. Ein Porträt der 300.000-Einwohner-Stadt, die der Nabel Europas sein wird.

Malmö – Auf dem Stortorg, Malmös großem Platz, thront hoch zu Ross Karl X. Gustav, der Regent, der im 17. Jahrhundert Deutsche, Polen und Dänen befehdete. In diesen Tagen wirkt der Kriegerkönig weniger grimmig als sonst. Große bunte Schmetterlinge zieren sein Pferd, seine Rüstung, seinen Hut. Es sind die Symbole des Eurovision Song Contests, die sich auf der Reiterstatue niedergelassen haben. Wenn ihm dies missfällt, kann er auf der Uhr, die auf dem Stortorg tickt, sehen, wie lange die Schmach noch dauert: Die zählt die Sekunden bis zum Beginn der großen Show am Abend des 18. Mai.

 

Nie mehr seit zwanzig Jahren, als der Grand-Prix-Zirkus im irischen Millstreet Station machte, kam der ESC in einen so kleinen Ort wie Schwedens drittgrößte Stadt mit ihren 300 000 Bewohnern. Entsprechend groß ist dort die Begeisterung. „Wir freuen uns alle“, sagt Staffan Jönsson, der den Kinderwagen mit seiner Tochter über den Stortorg schiebt, „jetzt sind einmal wir der Nabel Europas“. Dass die Freude nicht nur der engsten Schar der Fans vorbehalten bleibt, will Karin Karlsson sichern, die Projektleiterin der Stadt Malmö: „Stadt und Region pumpen 25 Millionen Kronen in die Veranstaltung“, das sind drei Millionen Euro. „Und bei so viel Steuergeld muss schon ein Volksfest herausspringen.“

Arme Schlucker? Die gibt es hier reichlich

Wer vom Stortorg durch die Fußgängerzone schlendert, kommt bald zum Gustaf Adolfs Torg. Dort, wo stündlich 8000 Passanten vorbeikommen, erhebt sich während der Grand-Prix-Tage ein enormes Zirkuszelt, in dem täglich Künstler auftreten – heimische Hoffnungen, aber auch die ESC-Teilnehmer, die fast alle zugesagt haben, ihr Lied zum Besten zu geben. „Damit auch die, die kein Geld haben, die Chance bekommen, die Sänger live zu sehen“, sagt Karin Karlsson, denn im Zelt ist alles gratis.

Arme Schlucker gibt es in Malmö reichlich. Als der ESC 1992 in der südschwedischen Metropole Station machte, war Malmö eine von der Krise schwer gebeutelte Stadt. Der Niedergang der Werft- und Textilindustrie trieb sie an den Rand des Ruins, das kommunale Defizit war Schwedens höchstes, die Arbeitslosigkeit lag bei 25 Prozent. Jetzt pulsiert das Leben wieder, der Bau der Hochschule hat 13 000 Studenten angelockt, auf den Geländen der verlassenen Werft sind moderne Stadtviertel entstanden, die Brücke über den Öresund verbindet Malmö mit Kopenhagen.

Doch nicht alles ist gut geworden in Malmö. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch höher als in anderen schwedischen Städten, Berichte über Bandenkriminalität und Integrationsprobleme schrecken die Schweden auf. „Malmö ist stigmatisiert als gewaltsam und gefährlich“, sagt Karin Karlsson. „Wir wollen ein anderes Malmö zeigen, eine freundliche und junge Stadt mit reichem Kulturleben.“ Jung ist Malmö, die Hälfte der Bevölkerung ist unter 35. Dass es auch multikulturell ist, erwähnt Karlsson nicht extra. „Das ist für mich so selbstverständlich.“ Sie hat zwei Kinder im schulpflichtigen Alter, „natürlich hat in ihren Klassen jeder zweite ausländische Wurzeln.“

Die Heimat des Fußballsuperstars Zlatan Ibrahimovic

Man muss vom Gustaf Adolfs Torg nur zehn Minuten weitergehen, um einzutauchen in die ethnische Vielfalt. Um den Möllevangstorg rankt sich ein Gewirr an Läden, Kneipen und Büros aus buchstäblich aller Herren Länder. 174 Nationalitäten und 150 Sprachen zählt Malmö, und das Möllevang-Viertel gilt als jener Ort weltweit, an dem die meisten Völker auf engstem Platz vereint sind. „We are one“, wir sind eins, lautet das Motto des ESC. In Malmö braucht kein Grand Prix einzufallen, um diesen Slogan zu verwirklichen.

