Maurice Sendaks Bücher waren zu ihrer Entstehungszeit umstritten, bevor sie Klassiker wurden. Mit 83 Jahren ist der Autor gestorben.

Kultur: Stefan Kister (kir)

New York - Wölfe im Schafspelz gibt es genug. Das ist eine Erfahrung, die einem in der Regel nicht erspart bleibt. Und vielleicht heißt Erwachsenwerden eben dies: Sich ein geschmeidiges Äußeres zuzulegen, und zu verbergen wissen, wie es sich dahinter verhält. Doch es gibt eine Erfahrung in der Kindheit, vorausgesetzt sie liegt in der Zeit nach 1963, bei der es sich gerade umgekehrt verhält. Und sie ist mit einem Bilderbuch verknüpft, dessen Illustrationen auch dann noch fortwirken, wenn man die Erinnerung an früherer Tage längst in ferne Provinzen der Seele abgeschoben hat. In Maurice Sendaks Buch „Wo die wilden Kerle wohnen“ schlüpft ein zartes Wesen in einen Wolfspelz, um die Wildheit in sich zu entfesseln. Besorgte Eltern und Lehrer liefen beim Erscheinen des Buches Sturm. „Wer glaubt, solche Stoffe seien zu schlimm für Kinder, soll zur Hölle fahren“, beschied der Autor ruppig jenen, die seine Aufforderung zum Toben, Brüllen, Schreien für pädagogisch anstößig hielten.

 

Und vielleicht, weil Sendak nur zu gut wusste, was es heißt sein Inneres zu unterdrücken, gelangen ihm die Eruptionen triebhafter Energie von so glückhaft befreiender Kraft.

Erst im hohen Alter stand er zu seiner Homosexualität

Erst vor vier Jahren sprach Sendak offen über seine Homosexualität und seinen Lebensgefährten, den Psychoanalytiker Eugen Glynn, mit dem er 50 Jahre zusammenlebte. „Ich wollte nach außen immer heterosexuell wahrgenommen werden“, bekannte er der „New York Times“, „meine Eltern sollte es nie erfahren.“ So liegt der Zwang zur Verstellung, zur Verwandlung über diesem Leben, in das Sendak als drittes Kind jüdischer Einwanderer aus Polen hineingeboren wurde. Er wuchs in Brooklyn auf, galt als Eigenbrötler und Außenseiter.

Sein Buch eroberte die Welt, gegen bornierte Pädagogen und Menschen wie den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush, der Sendak für Amerikas Unglück hielt. Dafür las sein Nachfolger Barack Obama im Garten des Regierungssitzes einer Kinderschar aus seinem Hauptwerk vor. 2009 wurde es von Spike Jonze verfilmt. Doch der „Picasso der Kinder“ („Time-Magazin“) zeichnete nicht nur Kinderbücher, er war an der Entwicklung der „Sesamstraße“ beteiligt – das Krümelmonster könnte seine Handschrift tragen – und gestaltete Bühnenbilder für verschiedene Opernhäuser. Vor zehn Jahren bearbeitete er die Oper „Brundibar“ als Kinderbuch, ein Stück, das einst von jüdischen Kindern im KZ Theresienstadt aufgeführt wurde. Sendaks gesamte Familie mütterlicherseits wurde von den Nazis ermordet.

Ein Schlaganfall mit 83

„Die Kindheit ist ein schrecklicher Zustand. Es ist ein Wunder, dass wir überleben und erwachsen werden“, sagte Sendak einmal. Diesem Ernst hat er eines der schönsten Zeugnisse der Kindheit abgerungen. Mit 83 Jahren hat er sich in ein anderes Leben aufgemacht. Sendak starb an den Folgen eines Schlaganfalls. Aber dieses magisch schöne Brüllen, klingt für immer in unseren Ohren nach.