Martin Strobel über die Handball-Bundesliga und sein Karriereende „Man muss es nicht bis zum Äußersten treiben“

Martin Strobel wollte am Saisonende noch den Klassenverbleib mit dem HBW Balingen-Weilstetten feiern. Nun endet seine Karriere vorzeitig. Foto: Baumann

2016 wurde Martin Strobel Europameister, nun endet seine Handballkarriere durch den Saisonabbruch im Stillen. Zeit für ein Interview mit dem Spielmacher aus Balingen – der nicht ohne Sorgen in die Zukunft blickt.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Stuttgart - Nach über 15 Jahren als Handballprofi endet eine große Karriere eher im Stillen. Durch den Abbruch der Saison in der Bundesliga war der 21. April für Martin Strobel der endgültige Schlusspunkt. Im Interview spricht er über seine Entscheidung, den Vergleich mit dem Fußball und die Perspektiven des Nationalteams.

 

Herr Strobel, mit dem Abbruch der Bundesligasaison endet Ihre Karriere vorzeitig im April statt Ende Mai.

Stimmt. Aber das war ja nun keine Überraschung mehr. Der Abbruch war abzusehen und man konnte sich schon darauf einstellen. Wichtig ist, dass jetzt eine klare Entscheidung getroffen wurde.

Trotz der für Sie bitteren Note: Halten Sie die Entscheidung für richtig?

Ja, man muss einfach sehen, dass viele Mannschaften nach wie vor nicht gemeinsam trainieren können, weil sie keine entsprechenden Möglichkeiten haben. Anders als etwa im Fußball verfügt ja kaum ein Handballverein über ein eigenes Trainingszentrum. Dann irgendwann zu sagen, bringt euch innerhalb weniger Tage auf ein gutes Niveau für die wichtigste Phase der Saison mit Meisterrennen und Kampf gegen den Abstieg – das wäre kaum möglich gewesen. Und gefährlich für die Gesundheit der Spieler. Von daher halte ich die Entscheidung zum aktuellen Zeitpunkt für sinnvoll. Eine normale Saison wäre es ja ohnehin nicht mehr geworden.

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Wie sind Sie mit dem Lockdown zuletzt umgegangen?

Ich habe versucht, mich so gut es geht fitzuhalten – falls der Fall der Fälle doch eingetreten wäre und wir wieder gespielt hätten. Jetzt kam es anders – aber meinem Körper hat das Programm nicht geschadet.

Sie sind schmerzfrei wie selten?

(Lacht) Ja. In solch einer Phase merkt man, dass der Leistungssport dem Körper doch sehr viel abverlangt. Es ist ein merklicher Unterschied, wenn man sich sportlich betätigt – aber eben ohne die typischen Belastungen des Handballs.

Olympia im Tokio war bereits nicht mehr erreichbar

Bestätigt Sie das in Ihrem vor Wochen gefassten Beschluss, Ihre Karriere nach dieser Saison zu beenden?

Auch, ja. Ich habe gesehen: Man muss es nicht bis zum Äußersten treiben.

Gab es nie den Gedanken, aufgrund der Corona-Zwangspause doch noch weiterzumachen?

Nein, das war nie ein Thema. Zwar kamen immer wieder Leute auf mich zu, die sagten: „Häng’ doch noch ein Jahr dran.“ Aber meine Entscheidung steht nach wie vor, denn Entscheidungen zu treffen bedeutet auch Abschied von etwas zu nehmen. Auch wenn viele Menschen ein anderes Bild haben, wie solch ein Abschied aussehen sollte.

Zum Beispiel mit der Teilnahme an den Olympischen Spielen im Sommer – die mittlerweile auch verschoben und für Sie nicht mehr zu erreichen sind.

Natürlich gab es diese Vorstellung. Aber für solch eine Teilnahme spielen ja unheimlich viele Faktoren eine Rolle, davon kann man nicht ausgehen. Also bringt es insgesamt nichts, dass ich mir um meinen Abschied einen Kopf mache, was hätte sein können. Da gibt es auf der Welt derzeit wichtigere Probleme.

Sie haben große Erfolge gefeiert, Olympische Spiele erlebt, beenden nun ihre Karriere und können dadurch ein wenig gelassener sein. Wie ergeht es Ihren Teamkollegen, die in eine unsichere Zukunft schauen?

