Ibuprofen und Diclofenac können ernste Nebenwirkungen haben, wenn man sie dauerhaft einnimmt. Das haben Schweizer Forscher herausgefunden.

Stuttgart - Schmerzmittel geraten aufgrund ihrer Nebenwirkungen immer wieder in die Kritik. Nun hat ein Schweizer Forschungsteam im Fachmagazin "British Medical Journal" Ergebnisse veröffentlicht, die neuen Stoff in die Debatte bringen. Ausgerechnet die verbreiteten Schmerzmittel Diclofenac und Ibuprofen erhöhen nach den Ergebnissen der Forscher das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Bei Ibuprofen fanden die Mediziner auch Hinweise auf ein erhöhtes Herzinfarktrisiko.

 

Die Forschergruppe um Peter Jüni von der Universität Bern hat Patientendaten von mehr als 116.000 Menschen analysiert, die mindestens ein Jahr lang entweder ein Placebo oder ein Medikament aus der Klasse der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) einnahmen, zu der auch Ibuprofen und Diclofenac gehören. Nichtsteroidale Antirheumatika hemmen die Wirkung des Enzyms Cyclooxygenase (Cox), das unter anderem Stoffe produziert, die für das Schmerzempfinden und für Entzündungsreaktionen verantwortlich sind.

Die Nebenwirkungen treten auf, weil das Enzym mehr als nur diese Funktion erfüllt. Es spielt unter anderem eine Rolle im Schutz des Magen-Darm-Trakts. Deshalb können die Medikamente dort gefährliche Nebenwirkungen hervorrufen.

Eine Lösung für dieses Problem schienen Mediziner Ende der 90er Jahre mit den sogenannten selektiven Cox-2-Hemmern gefunden zu haben: Diese Stoffe blockieren nur eine der beiden Varianten des Enzyms. Damals dachten Mediziner, dass die Variante Cox-2 keine Rolle beim Schutz der Magenschleimhaut spiele. Aber die Wirkung des Enzyms - und damit auch der Medikamente - sei vielschichtiger als zunächst angenommen, berichtet Gerhard Müller-Schwefe, Schmerzmediziner aus Göppingen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie. Patienten, die mit Cox-2-Hemmern behandelt wurden, litten häufiger unter Schlaganfällen, Herzinfarkten und Nierenschädigung. Als 2004 der Cox-2-Hemmer Vioxx wegen des erhöhten Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen vom Markt genommen werden musste und ein Jahr später Bextra aus ähnlichen Gründen folgte, war das Vertrauen in diese Wirkstoffklasse gesunken.

Seither werden die Cox-2-Hemmer genauer untersucht. Zu Beginn vermutete man noch, dass die negativen Auswirkungen nur diesen speziellen Stoffen zuzuschreiben seien. Bald verstärkte sich aber der Verdacht, dass das Phänomen auch bei anderen Schmerzmitteln der NSAR auftritt. Also wurden auch sie, darunter Ibuprofen und Diclofenac, wieder stärker unter die Lupe genommen.

Freier Verkauf ist problematisch

Das haben auch die Verfasser der nun erschienen Analyse getan. Die Forscher aus Bern untersuchten bei sieben Schmerzmitteln, wie oft die Behandelten einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten oder aufgrund von Herz-Kreislauf-Problemen starben. Dabei verglichen sie die verschiedenen Patientengruppen sowohl untereinander als auch mit Patienten, die ein Placebo, also ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff, erhielten. Das überraschende Ergebnis: Ibuprofen brachte unter allen getesteten Wirkstoffen das höchste Risiko für einen Schlaganfall mit sich, gefolgt von Diclofenac. Das Risiko war bei Einnahme dieser Mittel etwa dreimal höher als bei der Einnahme eines Placebos. Bei Ibuprofen war außerdem das Herzinfarktrisiko um mehr als das Eineinhalbfache gegenüber Placebo erhöht, und bis auf einen Wirkstoff erhöhen der Analyse nach alle getesteten Substanzen das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben.

Besonders brisant: Ibuprofen und Diclofenac sind rezeptfrei erhältlich. Dadurch könnte sich in der Öffentlichkeit der Eindruck verstärken, die Mittel seien harmlos, warnt Müller-Schwefe. "Ich und auch die Fachgesellschaft, in der ich tätig bin, halten es für grob fahrlässig, dass solche Medikamente frei verkäuflich sind." Auch Joachim Röther, Vorsitzender der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft, hält den freien Verkauf für problematisch und betont, die Mittel müssten "ganz klar rezeptpflichtig" sein.

Die Häufigkeit der Schlaganfälle sei in der aktuellen Studie jedoch gering gewesen, räumen die Verfasser ein. Von den Patienten, die ein Placebo erhielten, erlitten 57 einen Schlaganfall. Gemessen an der Gesamtzahl vieler tausend Patienten sind das laut Röther sehr wenige. Wenn so wenige Fälle vorlägen, bedeute auch ein dreifach erhöhtes Risiko keine deutlich höhere Zahl der Fälle, gibt der Mediziner zu bedenken.

Wenn ein gesunder, noch dazu junger Mensch für einige Tage ein Schmerzmittel einnehme, so bedeute das nicht, dass er nun einen Schlaganfall befürchten müsse, erläutert Röther. Anders verhalte es sich, wenn ein Gefäßpatient mit mehreren Risikofaktoren - Rauchen, Übergewicht oder Bluthochdruck - über lange Zeit Schmerzmittel einnehme. Dann sei das Risiko für einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt deutlich erhöht. Die chronische Einnahme müsse daher in solchen Fällen unterbunden werden, so der Mediziner.

Umstritten ist unter Experten immer noch, wie es sich auswirkt, wenn die Medikamente nur über kurze Zeit hinweg eingenommen werden. Die aktuelle Studie bezieht sich zwar eindeutig auf eine langfristige Einnahme, doch verschiedene Untersuchungen aus den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass das Herz-Kreislauf-Risiko auch bei einer Einnahme über wenige Wochen schon steigt. Laut einer Studie aus Finnland aus dem Jahr 2006, in der das Herzinfarktrisiko während und nach der Einnahme von NSAR untersucht wurde, ist das Risiko jedoch nur während der Einnahme erhöht und sinkt danach wieder ab.

Müller-Schwefe empfiehlt daher auch Personen, die immer wieder auf Schmerzmittel zurückgreifen, einen Arzt zurate zu ziehen. Denn wichtig sei immer, dasjenige Medikament auszuwählen, das für den einzelnen Patienten am wenigsten riskant ist. Er und Röther empfehlen Patienten, die über lange Zeit regelmäßig Schmerzmittel einnehmen, den Arzt zu konsultieren. Dieser könne dann klären, ob überhaupt ein Schmerzmittel benötigt wird oder ob andere Maßnahmen helfen können, beispielsweise auch eine intensive Physiotherapie.