Jede Kommune sollte einen Einsamkeitsbeauftragten haben, der Wege findet, Miteinander zu organisieren, meint unser Berliner Korrespondent Norbert Wallet.
Die Bundesregierung hat eine Einsamkeitsstrategie beschlossen. Es geht um Wege, mehr Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass Menschen schrittweise den gesellschaftlichen Anschluss verlieren, allmählich in eine wortlose Kontaktlosigkeit schlittern und buchstäblich vergessen in eine nicht selbst gewählte Isolation driften können. Das ist ein ungewöhnlicher Gegenstand der politischen Agenda. Übernimmt sich der Staat nicht, wenn er die privatesten Lebensverhältnisse der Bürger zum Thema macht? Das Gegenteil ist der Fall. Es ist überfällig, dass sich die Politik diesen Entwicklungen annimmt.
Auch junge Menschen können einsam werden
Dafür spricht schon das Ausmaß des Problems. Einsamkeit ist schwer fassbar. Vor allem ist Einsamkeit nicht damit zu verwechseln, allein zu leben. Man allein und glücklich sein. Darum geht es nicht. Es geht um das Leiden an der Anschlusslosigkeit. Studien aus den Jahren 2013 und 2017 legten nahe, dass in den beiden Jahren ungefähr 14 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen zumindest manchmal einsam waren. Die Pandemie hat alles schlimmer gemacht. 2021 gaben rund 42 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen an sich einsam zu fühlen. Betroffen waren nicht nur sehr alte Menschen. Auch junge Menschen können einsam werden, wenn die Möglichkeiten des Miteinanders beschränkt werden.
Einsamkeit macht krank
Eine staatliche Handlungspflicht ergibt sich aus mehreren Gründen: So macht Einsamkeit krank. Wer einsam ist, hat nachweislich ein erhöhtes Risiko für chronischen Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Demenz und einen frühen Tod. Einsamkeit zerrüttet aber auch eine solidarische Gesellschaft und destabilisiert langfristig demokratische Strukturen. Vor allem ist der Staat hier kein neutraler Beobachter. Er nimmt immer schon aktiv Einfluss. Wenn Städte nur nach dem Leitmotiv autogerechter Mobilität strukturiert sind und Treffpunkte, von Parks bis Spielstraßen, fehlen, wenn aus Sparzwängen öffentliche Begegnungszentren geschlossen werden, Freibäder, Bibliotheken oder Brennpunkt-Cafés dicht machen, Heime aufgrund angespannter Personalbudgets nur Verwahranstalten sind, dann verschwinden Kommunikationsräume und dann wächst die Wortlosigkeit.
Der Kampf gegen Einsamkeit beginnt mit Achtsamkeit
Staatliches Handeln ersetzt nicht das Engagement der Zivilgesellschaft. Aber die Bindewirkung von Kirchen, Sportvereinen, Chören, Dorfgemeinschaften nimmt ab. Dabei sind sie das Rückgrat heimatlicher Verwurzelung. Deshalb ist es gut, wenn die Politik das Problem erkennt. Man würde sich wünschen, dass in Zukunft jede Stadt einen Einsamkeitsbeauftragten hätte, dessen Aufgabe es wäre, Miteinander zu organisieren und den Blick für Einsamkeit zu schärfen. Der Kampf gegen Einsamkeit beginnt mit Achtsamkeit. Und da ist dann tatsächlich zuallererst nicht der Staat, sondern jeder einzelne Bürger gefragt.