Um die Probleme der Flüchtlingspolitik zu lösen, setzt die Ampelregierung auf Migrationsabkommen. Doch was lässt sich von solchen Vereinbarungen erwarten – und was nicht?

Berliner Büro: Rebekka Wiese (rew)

Es war windig, als Nancy Faeser kürzlich in Tunis war. Die Bundesinnenministerin strich sich immer wieder die Haare aus dem Gesicht, während sie neben ihrem französischen Amtskollegen Gérald Darmanin vor der Presse stand und darüber sprach, wie wichtig es sei, das Sterben im Mittelmeer zu beenden – und wie das funktionieren könnte.

 

Was Faeser vorschwebt, ist ein Instrument, von dem oft gesprochen wird, als sei es eine Art Zaubermittel: Migrationsabkommen. Die Idee bezieht sich nicht nur auf Tunesien, sondern ist für die gesamte migrationspolitische Strategie der Ampelregierung von Bedeutung. Im Koalitionsvertrag versprechen SPD, Grüne und FDP, „neue praxistaugliche und partnerschaftliche Vereinbarungen mit wesentlichen Herkunftsländern“ zu schließen. Dafür wurde sogar ein neues Amt geschaffen: Seit Anfang des Jahres ist Joachim Stamp (FDP) Sonderbevollmächtigter für Migrationsabkommen.

Sehr unterschiedliche Regelungen

„Wenn ein Migrationsabkommen funktioniert, kann es dabei helfen, Migrationsbewegungen zu steuern“, sagt Victoria Rietig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sie ist Expertin für das Thema und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie solche Einigungen aussehen und gelingen können. Rietig betont, wie unterschiedlich Migrationsabkommen sein können. Ein berühmtes Beispiel ist der EU-Türkei-Deal von 2016 – aber auch die Westbalkanregelung, die im selben Jahr in Kraft trat. Solche Vereinbarungen lassen sich danach unterscheiden, wie formell sie ausfallen – und wie umfangreich sie sind. Ein Migrationsabkommen in seiner kleinsten Form ist eine simple Rücknahmevereinbarung: Ein Land sichert zu, abgeschobene Migranten wieder aufzunehmen, und erhält dafür Geld von der Gegenseite. Es gibt aber auch größere Abkommen, bei denen es um mehr geht. Deutschland oder die EU können einem Partnerland zum Beispiel Arbeitsvisa anbieten, wenn es dafür weniger irreguläre Migrantinnen und Migranten ausreisen lässt.

Gespräche mit Moldau, Georgien und Usbekistan

Der Ampelregierung geht es vor allem um umfangreiche Abkommen, von denen beide Seiten profitieren sollen. Die zu vereinbaren ist Aufgabe des Sonderbevollmächtigten Stamp. „Die Bundesregierung hat verabredet, einen langfristigen Paradigmenwechsel einzuleiten, um irreguläre Migration deutlich zu reduzieren und mehr reguläre Migration zu ermöglichen“, sagte Stamp unserer Zeitung. Er reiste in den vergangenen Monaten zu Gesprächen in verschiedene Länder. „Konkret können wir zügige Ergebnisse mit Moldau und Georgien erreichen“, sagte Stamp. Zudem unterzeichnete er im Mai eine Absichtserklärung zu Gesprächen über eine Migrationspartnerschaft mit Usbekistan.

Zweifel an der Wirkung

Ob sich so ein Abkommen lohnt, ist aber fraglich. „Es gibt Zweifel, ob die Abkommen mit Georgien, Moldau und Usbekistan sich stark auswirken werden“, sagt die Migrationsexpertin Victoria Rietig. „Dazu sind diese Länder für die Migration nach Deutschland einfach nicht relevant genug.“ Rietig hält Vereinbarungen für notwendig, warnt aber davor, ihren Effekt zu überschätzen. „Bis ein Migrationsabkommen wirkt, können Jahre vergehen.“ Kritisch klingt auch Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. „Die Ampel preist Migrationsabkommen als Lösung aller Probleme, als hätte sie diese Vertragswerke gerade neu für sich entdeckt“, sagte Throm unserer Zeitung. „Dabei zählen sie seit jeher zu den Standardmaßnahmen der Diplomatie, auch in Deutschland.“

Kritik von der Unionsfraktion

Ein weiteres Problem: Viele Länder, mit denen die Bundesregierung verhandeln müsste, sind Autokratien oder Demokratien mit autokratischen Zügen – schwierige Partner also. Die Grünen sind daher skeptisch. Noch während Faeser in Tunesien war, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang im Deutschlandfunk: „Für uns war immer klar, dass diese Abkommen gekoppelt sind an menschenrechtliche Standards. Im Moment sehe ich nicht, wie das bei Tunesien der Fall sein soll.“