Mick Jagger wird 80 Die Quadratur des Greises

Mick Jagger hat den Rock’n’Roll-Frontmann perfektioniert, die Rampensau. Foto: imago/Media Punch/imageSPACE

Rock ’n’ Roll ist die beste Ausrede, nicht erwachsen werden zu müssen. Ein Altersplan war nie vorgesehen. Und jetzt das: Diesen Mittwoch wird Mick Jagger von den Rolling Stones 80 Jahre alt. Alles Gute, Herr Jagger.

Rebellion, Rotz, Hüfte, ein bisschen Mittelfinger und immer schön die Altvorderen auf die Palme bringen – das war der Plan, als Rock ’n’ Roll vor rund 70 Jahren erfunden wurde – und seither ist die Welt ein bisschen schöner. Irgendwann selbst zu den Alten zu gehören, das war nie vorgesehen – auch weil genau das immer das Privileg des jugendlichen Ungestüms war: leben im Hier und Jetzt. Und außerdem: Alternde Vorbilder gab es nicht. Wegweisende Musiker hörten entweder aus freien Stücken mit dem Radau, den Gitarren und dem Exzess auf, oder sie segneten frühzeitig das Zeitliche. „Live fast, die young and leave a good looking corpse“, leben wie ein Wirbelsturm, früh sterben und einen gut aussehenden Körper hinterlassen – zack. Fertig. Ende der Geschichte. Der Nächste, bitte.

 

Der Nächste, bitte

Und dann gibt’s eben die Rolling Stones: Bereits vor 30 Jahren strömte das Publikum zu deren „Urban Jungle“-Tournee in die europäischen Stadien. Dies sei mutmaßlich die letzte Möglichkeit, diese stilbildende Rock-’n’-Roll-Legende nochmals live auf einer Bühne zu erleben. Dachte man. So ein Pensum könne man schließlich nicht ewig durchziehen. Dachte man. Damals war Mick Jagger Ende 40. Und am Mittwoch wird der Mann, mittlerweile achtfacher Vater, 80 Jahre alt und turnt noch immer über die Bühnen. Weiß man.

Lieber Rhythm ’n’ Blues als Pop

Wann genau Rock ’n’ Roll erfunden wurde und ob es tatsächlich der US-DJ Alan Freed war, der den Begriff 1951 – ursprünglich eine Bezeichnung für lustvollen Beischlaf – auch auf Musik anwendete, man weiß es nicht. Aber Michael Philip Jagger muss damals ein kleiner Junge gewesen sein.

Der Sohn eines Sportlehrers und einer musikbegeisterten Mutter fällt damals schon durch einen eigenen Kopf auf: Der kleine Mick hört viel lieber AFN als die dröge Musik der BBC – denn der US-Soldatensender spielt Rhythm-’n’-Blues-Musik. Diese Liebe eint ihn mit seinem Freund Keith Richards. Mit den Rolling Stones betreiben die beiden erfolgreich die musikalische Wurzelforschung und ein Stück weit auch die kulturelle Aneignung. Ihre erste Platte besteht 1964 fast ausschließlich aus Coverversionen verdienter Rhythm-’n’-Blues-Stomper wie „Route 66“ von Bobby Troup, Liedern von Bo Diddley oder Jimmy Reed – allesamt schwarze Musiker, deren Kunst erst durch die Interpretationen der Rolling Stones an Reichweite gewinnt.

Die Anti-Beatles

Schon früh achtet ihr Manager Andrew Oldham darauf, die Rolling Stones als eine Art Anti-Beatles zu inszenieren. Eine Karriereoptimierung, die Jagger und Co. dankend annehmen. Während sich die Beatles, Straßenjungs aus Liverpool, schick machen und „I Want to Hold Your Hand“ singen, rüpeln sich die wohlbehüteten Londoner Jungs durch das britische Bürgertum und singen unverblümt über Geschlechtsverkehr. Alles schön schnoddrig, ein bisschen unverschämt und skandalös unbritisch.

Dazu gehört auch ein divers aufgestelltes Angebot an Rauschmitteln, Sex und Sachbeschädigung – der heute olle Rock-’n’-Roll-Mythos. Wie dumm der ist, hätte Mick Jagger spätestens 1967 erfahren müssen, als Stones-Gitarrist Brian Jones aufgrund seines Drogenkonsums erst nicht mehr funktionsfähig ist und ersetzt werden muss – und zwei Jahre später dann tot aus seinem Swimmingpool gefischt wird.

Einsicht gibt’s keine. Glaubt man seinen Weggefährten und Ex-Ehefrauen, dann muss Jagger bis in 80er Jahre hinein unausstehlich geworden sein. Drogen, Sex, mehr, mehr, mehr. Eigentlich war alles angerichtet, dass auch er den Rock-’n’-Roll-Tod sterben würde. Doch stattdessen hat Mick Jagger etwas perfektioniert, das vor ihm niemand wichtig fand: den Rockstar, der sich selbst überlebt. Und er hat den Frontmann beziehungsweise die Rampensau erschaffen, diese ikonische Figur, die so hell strahlt, dass sie nicht nur die eigene Band, sondern auch ganze Stadien ausleuchtet.

Die Blaupause des Frontmanns

Jagger tippelt, Jagger tappelt, Jagger stemmt die Arme in die Hüften und wenn er sie dann wieder ausschüttelt, sieht das selbst noch in 500 Meter Entfernung laut und deutlich wie Mick Jagger aus. Jagger ist die Show, die ihm keiner stehlen wird.

Royaler Rüpel

Ein bisschen Dickschädel ist er auch geblieben. Als Jagger 2003 von der britischen Krone zum Ritter geschlagen wird, lässt sich Queen Elizabeth II. entschuldigen – Krankenhausaufenthalt, Knie-OP. Sie ziehe diesen Ort gerade dem Buckingham Palace vor, lässt sich die Queen einige Tage später zitieren, als eine bestimmte Person zum Ritter zu schlagen. Die Respektlosigkeiten der vergangenen Jahrzehnte habe sie ihm nie verziehen, sagt man. Nun musste der heutige König Charles übernehmen. Doch auch der kannte Jagger als dreisten Störenfried. Jahre zuvor bei einer Veranstaltung begrüßte er Charles per Handschlag, während er die andere Hand in der Hosentasche ließ.

Ob Rock ’n’ Roll die Welt verändert hat? Schwer zu sagen. Aber eines ist nicht von der Hand zu weisen: Schnell leben und früh sterben, hat längst seinen Chic verloren. Auch dank Sir Mick Jagger. Heute dürfen Rockstars in Ruhe alt werden. Und da ist dieser alte Rock-’n’-Roll-Witz: „Wir alle müssen uns langsam fragen, welche Welt wir einmal den Rolling Stones hinterlassen wollen.“ Möge er noch lange erzählt werden. Alles Gute zum Geburtstag, Herr Jagger.

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