Minister und Lkw-Chef im Gespräch „Es wird teurer, aber das muss sein“

Vorstandschef Martin Daum und Verkehrsminister Winfried Hermann beim Gespräch in der Daimler-Truck-Zentrale in Leinfelden-Echterdingen Foto: Ines Rudel

Verkehrsminister Winfried Hermann und Daimler-Truck-Chef Martin Daum sind sich einig: Klimaschutz kostet im Lkw-Bereich viel Geld, es gibt jedoch keine Alternative. Aber über den besten Weg dorthin streiten sie im Interview mit Verve.

Der Daimler-Truck-Chef fordert von der Politik mehr Ehrgeiz: Ein emissionsfreier Lkw bleibt sinnlos, wenn er nirgends Strom oder Wasserstoff tanken kann. Der Minister will die Infrastruktur ausbauen und Elektrolaster fördern – auch mithilfe einer zusätzlichen Maut.

 

Herr Hermann, müssen Sie als grüner Verkehrsminister inzwischen nach Hilfe aus der Wirtschaft rufen, um die Mobilitätswende voranzubringen?

Hermann: Die Herausforderungen sind so groß, dass Politik und Wirtschaft das nur zusammen hinbekommen können. Es gibt das gemeinsame Interesse, dass wir bei der Verkehrswende schneller vorankommen. Das ist umso wichtiger, als in Teilen der Wirtschaft und der Politik zurzeit gebremst wird. Dabei müssen wir eher schneller werden. Und ich erlebe Herrn Daum als jemanden, der in den letzten Jahren vorangegangen ist. Er braucht eine progressive Politik – und wir brauchen progressive Unternehmen.

Herr Daum, ist die Politik Ihrerseits verlässlich?

Daum: Im Grundsatz ja. Es ist wichtig, dass wir klare Ziele haben. Für die Entwicklung eines Lkw brauchen wir vier Jahre, für die Infrastruktur aber viel länger. Nichts wäre schlimmer als eine Politik, die bereits Beschlossenes infrage stellt.

Gibt es etwas, was Herr Hermann besser machen könnte?

Daum: Im Moment macht mir die Infrastruktur am meisten Sorgen. Wir haben im Gegensatz zur Zeit vor zwei, drei Jahren nun auch im Nutzfahrzeugbereich die emissionsfreien Fahrzeuge. Aber wir haben für Lkw noch praktisch keine öffentlichen Ladesäulen. Und bei Wasserstoff, der für mich perspektivisch ebenfalls wichtig ist, liegt das noch in viel weiterer Ferne. Bisher können unsere Kunden noch nicht die Zuversicht haben, dass sie grüne Energie dort bekommen, wo sie diese brauchen.

Aber was soll Herr Hermann genau tun?

Daum: Ich begrüße außerordentlich, dass das Land nun ausgerechnet hat, wo der Bedarf ist. Wenn wir 1800 Ladepunkte bis 2027 brauchen und bis heute kein einziger steht, dann wissen alle, dass wir gewaltig anpacken müssen. Lkw benötigen zum Laden deutlich mehr Platz als Autos. Und bisher haben wir die Flächen etwa in der Nähe der Autobahnen noch nicht. Da ist die Landesregierung gefordert. Die Prozesse sind zu schwerfällig. Ich beneide Sie da übrigens nicht, Herr Hermann.

Aber sind die angestrebten ehrgeizigen Zahlen überhaupt realistisch?

Hermann: Das ist nicht ehrgeizig, sondern der objektiv ermittelte Bedarf. Zwei Drittel der Ladevorgänge wird es aber im privaten Raum geben, etwa in den Betriebshöfen der Speditionen. Der Bund ist für die Autobahnen zuständig, wir für Bundes- und Landesstraßen. Das Problem sind ja nicht nur die Flächen, sondern auch die Frage, wie genügend Strom genau dort hinkommt. Wir werden das nur mit der Wirtschaft gemeinsam schaffen.

Daum: Wir Fahrzeughersteller haben aufgeholt und werden das weiter tun, aber wenn die Infrastruktur null ist, bleibt das Ergebnis null.

Aber könnte die Industrie mittelfristig noch einen Schubs brauchen – etwa durch ein Verbrennerverbot auch bei Lkw?

Daum: Bevor der Minister antwortet, möchte ich gerne als ein Betroffener etwas sagen: Wenn Sie Diesel verbieten, haben Sie am Ende kein Baufahrzeug, kein Feuerwehrauto, kein Müllauto – und es werden dann alte Diesel noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag gefahren, wie wir das heute aus sich entwickelnden Ländern kennen. Ich halte eine solche Verbotsdiskussion für ganz gefährlich.

Hermann: Ein Verbrennerverbot für Feuerwehrfahrzeuge oder Müllfahrzeuge war ja nie in der Diskussion, auch wenn es natürlich auch hier Alternativen gibt. Entscheidend ist doch, dass wir Kostenparität erreichen. Heute hat der Diesel immer noch Kostenvorteile. Da gibt es aber ein Instrument, das wir in der öffentlichen Diskussion oft vergessen: die Lkw-Maut. Es gab da schon bisher ökologische Anreize für abgasarme Fahrzeuge, nun richtet sie sich nach dem CO2-Ausstoß. Hier müssen wir weitergehen. Ich finde es deshalb fatal, dass die Bundesregierung nicht nur aus der Fahrzeugförderung ausgestiegen ist, sondern auch die Mautbefreiung für Elektro-Lkw 2025 auslaufen lässt.

Aber ist die E-Mobilität die einzige Lösung? Braucht es nicht für Lkw andere Alternativen?

