Zweimal forderte Markus Lanz Familienministerin Anne Spiegel vergeblich zur „klaren Haltung“ auf – bei der Impfpflicht und beim Paragrafen 218. Am Ende punktet sie doch.

Stuttgart - Wenn die Studiogäste von Markus Lanz im ZDF seinen Fragen ausweichen, dann gleitet er ihnen gegenüber oft ins Rüpelhafte ab. So auch bei der Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne), die der Moderator mehr als einen Monat nach Amtsantritt immer noch als „frisch gebackene“ Ministerin bezeichnete. Es ging zunächst mal um die Impfpflicht, von der auch der Molekularbiologe und Wissenschaftsjournalist Kai Kupferschmidt meinte, da wäre „ein klarer Vorschlag“ der Bundesregierung mal gut. Denn dass man in Deutschland nicht wie in Großbritannien lockern könne, wo die Geimpften-, die Infizierten- aber auch die Todeszahlen höher sind, das liege eben an der großen Impflücke hierzulande. „Mit dieser Hypothek gehen wir in die Omikron-Welle.“

 

Ein Aufatmen wegen Karl Lauterbach

Einen Plan und eine Strategie der Bundesregierung in der Corona-Politik und bei der Impfpflicht wollte denn Lanz auch von Anne Spiegel hören. Aber die äußerte sich eher vage, sprach davon, es gebe ja nun bald die Orientierungsdebatte im Parlament für die von ihr befürwortete Impfpflicht, außerdem ein neues Bund-Länder-Treffen und die Impfquote müsse „deutlich gesteigert“ werden. Dass Bundeskanzler Olaf Scholz sich in Sachen Impfpflicht nur „als Abgeordneter“ äußern wolle, das regte Markus Lanz erheblich auf. Aber als Anne Spiegel dann bemerkte, dass es ein Aufatmen in der Republik gebe, weil ein Bundesgesundheitsminister namens Karl Lauterbach (SPD) die Weichen stelle, da riss Lanz endgültig der Geduldsfaden.

Das sei jetzt aber „überspitzt“, sagt die Ministerin

„Es tut mir leid, Sie sind gewählt, damit Sie Führung übernehmen. Für was brauchen wir eigentlich eine Bundesregierung, wenn Sie alles an den Bundestag abgeben?“ meinte Lanz. Das sei jetzt aber überspitzt, wehrte sich Anne Spiegel, aber der nächste verbale Tiefschlag von Lanz folgte bereits. An den Studiogast Kupferschmidt gewandt sprach Lanz über Spiegel in der dritten Person: „Da sitzt eine Bundesministerin und sagt, sie sei für die Impfpflicht. Und wenn man sie fragt, wie die funktionieren soll, dann sagt sie, man werde das diskutieren.“

Aus der Stiefmutter wird die Bonus-Mutter

Etwas entspannter verlief dann die Passage des Abends, in der Anne Spiegel den Begriff „Verantwortungsgemeinschaft“ erklärte, ein eher neues Familienmodell, ein Miteinander von Menschen, die füreinander Verantwortung übernehmen. Das könnten beispielsweise zwei Alleinerziehende mit Kindern sein, die zusammen zögen oder zwei Lesben und zwei homosexuelle Männer, die die biologischen Väter der Kinder dieser Frauen seien. „Das sind dann also vier, die sich ums Baby kümmern“, sagte Spiegel. Es müsse keine Liebesbeziehung sein in dieser Verantwortungsgemeinschaft, aber es geht ums füreinander einstehen. Diese Gemeinschaften sollen auch rechtlich bessere Rahmenbedingungen erhalten, ihre Verbindlichkeit soll gestärkt werden. Im Übrigen, so Spiegel, finde sie beispielsweise den Begriff „Bonus-Mutter“ besser als Stiefmutter und „Bonus-Vater“ besser als Stiefvater – die seien doch sehr negativ besetzt.

Werben für eine Abtreibung?

