Technisches Gewebe lässt sich in verschiedenen Formen an immer mehr Stellen im Körper einsetzen. Forscher arbeiten daran, textile Ersatzteile wie beispielsweise Herzklappen reif für die medizinische Praxis zu machen.

Stuttgart - Muskeln, Bänder, Blutgefäße, Haut: Überall im Körper spielen Fasern und Gewebe eine wichtige Rolle. „Wir sind alle textile Produkte“, macht Stefan Jockenhövel anschaulich die Bedeutung der biologischen Faserstrukturen für die Köperstabilität klar. Der Herzchirurg an der RWTH Aachen ist zugleich Textilforscher. Mit seinem Team forscht er an einer faserverstärkten Herzklappe.

 

Dies ist nur ein Beispiel, wie die technische Textilien zunehmend auch die Medizin Anwendung finden. „Heute reicht das Einsatzgebiet von Wundverbänden, die den Heilungsprozess von Verletzungen beschleunigen, über antimikrobielle OP-Textilien bis hin zu künstlichen Textil-Implantaten für Blutgefäße, Knochen, Knorpel, Haut und Fettgewebe“, sagt Klaus Jansen, der Geschäftsführer des Forschungskuratoriums Textil ist.

Gebärmutter als intelligentes Textilprodukt

Und die Wissenschaftler forschen weiter: Im Hohenstein Institut für Textilinnovation im schwäbischen Bönnigheim wird derzeit eine künstliche Gebärmutter als intelligentes Textilprodukt zur Stimulation von Frühchen entwickelt. Die Technische Universität Dresden wiederum experimentiert zusammen mit der dortigen Uniklinik mit textilen Sensoren, die in Wunden eingebracht werden und von dort aus über den Heilungsverlauf an den Arzt berichten. „All diese Innovationen in der Medizintechnik sind ein wesentliches Kernelement der neuen Hightech-Strategie der Bundesregierung, die damit auch die textile Forschungen fördert“, freut sich Jansen.

Dass dies nicht immer einfach ist, zeigt die Herzklappenprothese der Aachener Forscher. Die synthetische Textilstruktur, welche die in Form einer Taschenklappe hat, wird mit körpereigenen Zellen des Patienten besiedelt. „Dabei verbinden wir die Vorteile der beiden Welten in denen ich arbeite – nämlich die neuesten Erkenntnisse aus Textiltechnik und Biologie. Das nennen wir biohybrid“, sagt Jockenhövel

Tierische Herzklappen bereiten Probleme

Herzklappen arbeiten wie mechanische Ventile und bewirken durch ihr Öffnen und Schließen, dass das Blut nur in einer Richtung fließt. Wenn sie fehlen oder beschädigt sind, müssen sie ersetzt werden. Bisher gab es zwei Möglichkeiten: künstliche also mechanische Herzklappen oder biologische Herzklappen, die meistens von Schweinen stammen. Beide sind aber problematisch. Nach Implantation einer mechanischen Klappe muss der Patient lebenslang Blut verdünnende Mittel nehmen, zudem kann sie unangenehm laut sein. Herzklappen aus Tieren wiederum verschleißen vor allem bei jüngeren Patienten schnell oder sie verkalken. Häufig macht das den Ersatz der Prothese erforderlich – und damit eine neue Operation. „Bei Kindern kann das schon nach ein bis zwei Jahren nach der Operation der ersten Klappe der Fall sein“, sagt Jockenhövel.

In Aachen benutzen die Wissenschaftler ein Textilgewebe, mit dem sie die Anordnung von Kollagen- und Elastinfasern nachbilden, so wie sie sich auch von Natur aus in einem menschlichen Klappensegel befinden. „Da bei Erwachsenen etwa 95 Prozent der Herzklappenfehler im Hochdrucksystems der linken Herzhälfte auftreten, ist es entscheidend, dass wir die Klappenprothesen mit Textilfasern verstärken“, sagt Jockenhövel. Nur so könne die dort arbeitende Mitralklappe die hohen Drücke aushalten.

