Ein Mieter in Botnang ist von dem Gebäudeeigentümer BWV mit der Mitteilung überrascht worden, dass in dem Haus die Polizei üben werde. Jetzt wird der BWV der Versuch der Entmietung vorgeworfen – und der Polizei die Mithilfe.
Stuttgart - Im Dauerstreit um die Abrisspläne für den Gebäudekomplex Beethovenstraße 60-70 in Botnang gibt es neuen Zündstoff. Der Bau- und Wohnungsverein Stuttgart (BWV) ist in den Verdacht geraten, mit einer drastischen Entmietungsaktion versucht zu haben, die letzten beiden Mietparteien aus dem Komplex zu treiben. Und die Polizei muss sich gegen den Vorwurf wehren, sie habe dabei mitgewirkt. Der Grund: Vergangenen Freitag war in einem Teil des Gebäudekomplexes eine Polizeiübung geplant gewesen, die erst nach heftigem Protest eines völlig überraschten Mieters wieder abgesagt wurde.
Donnerstag, 20.35 Uhr: Ilja Gerhardt staunt nicht schlecht, als er von der Arbeit heim und zu seiner Haustür kommt. Dort findet der promovierte Physiker, der am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung arbeitet, einen Aushang mit drastischer Botschaft vor: „Am 18. November wird eine Polizeiübung in der Beethovenstraße 62-64 stattfinden. Dadurch kann es zu Geräuschbelästigungen kommen.“ Keine Zusätze, auch keine Bitte um Verständnis. Gerhardt ist „wie vor den Kopf gestoßen“. Noch am Donnerstagabend und dann am Freitag hat er alle Hände voll zu tun, die Übung abzuwenden, die er schon im Blick auf seine beiden Kinder, drei und fünf Jahre alt, für ein vollkommenes Unding hält. Umso mehr, da er bei seinen Telefonaten immer mehr beunruhigende Dinge zu hören bekommt.
Polizeiposten Botnang weiß von nichts
Er erfährt, sagt er selbst, dass der BWV-Vorstand ausdrücklich vorgegeben habe, die Mieter frühestens zwölf Stunden vor der Übung zu informieren. Nicht einmal der Polizeiposten Botnang ist im Bilde. Deshalb schreibt Gerhardt eine Brandmail an den Stuttgarter Polizeipräsidenten. Bei Anrufen bei der Polizei verwahrt er sich dagegen, dass die Polizei an Entmietungsmaßnahmen mitwirkt. Dabei wird ihm, wiederum nach eigener Aussage, gesagt, man müsse ja schließlich mal üben, wie man mit IS-Terroristen umgehen könne. Am Freitag um 10.30 Uhr gibt es einen zweiten Aushang vom BWV in Botnang, in dem der Ort der Übung verlegt ist zu den Hausnummern 64 und 66 und in dem nun ausdrücklich von einer Übung der „SEK“, also des Spezialeinsatzkommandos der Polizei, die Rede ist.
Die Häuser 60, 64, 66 und 70 stehen leer. Im Haus 62 wohnt Gerhardt mit seiner Familie. Im Haus 68 gibt es einen weiteren Mieter, der sich seit Monaten bemüht, die Kündigung mit Hilfe von Gerichten aus der Welt zu schaffen. Im Dezember sollen diese Menschen, die nicht gehen wollen, wieder mal vor Gericht mit der Vermieterin die Klingen kreuzen – wenn der BWV nicht umdenkt. Aber sein Neubauprojekt hat er schon mehrfach verteidigt: Die Sanierung des Komplexes, wie es baulich und energetisch notwendig sei, wäre nicht günstiger als der Neubau.
Polizeisprecher sieht Fehler beim Wohungsunternehmen
Ilja Gerhardt sieht in der Polizeiübung und der Sache mit der falschen Adresse einen Versuch, neuen Druck auf diejenigen auszuüben, die dem Abriss der intakten Wohnbauten aus dem Jahr 1927 im Weg stünden. Dem Polizeisprecher Olef Petersen kommt die Frage nach der Rolle der Polizei hörbar ungelegen. Die Sache mit dem SEK sei ebenso „Quatsch“ wie jene mit den IS-Terroristen oder die Mutmaßung, dass die Polizei bei Entmietungen mitwirkte. Petersen: „Die Polizei lässt sich nicht instrumentalisieren.“ Seit Jahren stehe man mit Wohnungsunternehmen in Kontakt, damit die Kollegen in leerstehenden Gebäuden üben könnten. So sei es auch zu erklären, dass der BWV der Polizei das Objekt angeboten habe. Bei solchen Übungen gehe es nicht darum, den Sturm aufs Gebäude zu üben. Vielmehr „hätten vier oder fünf Leute in Zivilkleidung im Gebäudeinneren operative Maßnahmen üben sollen“, sagt der Polizeisprecher. Leider habe eine Sekretärin der Firma im Aushang die falsche Adresse notiert. Am liebsten würde die Polizei den Vorfall, der aus ihrer Sicht unbedeutend ist, auf Nachfragen dieser Zeitung am Freitagabend und Montagvormittag gar nicht thematisieren. Aber der Versuch, den Vorfall wegzureden, fruchtet nicht. Am Montag greift auch noch die Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-plus im Rathaus die Sache auf. Ihr Vorwurf: Der Bau- und Wohnungsverein versuche seine Entmietungspolitik jetzt mit Terrorisierung von Mietern und mafiösen Methoden durchzusetzen. Der Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann merkt an, solche Verhaltensweisen seien ihm bisher nur von rücksichtlosen Wohnungsspekulanten bekannt. Für ein seriöses Wohnungsunternehmen seien das „unglaublich rabiate und unwürdige Methoden“. Nur der BWV schweigt. Bis Redaktionsschluss meldet sich sein Vorstand nicht.