Ein neues Kartell verdrängt das Sinaloa-Syndikat als Mexikos gefürchtetste Mafia. Seinem Bandenchef Nemesio Oseguera eilt ein schrecklicher Ruf voraus.

Korrespondenten: Klaus Ehringfeld (ehr)

Mexiko-Stadt - Man wüsste ja schon gerne, ob Nemesio Oseguera Cervantes dieser Tage in seinem Versteck die Nachrichten aus New York verfolgt. Auch in Mexiko sind die Zeitungen und TV-Nachrichtensendungen voll mit Berichten über den Prozessauftakt gegen Joaquín „El Chapo“ Guzmán, Mexikos ehemals mächtigsten Drogenboss. Seit Montag dieser Woche läuft das Verfahren gegen den früheren Chef des Sinaloa-Kartells, das in Mexiko dramatisch an Bedeutung verloren hat, seit sein Boss vor knapp zwei Jahren an die USA ausgeliefert wurde.

 

In erster Linie die Nachfolgekämpfe innerhalb der Organisation und der Verlust von Schmuggelrouten und Revieren haben das Sinaloa-Syndikat geschwächt. Zudem wird es von einem relativ neuen Akteur im Kartell-Kosmos an den Rand gedrängt. Das „Cartel Jalisco Nueva Generación“, kurz CJNG, löst derzeit Chapos Organisation als allmächtige Mafia Mexikos ab. Und ihr Chef Nemesio Oseguera, genannt „El Mencho“, tritt als meistgesuchter Drogenboss der Welt in die Fußstapfen von „El Chapo“.

Das CJNG gilt als die gefährlichste Organisation Mexikos

Allerdings ist der 52-jährige Oseguera ungleich brutaler. Seinem Kartell haftet nicht der Mythos an, eine in der Bevölkerung verwurzelte und beliebte Organisation zu sein. „El Mencho“ und seine Bande verbreiten nur Angst und Schrecken. Das CJNG gilt als die gefährlichste, blutrünstigste und am stärksten expandierende kriminelle Organisation Mexikos.

Nach Angaben von US-Drogenfahndern soll es für den Schmuggel von mindestens fünf Tonnen Kokain und fünf Tonnen Metamphetaminen pro Monat in die USA verantwortlich sein. Washington stuft das Kartell als eine der „fünf gefährlichsten transnationalen kriminellen Organisationen der Welt“ ein. „El Mencho“ gilt als so gefährlich, dass das US-Justizministerium jüngst das Kopfgeld auf ihn auf zehn Millionen Dollar verdoppelte.

2010 beendete El Mencho die Allianz mit El Chapo und baute sein eigenes Syndikat auf

Dabei hat er mit seiner Bande klein und als eine Art Junior Partner des Sinaloa-Kartells im wichtigen Bundesstaat Jalisco mit seiner Metropole Guadalajara begonnen. 2010 aber beendete „El Mencho“ die Allianz mit „El Chapo“ und baute sein eigenes Syndikat auf. Wie fast immer in solchen Fällen wurden dann aus Partnern erbitterte Feinde.

Seither beobachten Experten einen steilen Aufstieg des CJNG, das immer wieder mit bizarren Gewaltorgien auf sich aufmerksam macht. 2011 warfen Osegueras Schergen 35 Leichen von Folteropfern auf den Straßen von Veracruz ab. 2013 vergewaltigten und töteten CJNG-Gangster eine Zehnjährige, die sie irrtümlich für die Tochter eines Rivalen hielten. 2015 brachten CJNG-Killer einen Mann und dessen Sohn im Grundschulalter um, indem sie an deren Körpern Dynamitstangen anbrachten und den Sprengstoff zündeten.

Gemäß „InsightCrime“, einem auf das Organisierte Verbrechen in Lateinamerika spezialisierten US-Nachrichtenportal, operiert die Gruppe in mindestens 22 der 32 Bundesstaaten Mexikos und hat nach Ansicht des unabhängigen Kriminalitätsexperten Alejandro Hope dem Sinaloa-Kartell vor allem den stetig wachsenden Markt für synthetische Drogen entrissen.

Der Drogenboss beschäftigt Ex-Elitesoldaten von Armee und Marine als Leibwächter

Der Bandenchef Oseguera stammt aus dem Ort Uruapan im westlichen Bundesstaat Michoacán. Dort wuchs er in einer Familie von Avocado-Bauern auf. Als junger Mann ging er wie Millionen andere Mexikaner den Weg als Migrant ohne Papiere in die USA. Dort dealte er offenbar schon mit Heroin, wurde festgenommen, verurteilt und nach drei Jahren in seine Heimat ausgewiesen.

In dem kleinen Ort Tomatlán in Jalisco schloss er sich dann der örtlichen Polizei an. Als er seine spätere Frau Rosalinda kennenlernte, die damals als Buchhalterin für die Verbrecherorganisation Milenio-Kartell arbeitete, wechselte er erneut die Seiten. Spätestens in diesem Moment, so sagen die Ermittler, begann sein Aufstieg zu einem der gefährlichsten Drogenbosse Mexikos.

„El Mencho“ hat einen Personenschutz, der selbst den der mexikanischen Präsidenten in den Schatten stellt. Nemesio Oseguera sei „pathologisch misstrauisch“, sagt der Kriminalitätsexperte Hope. Er beschäftigt Ex-Elitesoldaten von Armee und Marine als Leibwächter. Sein engster Sicherheitsring besteht aus 20 Männern, die mit Schnellfeuergewehren und Granatwerfern ausgestattet sind.

„El Menchos“ Ehefrau Rosalinda wurde im Mai geschnappt

Oseguera weiß, dass ihm die Fahnder ständig auf den Fersen sind. Seine Frau Rosalinda wurde im Mai geschnappt. Sein Sohn Rubén, genannt Menchito, sitzt seit 2015 in den USA in Haft.

Der Drogenboss hält sich vermutlich in der Region um El Grullo im Südwesten Jaliscos versteckt. Im kaum zugänglichen Hinterland soll er seine Unterschlüpfe haben, dort kennt er jeden Winkel. Zudem hält offenbar der Gouverneur des Bundesstaates, Aristóteles Sandoval, seine schützende Hand über den Verbrecher – eine in Mexiko durchaus übliche Beziehung von Politik und Organisierter Kriminalität auf höchster Ebene. Sandovals Amtszeit aber endet Anfang Dezember. Es könnte dann auch für „El Mencho“ eng werden.