Faserverstärkte künstliche Herzklappen

Später wird das Fasergewebe in einem speziell entwickelten Verfahren mit einem Fibrinogen-Zell-Gemisch des Empfängerpatienten vergossen. Das Implantat wird dann in Bioreaktoren wie in einer Art Fitness-Studio so lange trainiert und an die Druck- und Flussbedingungen des Körpers gewöhnt, bis es optimal funktioniert und eingepflanzt werden kann. Die Vorteile bei der Transplantation solcher faserverstärkter Herzklappenprothesen aus Eigenzellen sind vielfältig: keine Abstoßungsreaktionen, keine allergischen Reaktionen, ein geringeres Infektionsrisiko und keine Warteliste wie bei Organverpflanzungen. „Derzeit werden die Klappen im Tierversuch bei Schafen getestet, und in vier bis fünf Jahren könnte eine solche Klappe auch erstmals im Menschen schlagen“, prophezeit Jockenhövel.

Ein ganz anders Organ auf Basis von Textiltechnik wird derzeit von der Heilbronner Firma Xenios gemeinsam mit dem Hohenstein Institut für Textilinnovation entwickelt: eine tragbare künstliche Lunge. Sie wird für Patienten mit der unheilbaren Chronisch Obstruktiven Lungenkrankheit COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Disease, auch als Raucherlunge bekannt) konzipiert. Diese Patienten brauchen eine künstliche Lunge, die an ihren Blutkreislauf angeschlossen wird und den Gasaustausch bewerkstelligt, den die geschädigte Lunge nicht mehr leisten kann.

Künstliche Lunge aus Textilmatten

Auch die Sauerstoffversorgung der Patienten durch die Lunge beruht auf Textiltechnik. Ein Gelege von sogenannten PMP- Matten – sie bestehen aus Polymethylpenten – ermöglicht den Gastaustausch im Blut. Dafür wird das Blut kontinuierlich durch die Textilmatten gepumpt, die das Kohlendioxid aus ihm entfernen und es mit Sauerstoff anreichern. Das aufbereitete Blut wird dann zum Patienten zurückgeführt und ersetzt so den Gasaustausch wie in einer richtigen Lunge. „Die Kunst ist es, dass das Blut möglichst wenig verwirbelt und geschädigt wird und trotzdem ein effizienter Gasaustausch erreicht werden kann, also dass möglichst viel CO2 pro Milliliter Blut und Zeit entfernt wird“, sagt Timo Hammer, Produktmanager von Xenios.

„Die Anordnung der PMP-Matten sowie auch die Anströmung der Matten mit dem Blut wurden von uns so optimiert, dass wir mit der nahezu halben Größe der bisherigen Gasaustauscher die gleiche CO2-Reduktion erzielen,“ berichtet der Biologe. Dadurch konnten die Komponenten so klein werden, dass die Lunge jetzt tragbar ist. Dies bedeutet für die Patienten eine enorme Verbesserung der Lebensqualität und die Möglichkeit, aktiv an allen Therapien im Krankenhaus teilzunehmen. Erste klinische Einsätze sind ab 2017 geplant.

Textilien in der Medizin

Wundabdeckung
Die Geschichte von Textilien in der Medizin reicht bis in die Zeiten der Pharaonen zurück. Wundabdeckungen aus Gewebe waren im alten Ägypten genauso gefragt wie chirurgische Fäden aus Leinen.

Forschung
Einen Meilenstein in der medizinischen Textilforschung machte Heinrich Planck, der bis 2013 das Institut für Textil- und Verfahrenstechnik (ITV) in Denkendorf leitete und Professor an der Uni Stuttgart war. Er entwickelte die erste textile Schlagader nach dem Vorbild der Natur und legte damit den Grundstein für die Implantation textiler Strukturen in den menschlichen Körper.