Es ist die unheilige Dreieinigkeit des Jan Marsalek. Der flüchtige Ex-Vorstand von Wirecard hat in Russland eine Tarnidentität erhalten. Das haben nun Medien enthüllt.

Er ist eine, wenn nicht die zentrale Figur des Wirtschaftsskandals um den Zahlungsdienstleister Wirecard. Offenkundig war dessen Ex-Vorstand Jan Marsalek aber noch weit mehr als ein mutmaßlicher Wirtschaftskrimineller. Das legen monatelange Recherchen von „Spiegel“, ZDF, des österreichischen „Standards“ und der russischen Investigativ-Plattform „The Insider“ nahe. Demnach ist Marsalek nach seiner Flucht aus Deutschland am 19. Juni 2020 von russischen Geheimdienstkreisen mit einer Tarnidentität versorgt worden. Geschlüpft ist er in die Rolle des real existierenden russisch-orthodoxen Priesters Konstantin Bajazow, der fast genau so alt wie Marsalek ist und ihm sehr ähnlich sehen soll.

 

Mutmaßlicher Betrüger als Priester

Zum Beleg ihrer Recherchen präsentiert das Recherchenetzwerk einen russischen Pass Marsaleks, der am 5. September auf den Namen des Priesters ausgestellt worden und bis 2030 gültig ist. Die Person darauf ist eindeutig als Marsalek zu identifizieren. Den wirklichen Priester hat ZDF frontal telefonisch erreicht. Der Erkenntnisgewinn war begrenzt. „Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie als Journalist begreifen müssen, dass wir nicht mit ihnen reden können“, war alles was der echte Bajazow sagen wollte oder durfte.

Als Priester hat Marsalek sich nie versucht. Die Tarnidentität war dazu da, sich einen Reisepass zu beschaffen. Für den Herbst 2020 konnte das Recherche-Quartett ihn über Mobilfunkdaten auf der von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim lokalisieren. Dort habe er sich von seiner Flucht erholt. Nach dem Krim-Urlaub soll Marsalek für russische Geheimdienste in Großbritannien bis 2023 einen Spionagering geführt haben, der dem Kreml unliebsamen Personen nachgespürt hat.

Darüber hatten schon andere Medien berichtet. Vor einem Jahr hatte die Londoner Polizei fünf Bulgaren verhaftet, denen Anschlags- und Entführungspläne zur Last gelegt wurden. Ein Prozess gegen sie soll Ende dieses Jahres beginnen. Einen Mann namens Stanislaw Petlinsky, der sich selbst als „Sicherheitsberater“ russischer Dienste bezeichnet und Marsalek schon vor Jahren an den russischen Militärgeheimdienst GRU „übergeben“ haben will, haben Reporter des „Spiegel“ in Dubai aufgetrieben.

Untersuchungsausschuss zum Fall Wirecard. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Marsalek sei nicht für russische Geheimdienste tätig aber „besessen von der Spionagewelt“ gewesen, meint der Mann mit dem Spitznamen Stas. Was davon stimmt, bleibt offen.

Deutsche Behörden halten sich bedeckt

Deutsche Ermittlungsbehörden wollen die Recherchen des Medienquartetts nicht offiziell kommentieren. Hinter vorgehaltener Hand bestätigen sie aber deren grundsätzlichen Wahrheitsgehalt. „Wir können sagen, dass der Spiegel und seine Partner hier offensichtlich sehr gut recherchiert haben“, versichert ein Insider.

Deren Erkenntnisse beleuchten vor allem auch die Zeit vor dem Wirecard-Kollaps und der Flucht Marsaleks über Wien und Weißrussland nach Russland. Demnach ist von russischen Geheimdiensten 2013 eine „Honigfalle“ für Marsalek bereitet worden. Es ist die Russin Natalia Zlobina. Das Ex-Erotikmodell mit Kontakt zu russischen Geheimdiensten ist selbst eine schillernde Person. Mit ihr soll Marsalek 2013 nach Tschetschenien gereist sein, um Verwandte des dortigen Diktators Ramsan Kadyrow zu treffen. Ziel war es demnach, 100 Millionen Dollar mutmaßlich über Wirecard-Kanäle von Hongkong in den Westen zu schleusen.

Zu ihrem 30. Geburtstag, den die Russin 2014 im französischen Nizza auf einer Jacht gefeiert hat, soll sie dann Stas ihrem Geliebten vorgestellt haben. Westliche Geheimdienste sehen diesen als verlängerten Arm ihrer russischen Gegenspieler.

Den Geheimdienstchef der russischen Söldnertruppe Wagner, Anatoliy Karaziym, hat Marsalek nach den Recherchen von Spiegel & Co über Stas kennengelernt. Mit ihm sei der Österreicher im Mai 2017 in die damals umkämpfte und gerade der Terrormiliz IS entrissenen Frontstadt Palmyra gereist. Auch darüber ist schon früher einmal berichtet worden. Es existieren Fotos von Marsalek in Kampfmontur zusammen mit Stas vor dem Hintergrund eines Panzers. Die Russen kämpfen an der Seite des syrischen Diktators Baschar al-Assad.

Kontakte zum Geheimdienst

An dieser Stelle kommt nach den Recherchen des Medienquartetts Wirecard ins Spiel. Marsalek soll sich des Konzerns bedient haben, um über ein Firmengeflecht Teile einer russischen Söldnerfirma zu kaufen, die er in Libyen antreten lassen wollte. Es bestehe zudem der Verdacht, dass über Wirecard auch Schwarzgeld verschoben wurde. In München diente Marsalek eine Villa gegenüber des russischen Konsulats an der Prinzregentenstraße als Schaltzentrale seiner Agentenambitionen. Verdacht auf Geldwäsche haben auch deutsche Ermittler.

Schwer wiegt zudem, dass Marsalek nach Informationen des Recherchequartetts über Kontakte in den österreichischen Geheimdienst auch an nachrichtendienstliche Erkenntnisse der Partnerdienste CIA, Mossad und des deutschen Verfassungsschutzes gekommen ist. Über Wirecard wiederum wurden auch Geldtransaktionen deutscher Behörden inklusive Überweisungen an V-Leute abgewickelt. Inwiefern Informationen darüber über Marsalek an russische Geheimdienste geflossen sind, ist unbekannt.