Möllevang ist Integration. Rosengård, nur fünf Busstopps entfernt, ist Segregation, Malmös Problemviertel. 60 Prozent der Einwohner sind außerhalb Schwedens geboren, weitere 26 Prozent zwar Einheimische, aber mit zwei ausländischen Eltern. Wer nach Rosengård zieht, tut es aus Not, nicht aus Lust. Wer es sich leisten kann, reist weiter: „Theoretisch wird die gesamte Bevölkerung alle fünf Jahre ausgetauscht“, heißt es im Bürgerbüro, so rege ist der Umzug unter den knapp 25 000 Bewohnern. Nur 36 Prozent sind berufstätig, 40 Prozent verdienen weniger als einen halben Durchschnittslohn.

Und doch kommt Malmös berühmtester Sohn aus Rosengård: Hier wuchs Zlatan Ibrahimovic auf, der Fußballstar. Zlatan hat vorgemacht, wie ein Problem-Kid zum Helden werden kann. Held zwar, aber immer noch Problem-Kid: denn man kann zwar „einen Kerl aus Rosengård rausreißen, aber nicht Rosengård aus einem Kerl“, wie Ibrahimovic selbst immer wieder sagt. Auf dem Zlatan-Court, den er gestiftet hat – mit Flutlicht! –, kicken die Mini-Zlatans und träumen davon, es ihm nachzutun. Ibrahimovic wird zum ESC kommen, mit Videogruß. Ob der ESC nach Rosengård kommt? Karlsson schiebt Budgetgründe vor, dass das Getto keinen Anteil am Volksfest bekommt. Außerdem sagt sie: „Die jungen Leute wollen doch lieber in der Stadt feiern.“

Schick, schick: das Vorzeigeviertel heißt Västra Hamnen

Wer über die Öresundbrücke Richtung Malmö fährt, sieht zuerst den sogenannten Turning Torso, den weißen, 54-stöckigen Wohnturm mit seiner charakteristischen Drehung. Der Wolkenkratzer ist das Wahrzeichen des neuen Viertels Västra Hamnen. Hier wohnen die, die Geld haben. Wie in einem mittelalterlichen Stadtteil führen winkelige Gassen zwischen den farbigen Häusern durch und münden in Hinterhöfen und kleinen Plätzen. Die Wohnqualität ist erstklassig, der Blick aufs Wasser unvergleichlich. Der Westhafen ist dank Sonnenpaneelen und Abfallverbrennung selbstversorgend mit Energie. Der „Green“-Markt ist ein Dorado für ökologisch Bewusste, und das dortige Restaurant serviert für umgerechnet zehn Euro ein formidables Öko-Mittagessen.

Wo Västra Hamnen schon ist, will Hyllie, der Vorort, in dem der ESC stattfindet, noch hin. Die Arena ist seit 2008 in Betrieb, doch drum herum, wo einmal 9000 Wohnungen und 9000 Büros und Läden liegen sollen, ist noch Einöde. Um die Volksfeststimmung zu finden, müssen die ESC-Teilnehmer und ihre Fans die Steppe verlassen und in die Innenstadt fahren. Das hingegen ist einfach: acht Minuten mit dem Zug bis zu Zentralbahnhof und Stortorg. Und wer dem ganzen Rummel lieber entfliehen will, hat es auch nicht weit: nach nur 13 Minuten in die Gegenrichtung rollt der Zug am Kopenhagener Flughafen ein.