Es gibt viele Nachfragen und große Unsicherheit. Denn die Auswirkungen der aktuellen Lage kann derzeit ja keiner wirklich abschätzen. Es wird sich aber sicherlich etwas ändern.

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Was?

Man muss befürchten, dass Sponsoren in einer Dimension wegbrechen, die man so bisher nicht vorhergesehen hat. Je nach Verein sind diese oft über eine sehr breite Basis mittelgroßer und kleiner Unternehmen finanziert. Aber diese Firmen haben ja derzeit alle eigene Probleme und sparen dann vielleicht am ehesten am Sponsoring-Etat. Da kann ein finanzieller Rückhalt, den man über Jahre hatte, schnell bröckeln. Das bekommen dann am Ende auch die Spieler zu spüren.

Leidet die Außendarstellung des Fußballs?

Inwiefern?

Bestimmte Dinge, die sich zuletzt etabliert haben, könnten sich wieder korrigieren. Das Gehaltsniveau, die Laufzeiten der Verträge, die TV-Verträge. Da hat sich im Handball in den vergangenen Jahren schon auch einiges getan, und man muss abwarten, wie sich das entwickeln wird.

Haben sie Angst um die Sportart Handball?

Angst nicht. Aber ich habe Respekt vor der ganzen Sache, denn aus den beschriebenen Gründen kann manch ein Verein künftig vielleicht nicht mehr professionelle Rahmenbedingungen bieten. Ich bin aber sicher, dass die Vereine und die HBL alles versuchen werden, den Status quo zu erhalten.

Das versucht auch der Fußball – statt mit einem Saisonabbruch allerdings mit dem Drang nach einer Fortsetzung der Saison. Haben Sie dafür Verständnis?

Der Fußball hat da andere Grundvoraussetzungen. Die TV-Gelder spielen – anders als im Handball – die entscheidende Rolle. Trotz allem bleibt es am Ende ein Kontaktsport, und man sollte sich fragen: Wenn im Alltag nach wie vor strenge Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln gelten, kann dann ein solcher Kontaktsport wieder stattfinden? Darunter könnte die Außendarstellung leiden.

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Wie meinen Sie das?

Kein Mensch darf in ein größeres Einkaufszentrum, aber im Strafraum tummeln sich bei einer Ecke vielleicht 22 Fußballer. Da können die für alle anderen geltenden Regeln logischerweise nicht mehr eingehalten werden. Ich bin ich gespannt, wie das akzeptiert wird. Sportlich gesehen wären Geisterspiele vor allem mental eine riesige Herausforderung für die Profis.

Im Kampf um Aufmerksamkeit und Wirtschaftlichkeit hat sich der Handball in den vergangenen Jahren hinter dem Fußball eine gewisse Stellung erarbeitet. Nun verschwindet er monatelang von der Bildfläche, auch das Nationalteam ist nicht präsent. Wird er um Jahre zurückgeworfen?

Das glaube ich nicht. Denn anderen Sportarten geht es ja nicht anders. Jetzt muss die Frage also vielmehr lauten: Wie bringe ich mich in Stellung für die Zeit danach? Es gilt, diese Zeit jetzt diesbezüglich zu nutzen.

Der größte Moment der Karriere

Das Nationalteam in Stellung bringen sollte und wollte der neue Bundestrainer. Doch auch Alfred Gislason ist ausgebremst worden. Wie sehen Sie die Perspektiven der Mannschaft unter ihm?

Das Team ist gut aufgestellt – qualitativ und von der Altersstruktur her. Einige haben schon viel erlebt, andere kommen neu dazu. Diese beiden Bereich gilt es nun noch besser zu kombinieren. Zudem geht es darum, jungen Spielern noch früher internationale Einsätze zu geben, in denen sie Verantwortungen übernehmen können.

Zurück zu Ihrer Karriere: Gibt es den einen Moment, den Sie im Nachhinein als das Highlight schlechthin sehen?

Es gibt viele Dinge, an die ich gerne zurückdenke. Aber der EM-Titel 2016 ist schon der Moment, in dem ich und das ganze Team gespürt haben: Jetzt werden wir belohnt für das, was wir jahrelang investiert haben. Danach kam noch der Gewinn der Bronzemedaille bei den Spielen in Rio. Dieses halbe Jahr war schon sehr, sehr besonders. Daran denke ich gerne zurück.

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