Wie wirkt die „Pille“ nach einer Befruchtung? Experten fordern mehr Aufklärung zur Wirkungsweise oraler Verhütungsmittel – und mehr unabhängige Forschung auf diesem Gebiet.

Stuttgart - Wie gut sind Frauen über die „Pille“ informiert? Die Frage klingt banal, schließlich leben wir im 21. Jahrhundert. Aber so einfach ist das nicht, wie eine neue, von den Autoren als repräsentativ bezeichnete europäische Studie zeigt. Denn viele Frauen wissen nicht, dass die Pille möglicherweise auch jenseits der Befruchtung wirken und sogenannte Postfertilisations-Effekte auslösen könnte. Je nach ethisch-moralischer Überzeugung – so das Ergebnis der Studie – würde jede dritte Frau in Europa eine solche Wirkungsweise ablehnen.

 

In der Studie befragten Gesundheitsforscher der Universitäten Navarra, Bielefeld und Bremen 1137 Frauen zwischen 18 und 49 Jahren in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden und Rumänien, ob sie auch eine Verhütungsmethode mit Postfertilisations-Effekten anwenden würden, falls sie von solchen Wirkungen wüssten. Die Ergebnisse variierten je nach Nationalität zum Teil deutlich: In Deutschland akzeptierte etwa nur jede dritte Befragte eine Methode, die auch nach der Befruchtung wirkt, in Frankreich und Schweden war es dagegen jede zweite. Eine Pille, die auch jenseits der Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut wirkt, stieß bei den Deutschen im europäischen Vergleich auf die größte Abneigung (63 Prozent), bei den Schwedinnen auf die geringsten Bedenken (37 Prozent).

Es gibt Effekte nach der Befruchtung

Konkret bedeute das, so Studienleiterin Cristina López-del Burgo von der Universität Navarra, dass Ärzte nicht nur über Effektivität, Vorteile und mögliche Gegenanzeigen der Pille informieren sollten, sondern auch ihren Wirkungsmechanismus erläutern müssten. Sie plädiert daher für eine Sprachregelung, die der amerikanische Mediziner Walter L. Larimore von der Universität in Südflorida vorgeschlagen hat: „Meist verhindert die Pille den Eisprung. Trotzdem können Frauen trotz Pille manchmal schwanger werden. Einige Ärzte vertreten die Ansicht, dass die Pille zu Verlusten in der Frühschwangerschaft führt, bevor Sie überhaupt von einer Schwangerschaft erfahren haben. Wäre es für Ihre Entscheidung, die Pille zu nutzen, wichtig, mehr darüber zu erfahren?“

Larimore zeigte sich im Jahr 2000 selbst überrascht, als Kollegen ihn auf die Möglichkeit der Postfertilisations-Effekte hinwiesen, von denen in den Packungsbeilagen nicht die Rede war. Er ging der Sache nach, durchforstete gemeinsam mit seinem Kollegen Joseph B. Stanford von der Universität in Utah sämtliche seit 1970 erschienenen Studien zu oralen Verhütungsmitteln und nahm auch deren Beipackzettel unter die Lupe. Fazit: es gebe gute Beweise, welche die Annahme stützen, dass die Effektivität hormoneller Verhütungsmittel zu einem Teil auf Postfertilisations-Effekten beruhe. Doch diese Effekte seien niemals systematisch untersucht worden und tauchten deshalb auch nicht explizit in den Packungsbeilagen auf. Die Hersteller verschweigen sie aus wirtschaftlichen Gründen, mutmaßten die Autoren.

Nur die Wirkstoffe werden genannt

Tatsächlich gibt es im Beipackzettel der Antibabypille Valette – der Nummer eins auf dem deutschen Markt – keine Hinweise auf derartige Effekte. Der Hersteller Jenapharm beschränkt sich auf die Nennung der Wirkstoffe: Gelbkörperhormon und Östrogen. Beim Konkurrenzprodukt Belara – Zulassungsinhaber ist die ungarische Firma Gedeon Richter – wird unter dem Stichwort „Pharmakologische Eigenschaften“ immerhin angedeutet: Die Pille wirkt nicht nur primär, sondern auch sekundär. Für den Fall, dass es doch zu einem Eisprung, einer Befruchtung oder gar Einnistung kommt, bewirkt die Pille a) zusätzlich eine Bewegungseinschränkung der Spermien und b) eine Veränderung der Gebärmutter- und der Gebärmutterhalsschleimhaut.