Selbst von der CDU-Politikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker – einer ehemaligen Familienrichterin – erhielt Anne Spiegel da Applaus. Sie fände es „schön“ für Dinge, die der neuen Lebensrealität entsprächen, auch positive Begriffe zu finden. Mit der Harmonie war es dann aber in der Frage der von der Ampel-Koalition geplanten Abschaffung des Paragrafen 219 A – dem Werbeverbot für Abtreibungen durch Ärzte – rasch vorbei.

Winkelmeier-Becker hält das Kippen des Verbots nicht für erforderlich, denn schon jetzt dürften Ärzte doch auf ihrer Homepage informieren, dass sie Abtreibungen vornehmen und auch verlinken zu anderen Websites wie beispielsweise der hervorragenden der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung. Die Christdemokratin befürchtet, dass die Werbung der Ärzte für die Abtreibung entgleitet wie bei Schönheitsoperationen. „Wir müssen doch das Gespür dafür erhalten, dass es um das Leben eines Kindes geht.“

Die Frauen und Mädchen haben Angst

Kristina Dunz vom Redaktionsnetzwerk Deutschland übernahm dann die Verteidigung der Ampel-Idee, verspricht sich von der Abschaffung des Werbeverbots eine allgemeine Lockerung und Entkrampfung. „Immer noch haben so viele Frauen und Mädchen Angst über eine Abtreibung zu reden. Es ist immer noch ein Makel – und wenn es auch nur die Eltern sind, die schimpfen.“ Die Betroffenen seien in einer „Extremsituation“, man brauche eine besseres Beratungsnetz, kürzere Wege zu den Praxen und müsse den Frauen helfen, sich frei zu entscheiden.

Der Showdon zum Paragrafen 218

Den Showdown am Schluss läutete dann Markus Lanz mit der Frage ein, ob nicht das Werbeverbot nur ein Nebenkriegsschauplatz sei und die Ampel nicht eher auf eine Abschaffung des Paragrafen 218 schiele, wonach Abtreibungen ein Straftatbestand sind, sofern sie nicht innerhalb der ersten zwölf Wochen und nach einer Beratung stattgefunden haben. „Es gibt doch Teile in der Ampel, die wollen den Paragrafen 218 komplett abschaffen“ meinte Lanz, und wie denn ihre persönliche Haltung dazu sei, fragte er Ministerin Spiegel. Die verwies in dieser Frage an eine Kommission, die das Thema „fundiert“ und von allen Seiten beleuchten soll.

Das letzte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Paragrafen 218 sei immerhin schon fast 30 Jahre her, es gehe heute auch um das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau und sie wolle in dieser Frage „nichts vorwegnehmen“. Von Christine Winkelmeier-Becker kam dann der Einwurf, es müsse doch um den Lebensschutz des Kindes gehen und es sei für sie „erschreckend, dass dies von der Bundesfamilienministerin nicht genauso gesehen“ werde und in der gesamten Debatte werde das Kind gar nicht erwähnt.

In den USA wurden Ärzte erschossen

„Ich lass das so nicht stehen“, entgegnete Anne Spiegel, „dass die Ampel den Lebensschutz des Kindes nivellieren will“. Aber der Paragraf 218 stamme immerhin von 1933 – konzipiert schon in der Weimarer Zeit – und man müsse zumindest über ihn nachdenken. Markus Lanz bohrte dann noch einmal nach, ob Spiegel, sich vielleicht verstecke mit ihrer Meinung, weil sie Angst habe, sich klar zu positionieren, denn in den USA seien ja schon Abtreibungsärzte erschossen worden. Da war dann Anne Spiegel, 41 und Mutter von vier Kindern, ziemlich fest in ihrer Haltung: „Von Angst als Motiv lasse ich mich gar nicht leiten. Ich war vier Jahre lange Integrationsministerin in Rheinland-Pfalz – seitdem habe ich Personenschutz.“