Durch den steigenden Gehalt an Kohlendioxid in der Atmosphäre ändert sich nicht nur das Klima, sondern auch der Säuregrad der Meere. Kieler Wissenschaftler erforschen in großen Plastiksäcken, wie die Ökosysteme darauf reagieren.

Stuttgart - Der eisige Fahrtwind peitscht Ulf Riebesell ins Gesicht. Der Meeresbiologe vom Kieler Ozeanforschungszentrum Geomar steuert das offene Aluboot Wassermann im schwedischen Gullmarfjord nördlich von Göteborg auf ein ganz besonderes Experimentierfeld zu: Im tiefen Fjord sind zehn sogenannte Mesokosmen verankert. Diese senkrecht im Wasser schwimmenden, rund 20 Meter langen Plastikschläuche fassen etwa 55 000 Liter Wasser und stellen damit eine eigene, vom übrigen Fjordwasser völlig abgeschirmte Lebenswelt dar.

 

Der wissenschaftliche Clou dabei: in den riesigen Schläuchen lässt sich eine biologische Zeitreise zum Ende des Jahrhunderts simulieren. Bis dahin soll nach den Prognosen der Klimaforscher der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre von heute etwa 400 ppm CO2 – also 400 Teilen CO2 pro eine Million Teile Luft – auf 1000 ppm ansteigen. Wie sich das auf die Ozeane und ihre Lebensgemeinschaften auswirkt, das wollen die Kieler Meeresforscher mit ihren Mesokosmen herausfinden. Dazu reichern sie das Meerwasser in fünf der zehn Mesokosmen künstlich mit CO2 in entsprechender Konzentration an. Die fünf anderen Schläuche dienen als Kontrolle, sie sind mit unbehandeltem Fjordwasser gefüllt.

Steigender CO2-Gehalt lässt Meere versauern

Der immer höhere CO2-Gehalt in der Atmosphäre führt weltweit nicht nur zu einer Erwärmung der Erde und damit auch der Ozeane. Zudem gelangt immer mehr CO2 von der Luft ins Meer – und dies bewirkt, dass das Wasser saurer wird, der sogenannte pH-Wert der Meere also sinkt. Die Folgen dieser zunehmenden Versauerung der Ozeane zeigen sich schon heute. So ist der pH-Gehalt von Meerwasser seit Beginn der Industrialisierung bereits um 0,12 Einheiten gefallen. Da der Säuregrad logarithmisch gemessen wird, entspricht dies einem 30-prozentigen Anstieg des Säuregehaltes. Setzt sich dieser Trend bis zum Jahr 2100 ungebrochen fort, dann rechnen die Experten mit einem weiteren Rückgang des pH-Werts um 0,45 Einheiten, was einem 120-prozentigen Anstieg des Säuregrads entspricht.

Bereits in früheren Erdzeitaltern hat sich der Säuregrad der Meere immer wieder verändert – schließlich war auch der CO2-Gehalt der Atmosphäre erheblichen Schwankungen unterworfen. In den vergangenen 300 Millionen Jahren sei es jedoch nie zu einer derart schnellen Versauerung der Meere gekommen, wie sie derzeit abläuft, betont Ulf Riebesell. Und der Meeresbiologe und seine Kollegen sind sich auch sicher, dass dies die Lebensgemeinschaften der Meere ändern wird. Vor allem Arten, die auf Kalk angewiesen sind – etwa Flügelschnecken mit ihren Kalkgehäusen oder Kalkalgen mit ihren wunderschönen Kalkplättchen – dürften massive Probleme bekommen. Andere Arten dagegen wie zum Beispiel die Blaualgen werden wohl von dem wachsenden Angebot des Nährstoffes CO2 profitieren. Eine wichtige Frage ist auch, ob und wie gut sich die verschiedenen Gruppen an die veränderten Lebensbedingungen anpassen können.