Daum: Der Schlüssel ist die grüne Energie. Auch der Batterie-Lkw ist doch kein sauberes Fahrzeug, wenn ich Strom durch Braunkohleverstromung erzeuge. Dann ist am Ende ein Diesel unterm Strich sogar sauberer für die Umwelt. Elektrische Energie ist unschlagbar effizient, aber ich kann sie nicht lagern. Und auch die Entfernungen, die ich zurücklegen kann, sind begrenzt. Das Zweiteffizienteste ist Wasserstoff, und weit, weit dahinter kommen die synthetischen Kraftstoffe, die so genannten E-Fuels.

Hermann: E-Fuels aus grüner Energie werden wir dort brauchen, wo es keine Alternativen gibt, etwa für Flugzeuge und Schiffe. Lkw gehören nicht dazu. Aber auch der Wasserstoff ist auf absehbare Zeit nicht in den Mengen vorhanden, dass er herkömmliche Kraftstoffe ersetzen könnte. In der jetzigen Phase müssen wir deshalb den Schub vor allem für die Elektrifizierung einsetzen.

Daum: Da möchte ich dem Herrn Minister widersprechen. Die Ladeinfrastruktur kann den enormen Energiebedarf für die Lkw nicht allein abdecken. Es ist unabdingbar, eine zweite Energiequelle zu nutzen – nämlich Wasserstoff, mit dem in der Brennstoffzelle an Bord Strom für den Antrieb erzeugt wird.

Verliert die grüne Modernisierung auch an Zustimmung, weil die Themen einfach zu kompliziert sind?

Hermann: Mir macht wirklich Sorgen, dass oft nur die Probleme thematisiert werden. Klappt das mit Batterie und Brennstoffzelle, oder wäre nicht vielleicht doch der Diesel besser? Das verunsichert die Menschen, Spediteure wie Bürgerinnen und Bürger. Dazu kommt noch die Ideologieformel von der Technologieoffenheit. Die ist zunehmend ein Synonym für: Wir tun mal nichts und warten ab.

Die Kosten steigen durch die Abkehr vom fossilen Treibstoff für alle. Droht die öffentliche Stimmung zu kippen?

Daum: Es war ein Fehler, das nicht schon immer klar zu sagen. Wenn wir weggehen vom Verbrennungsmotor, wird es teurer! Aber das muss sein, weil wir den Klimawandel bekämpfen müssen. Man kann auch nicht sagen: Ich gehe nicht zum Zahnarzt, weil es wehtun könnte. Wir müssen bereit sein, die Mehrkosten zu tragen. Wenn es im sozialen Bereich dadurch zu Schwierigkeiten kommt, ist es Aufgabe des Staates, Ausgleich zu schaffen.

Hermann: Es ist eine unangenehme Wahrheit, die ich teile, aber die natürlich viele verschreckt. Deswegen müssen wir besser kommunizieren, was wir gewinnen. Zum Beispiel Zukunftsmärkte und mehr Lebensqualität in unseren Städten. Außerdem verursacht auch der Klimawandel enorm hohe Kosten.

Die Grünen werden für solche Aussagen teils aggressiv angegangen. Macht Ihnen das Sorgen?

Daum: Ja. Der Kampf gegen den Klimawandel ist schließlich kein Instrument von Herrn Herrmann und seiner grünen Partei, um den Rest der Bevölkerung zu zwiebeln. Es reicht nicht, wenn in Umfragen alle für Klimaschutz sind, man muss es auch tun. Dazu müssen die richtigen Anreize gesetzt werden, wie es beispielsweise bei der CO2-abhängigen Lkw-Maut geschieht. Dann aber kommen wir auf mein Thema von vorher zurück: Das richtige Fahrzeug kann man bei Mercedes kaufen, aber wo ist die nächste Ladestation? Die Infrastruktur ist das Hauptthema.

Herr Hermann, Sie planen gerade eine weitere Belastung für das Speditionsgewerbe, eine Maut für Landes- und Kreisstraßen. Warum?

Hermann: Wir müssen die Sanierung von Brücken und Straßen verlässlich finanzieren, denn drohende Sperrungen wären auch ein Standortnachteil für die Wirtschaft. Die Maut bringt aber auch die Verkehrswende voran, da emissionsfreie Lkw davon befreit wären. So entsteht ein Anreiz, bis zum Start der Maut 2027 batterie- oder wasserstoffbetriebene Lkw zu erwerben. Zudem soll ein Teil der Einnahmen für den Ausbau des Ladenetzes und die Förderung elektrischer Lkw verwendet werden.

Wären Sie auf dieser Basis damit einverstanden, Herr Daum?

Daum: Ja, das würde ich klar befürworten. Es wird zwar teurer, aber wenn wir die Wende nicht vorantreiben, bezahlt die Allgemeinheit die Kosten für Waldbrände und Überschwemmungen, die vom Klimawandel verursacht werden. Und die Allgemeinheit sind am Ende wir – und nicht irgendeine Partei oder eine Landesregierung.

Die Gesprächspartner

Minister
Der Rottenburger Winfried Hermann (71) führt seit 2011 das Verkehrsministerium Baden-Württembergs. Zuvor war der Grünenpolitiker und frühere Gymnasiallehrer von 1984 an Landtags- und Bundestagsabgeordneter, zwischendurch auch Fachbereichsleiter der Volkshochschule Stuttgart.

Vorstandschef
Der gebürtige Karlsruher Martin Daum (64) führt den Dax-Konzern Daimler Truck seit der Abspaltung von der Mercedes-Pkw-Sparte im Jahr 2021. Seit dem Eintritt bei Daimler 1987 hat der Diplom-Kaufmann verschiedene Führungspositionen bekleidet, seit 2017 im Vorstand.

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