Laut einer Studie in den USA verkürzt langes Sitzen das Leben. Ob das stimmt, ist eine andere Frage. Ratsam ist auf alle Fälle mehr Bewegung zwischendurch – auch im Büro.

Stuttgart - Weniger sitzen und weniger fernsehen, das könnte ein längeres Leben bedeuten. Die Forscher einer Studie aus den USA (erschienen im British Medical Journal, BMJ) haben in einer umfangreichen Analyse errechnet, dass ein Mensch, der es schafft, weniger als drei Stunden am Tag zu sitzen, bis zu zwei Jahre länger lebt. Um wem es gelingt, weniger als zwei Stunden am Tag fernzusehen, der gewinnt 1,4 Lebensjahre hinzu. Im Umkehrschluss heißt das: Sitzen und Fernsehen verkürzen die Lebenszeit.

 

Wer jetzt ängstlich vom Bürostuhl aufspringt, dem sei zur Beruhigung gesagt: Es ist nur eine statistische Rechnung, die darauf hinweist, dass es zwischen Bewegung und Lebenserwartung einen Zusammenhang gibt. Dieser Zusammenhang muss nicht für jeden Einzelnen gelten, und er darf nicht als Beleg dafür gesehen werden, dass mehr Bewegung direkt zu einer höheren Lebenserwartung führt, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass wichtige Faktoren in der Statistik nicht auftauchen. Also erst einmal sitzen bleiben.

Doch die Botschaft wird von Ärzten bestätigt: Sie gehen gemeinhin davon aus, dass Bewegungsmangel und Behäbigkeit chronische Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Probleme und Bandscheibenvorfälle begünstigen. Dieser Ansicht ist auch Ulrich Leyerer, stellvertretender Leiter der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im Klinikum Stuttgart. „Das eine rein sitzende Tätigkeit nicht gesund ist, das ist sicher“, sagt er. Die Angaben zur Lebensdauer will er nicht überbewerten, doch das Resultat weist in die richtige Richtung.

Fünf Einzelstudien

In ihre Analyse haben Peter Katzmarzyk von der staatlichen Universität des US-Bundesstaats Louisiana und I-Min Lee von der Harvard-Universität fünf Einzelstudien aus den vergangenen Jahren aufgenommen, an denen zusammen knapp 167 000 Amerikaner teilgenommen haben. Die Probanden mussten Angaben dazu machen, wie viel Zeit am Tag sie sitzend verbringen – zum Beispiel vor dem Fernseher. Längere Zeit im Sitzen und vor dem Fernseher habe das Potenzial, die Lebenserwartung in den USA zu verringern, schreiben die beiden Forscher. Welche Sitzdauer noch als unbedenklich gilt und ab wann es gesundheitsschädlich wird, das müssten weitere Studien beantworten.

Um zu solchen Aussagen zu kommen, helfen sogenannte Interventionsstudien. Hierbei werden den Versuchsteilnehmern Aufgaben zugeteilt: die einen müssen sich mehr bewegen, während die anderen – zu Vergleichszwecken – so weiterleben wie bisher. Erst wenn sich bei einem solchen Experiment zeigen sollte, dass die Probanden mit mehr Bewegung gesünder sind und länger leben als die anderen, wären Ursache und Wirkung klar zu erkennen. Derweil belassen es Katzmarzyk und Lee bei Empfehlungen wie der, im Büro lieber aufzustehen und zum Kollegen im Nachbarbüro zu gehen, als ihm eine E-Mail zu schreiben.

Sollten sich die Studienergebnisse bestätigen lassen, werde sich der typische Arbeitsplatz von heute wohl stark verändern, sagt Ulrich Leyerer. Bereits jetzt gebe es große Firmen wie Google, die ganz bewusst Arbeitsplätze mit Bewegung schaffen, berichtet er. Dort gibt es Gummibälle zum Sitzen, Massagestühle, Kletterwände und andere Angebote, welche die Mitarbeiter zu Bewegung motivieren sollen. Leyerer erwartet, dass solche Beispiele in den kommenden Jahren Schule machen werden. Studien, die untersuchen, wie die Sitzdauer im Arbeitsalltag verringert werden kann, laufen bereits.

„Man muss sich zwingen“

Doch sich dauerhaft regelmäßig zu motivieren, ist nicht ganz einfach. Standardisierte Übungen in den Büroalltag zu integrieren sei wünschenswert, sagt Leyerer, nur das dann auch einzuhalten, ein anderes Thema. „Man muss sich zwingen“, sagt der Chirurg. Wer einen Hund habe, sei im Vorteil: der müsse morgens und abends einfach aus dem Haus und spazieren gehen. Ohne Druck funktioniere es eben meistens nicht.