Experimente im Labor reichen nicht

Um die Folgen der Versauerung abschätzen zu können, haben Wissenschaftler auf der ganzen Welt im Labor bereits mehrfach Experimente durchgeführt, bei denen sie Tiere und Pflanzen in CO2-angereichertem Meerwasser gehalten haben. Im Freiland jedoch herrschen ganz andere, weitaus realistischere Lebensbedingungen. „Auf Laborebene wurden verschiedene Effekte erkannt – aber sind die für das gesamte Ökosystem überhaupt relevant?“, fragt Ulf Riebesell.

Um Antworten zu finden, hat er sich zusammen mit seinen Geomar-Kollegen das „Forschungsinstrument“ Mesokosmen ausgedacht. Es bedurfte allerdings einer mehrjährigen Entwicklungszeit und zahlreicher harter Erfahrungen, bis die überdimensionalen Plastiksäcke im Jahr 2010 erstmals vor Spitzbergen experimentell zum Einsatz kamen. Seither wurden die „schwimmenden Riesen-Reagenzgläser“, wie die Forscher scherzhaft sagen, für weitere Feldstudien in skandinavischen Gewässern genutzt und dabei stetig optimiert. 2011 schwammen die Kieler Mesokosmen sogar im Ozean vor Hawaii.

Besonders aufwendiges Experiment

In diesem Jahr nun haben sich die Forscher an ein besonders aufwendiges Experiment gewagt. Beinahe ein halbes Jahr lang wollen sie die Entwicklung der Lebensgemeinschaften verfolgen und dabei besonders auf die Massenentwicklung von pflanzlichem Plankton wie auch die Entwicklung von Fischlarven im Frühjahr achten. Rund 60 Wissenschaftler und Techniker sind damit beschäftigt, jeden zweiten Tag Proben zu nehmen und diese biologisch und chemisch auf viele Fragestellungen hin zu untersuchen. Hinzu kommen weitere tägliche Messungen. Möglich wird dieses intensive Messprogramm durch die Zusammenarbeit mit der Uni in Göteborg, deren meeresbiologische Station am Gullmarfjord für das Projekt genutzt wird.

Ende Januar wurden die Mesokosmen im Fjord verankert – und prompt gab es zahlreiche Probleme. So machte den Forschern zunächst das Eis im Fjord zu schaffen, später mussten unerwartete Lecks am unteren Ende der Schläuche abgedichtet werden. „Die Natur hält sich nicht immer an das, was der Mensch am Reißbrett plant“, kommentiert Ulf Riebesell trocken den Alltag der Forscher. Glücklicherweise machte das ungewöhnlich kalte Wetter den entstandenen Zeitverzug wieder wett: So konnten die Wissenschaftler die wichtige Frühjahrsblüte der winzigen Planktonalgen vollständig erfassen.

Auf die Ergebnisse des aufwendigen Experiments sind die Forscher äußerst gespannt. Vor allem interessiert sie, ob sich die bisher beobachteten Veränderungen auch dieses Mal zeigen: Ob etwa die Nahrungsqualität in den Mesokosmen abnimmt und wieder für die Nahrungskette wichtige Schlüsselarten verloren gehen. Auch könnte sich die alarmierende Beobachtung bestätigen, dass mit zunehmender Versauerung die Fähigkeit der Ozeane zur Speicherung von weiterem CO2 aus der Atmosphäre abnimmt.

Kohlendioxid und Säuregrad

Kohlendioxid
Kohlendioxid löst sich in Wasser zu Kohlensäure. Diese zerfällt anschließend zu Hydrogencarbonat- und Wasserstoffionen. Sowohl die Kohlensäure als auch die Wasserstoffionen lassen das Wasser saurer werden.

pH-Wert
Der Säuregrad einer Flüssigkeit wird durch den sogenannten pH-Wert angegeben. Dieser richtet sich nach der Konzentration der Wasserstoffionen im Wasser und reicht von 0 bis 14. Eine neutrale Flüssigkeit hat den Wert sieben, liegt der pH darüber, dann ist die Lösung basisch (Lauge), darunter ist sie sauer (Säure). Da die pH-Skala logarithmisch ist, nimmt der Säureanteil pro ganzer Zahl – also zwischen 8 und 9 – um den Faktor zehn zu. Der pH-Wert von Meerwasser liegt derzeit zwischen 7,8 und 8,5, ist also leicht basisch.