Das Springerarchiv öffnet sich für die 68er- Debatte. Unter Medienarchiv1968.de finden sich rund 5900 Beiträge über die Studentenbewegung.

Stuttgart - Nach den Schüssen auf Rudi Dutschke kurz vor Ostern 1968 versuchten die Studenten in vielen Großstädten Westdeutschlands, die Auslieferung der "Bild"-Zeitung zu verhindern. Auch in Stuttgart gingen Demonstranten auf die Straße und forderten den Boykott von "Bild" - gerade von Verlagen, die am Druck des Titels gutes Geld verdienten.

Während solche Appelle unter anderem in Köln von Erfolg gekrönt waren, stand der Verlag der "Eßlinger Zeitung" aber treu zu seinem Druckauftrag. "Als Demonstrationen in Eßlingen die Auslieferung der ,Bild'-Zeitung verhindern wollten, war auch der Vertrieb der eigenen Zeitungen des Hauses in Gefahr! Ausgerechnet die Oster-Wochenendausgabe", schreibt ,Bild' am 14. April 1968 unter der Überschrift "...und sie standen" über die Verleger-Brüder Bechtle. Denen hatten die Protestler zugesichert, die "Eßlinger Zeitung" durchzulassen, wenn dafür Bild boykottiert würde. Doch die, meldet Springers bis heute marktführendes Boulvardblatt mit ehrlicher Bewunderung, "druckten ,Bild' - und als die Ausfahrten wieder frei waren, fuhren Bechtle-Autos erst die ,Bild'-Zeitung aus und danach das eigene Blatt".

Penibel aufgelistet und aufbereitet


Dass längst nicht nur in Berlin, sondern auch in Stuttgart, Hamburg, Essen und vielen anderen Städten gegen Springer demonstriert wurde und was der Verlag in eigener Sache in seine Blätter rückte, lässt sich seit dem vergangenen Wochenende jetzt erstmals detailliert nachlesen: Unter Medienarchiv1968.de finden sich rund 5900 Beiträge über die Studentenbewegung, penibel aufgelistet und aufbereitet vom Springer-Unternehmensarchiv. Es enthält Artikel aus allen größeren Springer-Blättern ("Bild", "Welt", "Berliner Morgenpost", "B.Z", "Hamburger Abendblatt") Zusätzlich sind knapp 200 Beiträge aus dem bürgerlich-liberalen Berliner "Tagesspiegel" und dem SPD-nahen "Telegraf" im Internet-Archiv eingestellt.

"Zu wissen, wie es wirklich war, ist schon immer ein Grundimpuls des Journalismus und der Geschichtswissenschaft gewesen", so umschreibt Springers heutiger Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner im Editorial Sinn und Zweck des Medienarchivs. Nun gebe es endlich die Möglichkeit, sich differenziert mit der Berichterstattung der Springer-Titel in den Jahren 1966-1968 auseinanderzusetzen. Der Verlag, der bis heute mit seinem Ruf als fanatischer Gegner der 1968er hadert, fordert die Auseinandersetzung mit den Gegnern und von einst und kommt - in eigener Sache - zu einem klaren Schluss: "Die These, das Haus Axel Springer sei eine zentral gelenkte Meinungsmaschine gewesen, welche die Studentenbewegung verhindern wollte, bestätigt sich nicht", so Döpfner.

Doch nun soll eine erneute gesellschaftliche Debatte anbrechen, bei der der Verlag allerdings eine gewisse Deutungshoheit für sich beansprucht. "Mein persönliches, vorläufiges Fazit: Wenn man genauer hinschaut, ergibt sich ein differenziertes Bild", schreibt Döpfner im Editorial weiter: Denn "dass die ,B.Z.' auch schrieb ,Es ist ein Unding, einen Dutschke zum Volksfeind Nr. 1 stempeln zu wollen' (22. Februar 1968)", sei bisher schlicht nicht bekannt gewesen. Oder Bild am 13. April 1968 nach dem Anschlag auf den Studentenführer titelte: "Millionen bangen mit".

Verleumderische Karikaturen


Doch wie passt das dazu, dass sich in Springers Berliner Boulvardblatt ,B.Z.' diese Dutschke-Karikatur findet: Sie zeigt den Vorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) als Anfänger-Hitler mit in SS-Runen geschriebenem SDS-Signet . "Es gibt nichts zu beschönigen", hatte der ,Welt'-Chefredakteur Thomas Schmid am Wochenende in der ,Welt am Sonntag' erklärt: "Etliche Karikaturen, die damals in Blättern des Verlags erschienen, waren verleumderisch, und es gab auch zahlreiche Artikel, in denen die Regeln eines fairen Journalismus schwer verletzt wurden".

Doch seien es deutlich weniger als bisher angenommen. Schon bei der Ankündigung des Archiv-Projekts im vergangenen Jahr hatte er sich beschwert, dass man bisher "die Leistungen dieses Verlags ja fast nicht gewürdigt" habe. Es sei ihm bis heute unerklärlich, so Schmid, "was sich damals festgesetzt hat - das Bild von der ungeheuren Macht Springers".Das ist nicht ohne Ironie - gehörte Schmid in den 1960ern als Student in Frankfurt doch selbst zu den Anti-Springer-Protestlern.

Infos unter http://www.medienarchiv1968.de »