Bestseller-Krimis spielen oft in beliebten Reiseregionen. Allerdings halten sich die Kommissare dort nicht immer an die Vorschriften. Unser Kolumnist Markus Reiter zieht daraus so seine Schlüsse.

Stuttgart - Mit Urlaubsreisen sieht’s in Corona-Zeiten eher düster aus. Umso größer scheint bei den Leserinnen und Lesern in Deutschland die Sehnsucht nach ihren Urlaubsregionen zu sein. Auf der Bestsellerliste finden sich jedenfalls ein halbes Dutzend Bücher, die an beliebten Reisezielen spielen – mit einem auffallenden Frankreich-Überhang.

 

Nun könnte man meinen, es böte sich ein schöner Liebesroman an, um die Leser in Urlaubsstimmung zu versetzen. Aber nein! Diese scheinen eine besondere Vorliebe für Morde entwickelt zu haben.

Warum um Himmels Willen zieht es Leser in eine Gegend, in der Kunststudentinnen zu Tode kommen, indem sie in einen Brunnen geschubst werden, oder besoffene Jäger erst einen Ufo-Wissenschaftler, kurz darauf einen anderen Waidmann abknallen? Andernorts in Frankreich werden Küchenchefinnen oder Kettenbrief-Empfänger Opfer einer Mordserie, während in Portugal Autobomben hochgehen.

Dabei vergessen die Kommissare oft alle ihre Manieren und fluchen hemmungslos „merde“ und „putain“, wo sie nur gehen und stehen. Damit nicht genug: Die Beamten übertreten ständig das Gesetz und missachten die Compliance-Regeln, die vor Korruption und Beeinflussung schützen sollen.

Der Datenschutz wird in Krimis eklatant missachtet

Martin Walkers Ortspolizist Bruno Courrèges („Connaisseur“, Spiegel-Belletristik-Bestseller Hardcover Platz 12, Diogenes, 448 Seiten, 24 Euro) und Cay Rademachers Capitaine Roger Blanc („Verlorenes Vernègues“, Spiegel-Belletristik-Besteller Paperback Platz 14, Dumont, 384 Seiten, 16 Euro) lassen sich ohne Schuldbewusstsein von Verdächtigen zum Essen einladen. Dieser klare Gesetzesverstoß lässt sich auch nicht dadurch entschuldigen, dass die Essen – wir sind in Frankreich! – besonders köstlich sind.

Auch die Missachtung der in ganz Europa geltenden Datenschutzgrundverordnung (DGSVO) ist eklatant. Das gilt ganz besonders für Donna Leons venezianischen Commissario Brunetti („Geheime Quellen“, Spiegel-Belletristik-Bestseller Hardcover Platz 3, Diogenes, 320 Seiten, 24 Euro), der sich alle naselang der atemberaubenden Hacker- und IT-Fähigkeiten der Signorina Elettra bedient. Die Chefsekretärin ist so gewandt im Umgehen von Datenschutzmaßnahmen, dass sie vermutlich sogar die deutsche Corona-App knacken würde.

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Immerhin muss man diesen Kommissaren lassen, dass ihre großzügige Auslegung der Vorschriften stets von Erfolg gekrönt ist. Dorfpolizist Bruno frisst, säuft und hurt sich zwar durch seinen Fall (oder, netter formuliert, er genießt Wein, Weib und Lammragout mit Frühgemüse), lässt sich sein Menü im Sterne-Restaurant von einem Hauptverdächtigen bezahlen, zapft illegal Geheimdienstquellen an, macht aber am Ende jene mörderische Clique dingfest, die die arme Kunststudentin auf dem Gewissen hat.

Offenbar gilt in den Südländern: Das Ziel heiligt die Mittel

Capitaine Blanc ermittelt zunächst im scheinbar harmlosen Falle eines Rudels Wölfe, die in einem provenzalischen Ruinendorf Schafe reißen. Er lässt sich im Dienst vom dubiosen Bürgermeister zu Crêpe mit Ziegenkäse und Walnüssen einladen, steigt mit der Ermittlungsrichterin ins Bett – und überführt schließlich gleich zwei Mörder.

Commissario Brunetti treibt es nicht minder dreist. Zusätzlich zu seinen Datenschutzverstößen nimmt es mit der Arbeitszeit nicht genau, missachtet Verkehrsregeln und plaudert Dienstgeheimnisse aus. Trotzdem klärt er den Tod eines Wasseringenieurs auf, der für die Überwachung des venezianischen Trinkwassers verantwortlich war. Unklar bleibt, ob er sich dabei auf einen Deal mit dem skrupellosen Haupttäter einlässt.

Offenbar gilt bei den laxen Südländern: Ende gut, alles gut. Das Ziel heiligt die Mittel. Vielleicht sind die Kriminalromane aus den Urlaubsregionen bei deutschen Lesern ja deshalb so beliebt, weil man sich bei ihrer Lektüre in unseren friedlichen heimischen Gefilden mit ihren gesetzestreuen Polizeibeamten umso sicherer und geborgener fühlt.