In Ihrer fast 20-jährigen Amtszeit haben Sie das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 intensiv begleitet. Manchmal hatte man als Beobachter den Eindruck, Sie würden mit Ihrer Skepsis nur aus Loyalität zu OB Wolfgang Schuster hinter dem Berg halten. Jetzt können Sie es ruhig zugeben: Ein wirklicher S-21-Fan sind Sie nie gewesen, oder?
Die Pläne insbesondere für die innere Stadtentwicklung haben mich von Anfang an fasziniert, und heute ist die große Chance immer noch da. Aber in der langen Geschichte des Projekts hat meine Stimmung schon gelegentlich geschwankt. Das Projekt war im Gang, als ich ins Amt kam, und ist noch nicht annähernd vollendet. Wir haben uns intern – etwa über Grundstücksfragen – mit der Bahn oft heftig gestritten. Ich war zum Beispiel am Anfang kein Freund der überdimensionierten Galerie Ventuno, dem heutigen Milaneo. Damit habe ich auch nie hinter dem Berg gehalten.
Ihre Kritik hat aber nicht gefruchtet.
Ich habe bei Veranstaltungen der Immobilienveranstaltung deutlich zu verstehen gegeben, dass die Verkaufsfläche maximal 20 000 Quadratmeter umfassen sollte und dass eine gemischte Nutzung – also auch Wohnungen – notwendig ist. Unter dem Eindruck einer kippenden Gemeinderatsmehrheit hat der Investor ECE reagiert und 415 Wohnungen angeboten. Zuvor hatte ich mit OB Schuster, der die Federführung für die Baugenehmigung selbst übernommen hatte, deutliche Uneinigkeiten. Auch die Zahl der Parkplätze musste ECE von den Ende der 1990er Jahre angepeilten 3000 auf 1600 für die gesamte gemischte Nutzung abspecken. Dennoch: das Zentrum ist sehr groß ausgefallen, ich habe es mir kleiner gewünscht. Aber das Milaneo wird sich mit den Fertigstellungen im Umfeld in die Stadt integrieren.
Wie oft haben Sie als Bürgermeister erleben müssen, dass sich Investoren direkt an den OB gewandt haben, weil Sie sich von Ihrem Dezernat gegängelt fühlten?
Das ist nicht so oft vorgekommen, wie Sie vermuten. Meistens konnten wir die offenen Fragen direkt mit den Bauherren klären. Gelegentlich war es tatsächlich so, dass Investoren den direkten Weg zum Rathauschef gesucht haben, etwa 2011 im Fall des geplanten Ikea-Möbelzentrums im Neckarpark. Ikea war klar, dass ich ihnen keine Hoffnung machen würde. Dass Investoren sich direkt an den OB wenden, ist keine Stuttgarter Besonderheit.
Apropos Investoren: Was fällt Ihnen zum Stichwort Trump-Tower ein?
Bei einer Besprechung mit OB Schuster und einem Vertreter der Investoren habe ich zum ersten Mal von einem Hochhaus auf dem Pragsattel gehört. Das habe ich nicht für wirklich realistisch gehalten. Eigenartigerweise ist aber auch der Gemeinderat zunächst auf das Vorhaben angesprungen. Ich hatte von Anfang an großes Unbehagen gegenüber dem Projekt und bin daher der feierlichen Präsentation in der Staatsgalerie demonstrativ ferngeblieben. Zudem habe ich meinen Chefjuristen im Planungsamt gebeten, in den fälligen Verträgen eine Kostentragungspflicht der Stadt im Falle eines Ausstiegs zuverlässig zu vermeiden. Am Ende kam es so, dass die Investoren mit ihrer Klage auf Schadenersatz auf ganzer Linie gescheitert sind.
Auch da gab es Differenzen zwischen Ihnen und Wolfgang Schuster . . .
Unsere Einschätzungen waren unterschiedlich. Der OB hat die Chancen gesehen, ich war in Anbetracht der Partner skeptisch. Die Projektbetreiber haben bis zum Schluss keine habhafte Vorvermietung vorlegen können. Am Ende hat auch bei Wolfgang Schuster die Skepsis überwogen.
Ein zweites Stichwort: die geplante Modemeile auf dem Killesberg – ein Projekt des Salzburger Investors Franz Fürst, das auch nie realisiert wurde, obwohl Schuster sich sehr dafür eingesetzt hat.
Fürst war in Salzburg und München für denselben Zweck mit guten und preisgünstigen Gebäuden unterwegs. Am Killesberg waren Bauplatz und Gebäude teurer, das hat er am Ende nicht einfangen können.
Haben Sie den Visionär Schuster mitunter auf den Boden der Realität zurückgeholt?
So explizit würde ich das nicht formulieren. Es war eher so, dass ich an manche Projekte nüchterner herangegangen bin als der OB und er das gespürt hat.