Fast jede zweite Arztstelle ist unbesetzt. Verteidiger und Insassen beklagen eine schlechte medizinische Versorgung in der JVA Stuttgart.

Im baden-württembergischen Justizvollzug waren zuletzt nur 30,3 von 48,8 Arztstellen besetzt. Auch Pflegekräfte werden händeringend gesucht. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stuttgart-Stammheim, wo die meisten der rund 700 Insassen Untersuchungshäftlinge sind, ist der Anstaltsarzt mit der medizinischen Versorgung weitgehend auf sich allein gestellt, obwohl dort eigentlich 2,5 Stellen vorgesehen sind. Gefangene haben einen gleichwertigen Anspruch auf medizinische Versorgung wie gesetzlich Krankenversicherte außerhalb des Justizvollzuges.

 

Es ist schwierig, Fachärzte zu finden

Das Justizministerium vergleicht die Lage „mit der Situation im Gesundheitswesen, die von hoher Fluktuation gekennzeichnet“ sei. Defizite gibt es auch bei der Betreuung durch externe Fachärzte. In der vornehmlich von Männern belegten Justizvollzugsanstalt (JVA) Stammheim gab es zuletzt keine Behandlungen durch einen Urologen. Arzttermine außerhalb des Gefängnisses sind mit erheblichem Personalaufwand verbunden.

Laut Landesärztekammer ist es nur sehr schwer möglich, Fachärzte zu finden, die Kapazitäten für Einsätze hinter Gefängnismauern haben. Neben dem gewöhnungsbedürftigen Arbeitsumfeld dürfte auch der Verdienst ein Hemmnis sein, sich für eine Arbeit im Knast zu entscheiden. Eine Honorierung nicht als Fach-, sondern als Oberarzt sei rechtlich nur im Gefängniskrankenhaus möglich, so ein Ministeriumssprecher. Auch auf Unterstützung von Assistenzärzten kann Anstaltsleiter Matthias Nagel in Stuttgart nicht hoffen, weil sein Mediziner nicht zur Ausbildung berechtigt ist.

Der Anstaltsarzt in Stammheim führt jährlich rund 3300 Eingangsuntersuchungen durch, die meisten Häftlinge sind krank. Er ist auch als Suchtmediziner im Einsatz, arbeitet die Substitutionsangebote aus und organisiert die Medikamentenvergabe. Die medizinische Versorgung steht allerdings in der Kritik, es hagelt Beschwerden und Anzeigen durch die Häftlingsvertretung und Verteidiger von Insassen wegen angeblich unterlassener Hilfeleistung. Der Hauptvorwurf: Krankmeldungen würden ignoriert und die Insassen nicht zeitnah untersucht.

Öffentlich wurde Kritik zuletzt im Klinikum-Betrugsverfahren vor dem Stuttgarter Landgericht durch die Anwälte Martin Stirnweiß und Matthias Sigmund geäußert. Ihrem Mandanten soll trotz starker Ohrenschmerzen monatelang eine ärztliche Versorgung versagt worden sein. Im Urteil wurde ein dauerhafter Schaden strafmildernd berücksichtigt. Die Anwälte haben den Anstaltsarzt wegen des Verdachts der vorsätzlichen Körperverletzung angezeigt. Aber auch diese Anzeige bei der Staatsanwaltschaft blieb mit dem Hinweis auf den Ermessensspielraum des Arztes erfolglos.