Forscher haben mit Hilfe einer App die Schlafgewohnheiten in der modernen Welt und ihre Folgen untersucht. Demnach schlafen die Menschen in Japan und Singapur am wenigsten.

Stuttgart - Es ist wieder einmal spät geworden, eigentlich wollte man ja schon längst im Bett liegen. Dummerweise führt am nächsten Morgen kein Weg am frühen Aufstehen vorbei. Also kommt der Schlaf wieder einmal zu kurz. In der modernen Welt schießen solche Gedanken zwischen Nordamerika, Europa und Japan offensichtlich sehr vielen Menschen durch den Kopf. Das zeigen jedenfalls Olivia Walch, Amy Cochran und Daniel Forger von der University of Michigan in Ann Arbor im Fachmagazin „Science Advances“.

 

Die US-amerikanischen Mathematiker haben 2014 eine kostenlose App namens „Entrain“ auf den Markt gebracht. Sie soll Reisenden helfen, sich an neue Zeitzonen anzupassen, in denen die Sonne ein paar Stunden früher oder später als zuhause auf- und untergeht. Wer die Tipps aus dem Smartphone zum Vermeiden oder Abmildern eines Jetlags nutzen will, muss die App zunächst mit einigen persönlichen Daten füttern. Geschlecht und Alter etwa beeinflussen die Schlafgewohnheiten deutlich. Wichtig ist auch der Heimatort und seine Zeitzone, sowie vor allem die alltäglichen Gepflogenheiten rund um den Schlaf: Wann geht man normalerweise ins Bett, wann steht man wieder auf. Aber auch, ob man seinen Tag eher im hellen Sonnenschein oder in abgedunkelten Seminarräumen verbringt. Und wie häufig man verreist: Mehrmals in der Woche oder vielleicht weniger als einmal im Jahr?

Aus diesen Daten ermittelt Entrain, wie man die Zeit nach der Ankunft in einer neuen Zeitzone verbringen sollte, um einen Jetlag so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Die App fragt den Nutzer aber auch, ob sie die Grundangaben den Mathematikern in Michigan übermitteln dürfe. Bereits im ersten Jahr sendeten 8070 Geräte diese eingegebenen Daten. Damit hatten die US-Forscher reichlich Datenmaterial, um die Schlafgewohnheiten auf dem Globus zu ermitteln.

Westliche Regionen liefern die meisten Daten

„Allerdings überwiegen die Daten aus den Regionen mit einem westlichen Lebensstil bei weitem“, kommentiert der Schlaf-Forscher Jan Born von der Universität Tübingen die Studie der US-Mathematiker. So kamen allein 45 Prozent aller ausgewerteten Daten aus den USA, neun Prozent aus Australien und fünf Prozent aus Kanada. Die europäischen Länder Großbritannien, Frankreich, Spanien, die Niederlande, Dänemark und Deutschland liefern zusammen weitere 15 Prozent. China, Japan und Singapur bringen es zusammen auf fünf Prozent der Daten. Afrikanische und südamerikanische Länder kommen in der Auswertung nur am Rande vor.

Auf diese Weise haben die Forscher eine ganze Reihe von Ergebnissen erhalten, die allerdings häufig bereits Bekanntes bestätigen. So lautet die zentrale Erkenntnis aus den App-Daten: Kulturelle und soziale Einflüsse können die biologische Uhr des Körpers und seinen natürlichen Schlaf- und Wach-Rhythmus außer Kraft setzen. Das wissen nicht nur Schlaf-Forscher, sondern zum Beispiel auch Schichtarbeiter schon lange, die in der Nacht und den frühen Morgenstunden Dienst schieben. Allerdings wollten die Forscher mit ihrer Studie in erster Linie auch nur zeigen, dass über das Internet und solche Apps die nichtbiologischen Komponenten untersucht werden können, die den Schlaf beeinflussen. Das aber ist ihnen überzeugend gelungen.

Am wenigsten schlafen nach den App-Daten die Menschen in den ohnehin als emsig und fleißig angesehenen Ländern Japan und Singapur mit durchschnittlich sieben Stunden und 24 Minuten. In den Niederlanden gehen es die Menschen dagegen deutlich gemütlicher an und gönnen sich mit acht Stunden und zwölf Minuten den längsten Schlaf in den untersuchten Ländern. Diese 50 zusätzlichen Schlummerminuten können einen wichtigen Unterschied ausmachen. Haben Menschen nur eine halbe Stunde weniger Schlaf als der Durchschnitt, infizieren sie sich zum Beispiel leichter mit Rhino-Viren, die einen Schnupfen auslösen können.

