Das Marienplatzfest wird dieses Jahr nicht stattfinden. Im Vorjahr mussten die Organisatoren einen Verlust von 50 000 Euro ausgleichen, weil zu viele Gäste ihre Getränke mitbrachten. Wie geht es weiter?

Der Gast war sich keiner Schuld bewusst. Er hatte im Supermarkt eine Flasche Wein gekauft, marschierte zielsicher über den Marienplatz zu einer Bar und fragte nach einem Korkenzieher und zwei Gläsern. Ob ihm bewusst war, dass er damit einen weiteren Nagel in den Sarg des Marienplatzfestes getrieben hatte?

 

Vermutlich nicht, glauben Reiner Bocka und Michael Benz, die Organisatoren des Marienplatzfestes. Alles wird teurer, da guckt man, wo man sparen kann. Und kauft sein Getränk anderswo und bringt es mit aufs Fest. „Wir hatten Besucher, die haben das Bier kistenweise mitgebracht und sich vor die Bühne gesetzt.“ Verräterbier nennt man das plakativ. „Das hat wahnsinnig zugenommen im letzten Jahr“, sagt Bocka. 35 Prozent weniger Getränke haben sie verkauft im Vergleich zu den Jahren vor Corona. Mit fatalen Folgen für den Veranstalter. Als man nach vier Tagen abrechnete, blieb trotz schönen Wetters und vielen Besuchern ein Minus von 50 000 Euro. Bei einem Etat von 200 000 Euro.

Ein Zaun ist keine Option gewesen

Dank einer einmaligen Förderung des Bundes für den Neustart nach Corona kam man mit einem blauen Auge davon. „Aber die Förderung war einmalig“, sagt Benz, „deshalb war uns das Risiko für dieses Jahr zu groß.“ Für das Defizit müssten sie persönlich geradestehen. Also sagten sie das Fest ab. Ende Juni hätte es stattfinden sollen.

Hin und her haben sie überlegt, was sie tun können. Der Marienplatz ist nun mal umzingelt von Supermärkten, Die genau wissen, dass sie während der vier Tage des Festes ein gutes Geschäft machen können. Warum nicht einzäunen? „Das würde dem Charakter des Festes zuwider laufen“,sagt Bocka, der das Café Galao betreibt, „es soll für jeden öffentlich zugänglich sein und bleiben.“ Das Hausrecht hätten sie zwar, ergänzt Benz, „aber es ist schlicht nicht machbar zu jedem zu gehen und das mitgebrachte Getränk abzunehmen.“

Probleme auch beim Umsonst & Draußen-Festival

Und beim Kulturprogramm wollten sie nicht abspecken. Fünf Bands statt 16, „das ist keine Option, das wäre nicht mehr das Marienplatzfest“, sagt Benz. 80 000 Euro hat das Kulturprogramm gekostet, etwa für Bands, Bühne, Techniker. Wie die Mitarbeiter und Helfer wolle man auch die Bands und Techniker ordentlich bezahlen, sagt Bocka. Und dafür braucht man den Verkauf von Getränken. Er trägt zu 80 Prozent zur Deckung des Etats bei. Das Verräterbier macht diese Kalkulation zunichte.

Ein Problem, das auch die Macher des Afrika-Festivals und des Umsonst & Draußen in Vaihingen haben. Dort kämpft man auch gegen das Verräterbier. „Leute, die sich ihre Verpflegung selbst mitbringen, greifen die finanzielle Basis des Umsonst & Draußen an", schreiben die Organisatoren. Man finanziere sich weitgehend durch den Verkauf von Essen und Getränken während des Festes. „Von dem Erlös wird alles bezahlt: Zelte, Bühnen, Anlagen, Bands, Zirkuszelt, Klowagen, Genehmigungsgebühren, eben alles. Auf diese Kohle ist das Fest angewiesen, ohne diese Kohle wird es einfach pleite gehen.“

Suche nach weiteren Finanzierungsquellen

Wie beim Marienplatzfest. Und nun? Bocka und Benz haben das Gespräch mit Bezirksvorsteher Raiko Grieb gesucht. Der war zunächst entsetzt. Trage doch das Marienplatzfest erheblich zur Identität des Bezirks und zur „Marke Stuttgart-Süd“ bei. Doch aus dem Etat des Bezirksbeirats könne man diese große Lücke leider nicht decken. Eine Idee gibt es dennoch. Haupt-Sponsor Dinkelacker bleibt an Bord, und Geld könnte womöglich von der Stadt kommen. Man saß zusammen mit den kulturpolitischen Sprechern der Gemeinderats-Fraktionen und dem Kulturamt.

Alle gemeinsam wollen versuchen, eine Förderung für das Kulturprogramm bei Stadtteilfesten im Haushalt zu verankern. Wie man das ausgestaltet, wird derzeit ausgehandelt. „Wir haben ja Vorbilder in der Kulturförderung“, sagt Jürgen Sauer von der CDU. Nun müsse man vor den Haushaltsberatungen klären, wer denn förderungswürdig sei und wie die Förderung aussehen könne.

Für ihn sei klar, die Veranstaltung müsse offen und für alle zugänglich sein, keine Gewinnerzielungsabsicht haben. Bisher galt: Antragssteller müsse ein Verein oder eine gemeinnützige GmbH sein. „Für dieses Jahr ist es leider zu spät“, sagt sein Kollege Marcel Roth von den Grünen, „wir wollen nun versuchen, eine Lösung zu finden, die nicht nur für das Marienplatzfest funktioniert.“ Aber klar sei auch, ohne die Solidarität der Besucher funktioniere es nicht, sagen Roth und Sauer unisono. „Die Absage ist ein Warnschuss“, betont Roth. Wer die Stadtteilfeste erhalten wolle, müsse auch sein eigenes Verhalten überprüfen.

Bocka und Benz sind froh über die Unterstützung der Stadträte. Sie hoffen, dass sie nächstes Jahr doch noch die zehnte Auflage des Marienplatzfestes feiern können. Mit Verspätung, aber immerhin.