Im Büro, so beobachtet es Leyerer, achtet man seltener auf seine Gesundheit als in den eigenen vier Wänden. Während zu Hause das bequeme Sofa und die rückenfreundliche Matratze warten, ist im Büro oft nicht einmal der Bürostuhl richtig eingestellt. Dabei verbringen viele Menschen viel Zeit auf diesem Sitzplatz.

Bürostuhl sollte nach vorne kippen können

Sitzen sei auf Dauer nicht gesund, weil sowohl die Bandscheibe, das Knochengewebe und der Meniskus nur durch Druck und Entlastung richtig durchblutet und somit ernährt werden, erläutert Leyerer. Das schützt vor Bandscheibenvorfällen, und im Fall des Knochengewebes dient es als Vorbeugung zu Osteoporose. Der wichtige Wechsel zwischen Druck und Entlastung komme zustande, wenn man sich bewegt. Es genügen schon kleine Bewegungen und ein regelmäßiger Positionswechsel.

„Es ist wichtig, dass sich der Bürostuhl nicht nur nach hinten kippen lässt, sondern auch nach vorne“, sagt Leyerer. So wird das Becken etwas nach vorne geschoben und die Gesäßmuskeln bleiben aktiv, weil das Gleichgewicht gehalten werden muss. Und die denkbar schlechteste Position, sich nämlich nach hinten in den Stuhl zu lümmeln, wird auf diese Weise verhindert. „Dabei wird die Wirbelsäule überdehnt und zu viel Druck auf die Bandscheibe ausgeübt“, sagt Leyerer. Um Herz-Kreislauf-Problemen vorzubeugen, hilft allerdings nicht der richtige Bürostuhl. Der Rat lautet hier: Spazierengehen, Schwimmen oder Fahrradfahren. Nicht zuletzt, wirbt Leyerer, sei Bewegung auch für die Verdauung wichtig.

Tipps fürs Büro

Gewohnheiten
Es sind die Klassiker, aber sie helfen. Wer die Treppe statt den Aufzug nimmt, bewegt sich nun einmal mehr. Liegen Unterlagen nicht in Reichweite, sondern auf dem Nebentisch, muss man automatisch ab und an aufstehen und sich bewegen. Beim Telefonieren aufzustehen, ist auch keine große Hürde, und wer sagt eigentlich, dass Besprechungen sitzend am Konferenztisch abgehalten werden müssen? Absprachen können auch im Stehen getroffen werden. Statt eine E-Mail zu schreiben, kurz beim Kollegen vorbeizuschauen, bringt zusätzliche Laufmeter für den Tag. Spaziergehen in der Mittagspause ist eine weitere Empfehlung, genauso wie den Arbeitsweg statt mit dem Auto öfters per Fahrrad zu meistern. Wer zur Arbeit joggt oder radelt, ist allerdings häufig darauf angewiesen, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit anbietet, vor Ort duschen oder sich umziehen zu können.

Arbeitsplatz
Der Arbeitsplatz sollte auf den Arbeitenden eingestellt sein. Das beginnt schon beim Bürostuhl. Der Stuttgarter Chirurg Ulrich Leyerer empfiehlt einen Stuhl, dessen Sitzfläche auch nach vorne kippbar ist – und nicht nur, wie üblich, nach hinten nachgibt. Wer weiter vorne auf seinem Stuhl sitzt, sitzt aktiv und beansprucht Bein-und Gesäßmuskulatur. Wer sich immer nur nach hinten lehnt, übt dauerhaft zu starken Druck auf die Bandscheiben aus. Ein Sitzball fördert ebenfalls das aktive Sitzen, allerdings kann er wegrutschen und so zu eventuell ganz anderen Verletzungen im Büro führen. Ein Stehpult kann den Schreibtisch sinnvoll ergänzen, da zur Abwechslung auch im Stehen gearbeitet werden kann. Höhenverstellbare Schreibtische sind kein Muss, sagt Leyerer, bei chronischen Rückenproblemen aber eine sinnvolle Anschaffung. Wichtig sei es in jedem Fall, regelmäßig die Position zu wechseln – und immer wieder einmal aufzustehen.

Statistik
Einer Studie zufolge verbringt der durchschnittliche erwachsene Amerikaner 55 Prozent seines Tages sitzend: im Büro, vor dem Fernseher oder im Lesesessel. Die Befragung in 20 Ländern weltweit hat ergeben, dass ein Mensch im Durchschnitt fünf Stunden pro Tag sitzt.