Am Abend gibt es die größten Unterschiede

Ein solches höheres Infektionsrisiko dürften demnach vor allem Männer haben. Sie schlafen nach den App-Daten im Durchschnitt nämlich rund eine halbe Stunde weniger als Frauen. Abgeknapst wird die Schlummerzeit normalerweise am Abend, wenn man seinen Drang in Richtung Schlafzimmer ignoriert: Wer später ins Bett geht, bekommt auch weniger Schlaf, weil sich die Zeit zum Aufstehen oft kaum verschieben lässt. Quer durch die westlichen Länder ändert sich daher an den Aufstehzeiten nicht viel, die Unterschiede zeigen sich vor allem am Abend.

Aber auch der Tageslauf spielt eine wichtige Rolle. Wer tagsüber einige Zeit im Freien unterwegs ist und zum Beispiel als Gärtner arbeitet, geht abends früher ins Bett und bekommt so auch mehr Schlaf als derjenige, der seinen Tag in düsteren Büroräumen fernab jeder Sonnenstrahlen verbringt, zeigen die US-Forscher.

Dieses Mehr an Schlaf aber könnte durchaus wichtig sein. „So scheinen die geistigen Fähigkeiten und die Dauer des Schlafes miteinander verknüpft zu sein“, erklärt Jan Born. Für diesen Zusammenhang gibt es sogar bei relativ einfachen Tieren Hinweise. So schlafen selbst winzige, kaum einen Millimeter lange Fadenwürmer ab und zu. Aber nur, wenn sie auch etwas Neues erleben und dabei etwas lernen. Die Fruchtfliege Drosophila wiederum kennt genau wie wir Menschen auch ausgesprochene Langschläfer und typische Kurzschläfer. Die Fliegen mit weniger Schlafbedürfnis aber scheinen geistig weniger rege zu sein als ihre Artgenossen, die es gemütlicher angehen lassen.

Natürlich lassen solche Zusammenhänge nur schwer Schlussfolgerungen für den Menschen zu. „Allerdings mehren sich die Hinweise, dass der Schlaf wichtig für das Lernen ist“, erklärt Schlaf-Forscher Jan Born, der genau solche Zusammenhänge unter die Lupe nimmt. Dabei sticht ein Hinweis besonders ins Auge: Neugeborene Babys lernen nicht nur viel Neues, sondern schlafen auch viel. Werden die Kinder älter, lernen sie zwar immer noch eifrig, aber im Verhältnis weniger. Gleichzeitig sinkt auch ihr Schlafbedarf. Je älter man wird, umso mehr kann man sich auf seine gesammelten Erfahrungen stützen und muss weniger Neues lernen. Prompt schläft man im Alter weniger, stellen auch die US-Forscher fest. Bisher sind das alles nur auffällige Zusammenhänge. Aber vielleicht können ja weitere Studien mit Hilfe des Internets und weiterer Apps mehr Klarheit über das komplexe Zusammenspiel zwischen Schlaf und Lernen bringen.

Viele Faktoren wirken sich auf das Schlafverhalten aus

Steuerung Nucleus suprachiasmaticus heißt die Kommandozentrale aus rund 20 000 Nervenzellen, die hinter den Augen von Säugetieren deren täglichen Rhythmus steuert. In Ruhephasen gehen viele Funktionen wie Herzschlag und Atemrhythmus runter. Nach dem Aufwachen steigert diese kaum einen Millimeter große Steuereinheit die Aktivität wieder, auch die geistigen Kapazitäten verbessern sich dann enorm.

Rhythmus Die innere Uhr gibt dem Organismus einen Grundrhythmus mit rund 24 Stunden Länge vor. So halten Menschen auch in ständiger Dunkelheit diesen Zyklus von Schlafen und Wachen ungefähr ein. Der Nucleus suprachiasmaticus synchronisiert diesen Grundrhythmus dann mit den tatsächlichen Gegebenheiten: Wann geht die Sonne auf und unter. Bereits eine Lichtstärke von 300 Lux reicht aus, um die innere Uhr zu stellen. Unter einer dicken Wolkendecke erreichen immer noch 8000 Lux den Erdboden.

Schlafdauer Die beste Schlafdauer kann von Mensch zu Mensch deutlich unterschiedlich sein. Sie ist gar nicht so einfach zu ermitteln. Einen guten Anhaltspunkt können die Ferien liefern, meint Schlaf-Forscher Jan Born von der Uni Tübingen: Wer einige Zeit ohne Termindruck ausschläft, sollte nach zwei oder drei Wochen seinen Schlafbedarf abschätzen können.

Routine Eine abendliche Routine hilft dabei, nicht zu spät in den Schlaf zu sinken. So sollte man mindestens eine Stunde vor dem Bettgehen auf geistige und körperliche Höchstleistungen verzichten und den Abend eher gemütlich ausklingen lassen. Da grelles Licht mit hohem Anteil an Blau von der Kommandozentrale hinter den Augen leicht mit hellem Tag verwechselt wird, sollte eher warmes und gedämpftes Licht auf den Schlaf vorbereiten. So kann man die innere Uhr gut stellen.