Bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals rückt nun ein Pfarrer in den Fokus, der die Brüdergemeinde seit den 1950er Jahren geprägt hat.

Ditzingen - Erzieher, Hausmeister, Lehrer – und nun sogar der Seelsorger der Gemeinde: Auch der inzwischen verstorbene Pfarrer der Pietistengemeinde in Korntal soll zu den Mitarbeitern gehören, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Einrichtungen der evangelischen Brüdergemeinde Korntal Kindern psychische und physische Gewalt angetan haben.

 

Der Mann war offenbar eine Respektsperson, eben weil er Pfarrer der Gemeinde war. Hart und streng sei er im Konfirmandenunterricht aufgetreten, berichtet das frühere Heimkind Martina Poferl. „Ich habe Angst gehabt.“ Der Pfarrer, der seine im Krieg verletzte Hand stets in einem Handschuh verbarg, sei schlicht furchtbar gewesen, sagt der ebenfalls Betroffene Alfred Wieland. Eine unnahbare Autorität, die laut Poferl den Kindern drohte, sie kämen in die Hölle, wenn sie nicht glaubten, was in der Bibel stehe. Einem weiteren Betroffenen gegenüber soll der Seelsorger sogar übergriffig geworden sein. Der sexuelle Missbrauch sei in einem Nebenraum des Großen Saals geschehen, sagt der Mann, der anonym bleiben will.

Wissenschaftler entscheiden über den Zeitpunkt der Veröffentlichtung

Der weltliche Vorsteher der Brüdergemeinde, Klaus Andersen, äußert sich nicht zu Einzelpersonen, doch er sagt: „Jeder Vorwurf, der an uns herangetragen wird, macht uns betroffen. Wir haben die Erwartung und die Hoffnung an die Aufklärung, dass Licht und Klarheit in die damalige Situation gebracht wird, in der Kindern Leid zugefügt wurde.“

Die Aufarbeitung haben die Juristin Brigitte Baums-Stammberger und der Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger übernommen. Die Ergebnisse aus den Gesprächen mit den Betroffenen kennt der Vorsteher Andersen nicht. „Wir werden nicht informiert, wir wollen auch nicht informiert werden. Wann was kommuniziert wird, entscheiden die Aufklärer unabhängig.“ Weil die Brüdergemeinde mit der Landeskirche kooperiert, aber nicht zu ihr gehört, ist die Gemeinde weisungsbefugt.

Die Wissenschaftler sind die einzigen, die Zugang haben zu allen Akten. „Wir haben die Unterlagen ins Landeskirchliche Archiv gegeben, damit sie dort konzentriert und neutral verwahrt sind und systematisch aufgearbeitet werden können“, sagt Andersen. „Wenn es in Korntal noch je etwas geben sollte, stellen wir es zur Verfügung, wenn es der Aufklärung dient“, versichert er.

Benno Hafeneger studiert die Akten zurzeit. Etliche Betroffene haben sich inzwischen außerdem bei Brigitte Baums-Stammberger für ein Gespräch angemeldet, um ihr ihre Erlebnisse zu schildern. Das Gespräch ist die Basis für die Anerkennungsleistung von in der Regel 5000 Euro. In Einzelfällen soll laut der evangelischen Brüdergemeinde aber auch mehr gezahlt werden. Doch weiterhin gibt es kritische Stimmen besonders zu den Gesprächen mit den Betroffenen. Diese Gespräche seien für alle Beteiligten nicht einfach. Bei den Betroffenen bestehe „ein hohes Risiko der Retraumatisierung“, sagt Ursula Enders. Die Wissenschaftlerin befasst sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Missbrauch. Sie habe Aufklärungsgespräche nie allein geführt, stets zu zweit: „Die emotionale Kraft, alleine mehr als zwei der sehr anstrengenden Interviews mit der nötigen Zugewandtheit und Konzentration an einem Tag zu führen, hat niemand.“

Keine einfachen Gespräche

Derlei Gespräche zu zweit zu führen, habe noch einen anderen Grund: Die Juristen könnten sich untereinander austauschen. Ihre Bewertung ist entscheidend: Auf deren Basis wird die Höhe der Entschädigungszahlung entschieden.

Derweil warten die Betroffenen um Detlev Zander, der die Vorfälle vor rund drei Jahren publik gemacht hat, auf eine Antwort des CDU-Fraktionschefs im Bundestag Volker Kauder. Die ehemaligen Heimkinder haben den Politiker mit der Bitte um Hilfe vor fast acht Wochen angeschrieben. Aus dessen Umfeld heißt es, Kauder werde auf den Brief nicht eingehen.