Die immaterielle, emotionale Seite der Entlohnung wird unterschätzt

Stuttgart - Gelegentlich auch mal ein gutes Wort hören, das steht auf der Wunschliste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz oben. Was auf eine entsprechende Unterversorgung schließen lässt. Und was Gefühlen von Resignation und Verbitterung recht viel, gleichwohl aber auch unnötig Nahrung gibt. Wird über das Fordern das Anerkennen vergessen? Wird zu wenig gelobt? "Auf jeden Fall wird zu viel als selbstverständlich angesehen", sagt die Expertin für Führungskräfteentwicklung Christine Scheitler.

Doch was genau ist denn Lob? Ist Lob die Anerkennung einer Leistung? Oder ist Lob die Anerkennung von bestimmten Eigenschaften und Verhaltensweisen einer Person? "Lob und Anerkennung sollten sich auf beides beziehen", betont Scheitler. Doch wenn überhaupt, gehe es im Arbeitsalltag nahezu nur um die Anerkennung einer Leistung. Und fatalerweise werde diese gute Leistung meistens als Selbstverständlichkeit angesehen.

 

Führungskräfte, sagt Scheitler, handelten in der Regel nach dem Motto: "Wenn ich nichts sage, ist es in Ordnung." Für sie vielleicht, doch nicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für die sind Lob und Anerkennung in ihrer doppelten Zielrichtung, zum einen im Blick auf die unmittelbare Leistung und zum anderen im Blick auf konkrete Eigenschaften und Verhaltensweisen wichtige Stimulanzen. Warum, fragt Scheitler, "wird das nicht realisiert?" Die Praxis zeige es doch tagtäglich: Das berühmte "gute Wort" bewirkt meist erheblich mehr als all die hochgestochenen Leistungsanreizsysteme.

Interesse am Menschen bekunden

Das verweist auf die Macht der Gefühle. Menschen haben Gefühle. Werden diese Gefühle im Arbeitsprozess aber ignoriert, schlägt diese Vernachlässigung des Menschlich-Allzumenschlichen auf die Leistungsbereitschaft durch. Mit anderen Worten: Lob, Anerkennung, Beachtung steigern die Freude an der Arbeit und sorgen für ein gutes und - was auch gern vergessen wird - auch aufgeschlossen-innovatives Klima. Nichts wirkt sich auf die Leistung so anfeuernd aus wie ein überlegtes Lob, eine Anerkennung, ein freundliches Wort, das signalisiert, dass der Vorgesetzte eine Leistung und dahinter auch die Person, den Menschen, zur Kenntnis nimmt. "Dieser zwischenmenschliche Faktor wird im Arbeitsleben geradezu skandalös unterschätzt, diese immaterielle Seite der Entlohnung kommt zu kurz", sagt Scheitler.

Aktuelle Studien, zum Beispiel die "Gallup-Studie 2008", zeigen: Nur jeder fünfte Arbeitnehmer erklärt, dass für gute Arbeit Lob und Anerkennung ausgesprochen wird. Fast sieben von zehn Beschäftigten beanstanden, dass bei der Arbeit das Interesse an ihnen als Mensch fehlt. Drei Viertel der Ar-beitnehmer kritisieren, dass ihnen kein regelmäßiges Feedback über persönliche Fortschritte bei der Arbeit gegeben wird. Das zeigt: Entlohnung hat auch eine immaterielle, emotionale Seite.

Und auf dieser Seite gibt es beträchtliche Defizite. Die ausgewogene Leistungsanerkennung auf der materiellen und auf der immateriellen Ebene ist Voraussetzung für die Mitarbeiterzufriedenheit und die in ihrer Auswirkung sträflich unterschätzte emotionale Bindung an das Unternehmen. Letztere sorgt unter anderem dafür, dass sich Mitarbeiter für ihr Unternehmen einsetzen, gut über ihr Unternehmen reden und es nach außen verteidigen. Deshalb ist es für Scheitler mehr als bedenklich, dass Werte und Wertschätzung, sprich Anerkennung und Lob, in vielen Unternehmen erkennbar verkümmern. Und dass das auch darin zum Ausdruck kommende sozialkompetente Führungsverhalten als weicher Wert angesehen und entsprechend vernachlässigt wird. Auch wenn das Wort "Sozialkompetenz" keinen guten Klang im Management hat, ist es dennoch belegbare Tatsache, was Michael Kastner, Professor für Organisationspsychologie an der Universität Dortmund, gesagt hat: "Soziale Kompetenz ist die Formel für diejenigen, die auf Dauer Erfolg haben wollen."

Nur zielsichere, gut organisierte, kommunikationsfähige und synergetisch arbeitende Belegschaften werden in der Zukunft erfolgreich sein. Fehlen in diesem Zusammenhang Anerkennung und Lob und dazu natürlich auch die Fähigkeit, diese adäquat vermitteln zu können, gehen wichtige Ressourcen und "Antreiber" verloren. Im Kerngefühl zufriedene und damit aus sich heraus, also intrinsisch, motivierte leistungsfähige und -willige Mitarbeiter sind für Unternehmen ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.

Die Bindung der Leistungsträger an das Unternehmen wird zukünftig eine der zentralen Aufgaben darstellen. Schon jetzt suchen einige Branchen mit hohem Aufwand passende, gut qualifizierte und leistungsbereite Mitarbeiter. Die Diskussion und die Aktivitäten moderner Unternehmen im Bereich Talent-Management zeigen dies überdeutlich.

Wer nicht lobt, wird auch nicht geliebt

Umso entscheidender ist es, potenzielle zukünftige Leistungsträger überlegt an das Unternehmen zu binden. Scheitler: "Es mag banal klingen, aber wer nicht lobt, wird auch nicht geliebt. Und wo keine Liebe ist, ist auch keine wirkliche Bindung. Geld allein bindet nicht. Ein gezahltes Gehalt ist rasch zu überbieten. Erheblich schwieriger wird es schon, die Qualität umsichtiger Führung und einer guten betrieblichen Atmosphäre zu überbieten. Wir unterschätzen die Wirkung dieser Qualitäten."

Nun beklagen ältere, gestandene Führungskräfte oft die Zimperlichkeit und Empfindlichkeit heutiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ist die häufige Klage über zu wenig Lob Ausdruck einer solchen Befindlichkeit? "Nicht jeder hat die Natur eines alten Haudegens und auch nicht dessen welterfahrene Abgeklärtheit", sagt Scheitler. Im Übrigen, sagt sie, wisse sie aus zahlreichen Coachings: Auch erfahrene ältere Führungskräfte sind Menschen, und als solche haben sie oft schon schmerzlich am eigenen Leib erfahren, dass es einem Menschen in der Regel nicht genügt, nur zu arbeiten und gute Leistungen zu erbringen. Für diese Leistungen wird auch mal ein gutes, anerkennendes, lobendes Wort erwartet.

Eine gute berufliche Leistung braucht auch die Anerkennung von oben. Sie steigert in hohem Maß das so wichtige Selbstwertgefühl eines Menschen und die vor allem zur Leistung führende Motivation aus sich selbst heraus. Scheitler: "Wer nur durch Forderungen getrieben und nicht auch mal durch Lob und Anerkennung gezogen wird, 'erlischt' früher oder später."