Larimore gewann im Laufe seiner Recherche die Überzeugung, dass diese Sekundäreffekte nicht selten vorkämen. Stichhaltige Zahlen konnte er indes nicht nennen. Trotzdem zog er die Schlussfolgerung: Die Effektivität hormoneller Verhütungsmittel gründet zu einem guten Teil auf Postfertilisations-Effekten. Darüber müssten Patientinnen aufgeklärt werden.

Wünschenswerte Forschung von unabhängiger Seite

Diese Ansicht vertritt auch der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio. Zunächst wäre es allerdings „wünschenswert“, dass eine der großen unabhängigen Forschungsinstitutionen, etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder das Bundesforschungsministerium, „ein Programm auflegte, um diese Frage industrieunabhängig zu klären“. Das Dilemma sei nämlich, dass es bislang keine wirklich verlässlichen Daten gebe. Das wiederum sei auch „interessensgeleitet“, weil die Pharmaindustrie kein Interesse daran habe, die genauen Wirkungsmechanismen zu erforschen. Das Einzige, was für die Hersteller und für viele Ärzte zähle, sei die Sicherheit der Methode und weniger der Wirkungsmechanismus als solcher, sagt Maio. Letzterer sei „allen Hinweisen zum Trotz immer noch relativ unklar“.

Auch Julia Bartley, Oberärztin an der Frauenklinik Charité und Leiterin der gynäkologischen Endokrinologie, plädiert für mehr Forschung und Aufklärung. Der Wirkungsmechanismus der Pille sei zwar sehr gut untersucht, und man wisse, dass sie den Eisprung hemme. „Aber sicher ausschließen können wir eine postkonzeptionelle Wirkung letztendlich nicht. Dazu fehlt uns ein ‚Konzeptionsmarker‘. Solange wir den nicht haben, fehlt uns der Beweis, welche Wirkung die Pille auf die Entwicklung und Einnistung des Eis hat.“ Der Zeitraum zwischen Befruchtung und Einnistung des Eis sei „weiterhin eine Art Blackbox, an die wir nicht gut rankommen“.

Die „Pille“ als Blackbox

Zwar gebe es sogenannte Pillenversager, also Frauen, die trotz Pilleneinnahme schwanger geworden seien. Daher wisse man, dass man auch unter der Pilleneinnahme schwanger werden könne. Daraus könne man aber nicht schließen, so Bartley, dass die Pille gar keinen Effekt auf die Entwicklung und Einnistung einer befruchteten Eizelle habe. „Da stehen wir wieder vor der Blackbox“, sagt die Ärztin. Valette-Hersteller Jenapharm sieht das anders: Aus der Tatsache, dass es Pillenversager gebe, lasse sich nicht ableiten, dass eine Pille nach der Befruchtung noch wirke.

„Wäre dies der Fall, würde es diese Schwangerschaften nicht geben“, sagt ein Sprecher und verweist auf den „primären Wirkungsmechanismus Ovulationshemmung“ von Valette sowie auf eine spezielle Ovulationshemmstudie an 22 Frauen, bei der keine einzige Frau einen Eisprung bekommen habe. Die Studie hatte der Hersteller damals gemeinsam mit der Universität Jena durchgeführt. Eine Erläuterung der Wirkungsweise auf dem Beipackzettel sei vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Jenapharm sieht deshalb allein den Arzt in der Aufklärungspflicht, der Angaben zu den Wirkungsmechanismen in der Fachinformation finde.

Wenn es Hinweise auf Postfertilisations-Effekte gebe, sagt der Medizinethiker Maio, dann müsse man auch darüber sprechen. Das Argument, man würde Frauen damit verunsichern, zählt für ihn nicht: „Man ist es der Mündigkeit der Frauen schuldig, über diese Unsicherheiten zu sprechen und keine falsche Sicherheit beziehungsweise Scheinsicherheit zu suggerieren.“ Ein Verschonen der Frau bedeute eine „Form des Paternalismus, die man nicht akzeptieren darf“.

Wie Frauen Verhütungsmethoden akzeptieren

Ethik Laut einer neuen europäischen Studie beginnt für jede dritte Frau menschliches Leben mit der Befruchtung. Obwohl die befragten Frauen eher wenig religiös waren, hielten sie es aus ethisch-moralischen Gründen für wichtig, zwischen spontanen und künstlich herbeigeführten Embryonenverlusten zu unterscheiden.

Umfeld Höherer Bildungsgrad führte zu einer stärkeren Akzeptanz für Methoden, die auch nach einer Befruchtung wirksam sind. Bei religiöseren und/oder verheirateten Frauen sank die Akzeptanz.

Aufklärung Die Studie appelliert deshalb an die Ärzte, Frauen besser über die Wirkungsmechanismen von Verhütungsmethoden – vor allem der „Pille“ – aufzuklären.