Stuttgart - Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich ein fußballaffiner Geophysiker auf den Weg in die Mercedesstraße 109 in Bad Cannstatt aufmacht. Ausgestattet mit einem Seismografen, um die maximalen Wutausbrüche zu messen. Seit Wochen wird der VfB Stuttgart ständig von vereinspolitischen Beben erschüttert. Und die emotionalen Risse im Clubhaus mit dem roten Dach sind mittlerweile so tief und lang, dass zu befürchten steht, dass der Traditionsverein von 1893, der schon viele Stürme überstanden hat, nun bald in sich zusammenkracht.
Diese Sorge treibt die Verantwortlichen um, und die Zerrissenheit des VfB spiegelt sich im Präsidium wider. Auf der einen Seite steht der Präsident Claus Vogt, auf der anderen agieren die weiteren Präsidiumsmitglieder Bernd Gaiser und Rainer Mutschler im Verbund. Das Gremium arbeitet aber nicht mehr zusammen, und es wird auch kaum noch miteinander geredet. Doch nun kommt Bewegung in die vereinspolitisch verfahrene Situation.
Veranstaltung soll möglichst noch im März stattfinden
Nach Informationen unserer Redaktion soll es auf Initiative von Gaiser und Mutschler hin den Vorstoß geben, die ursprünglich für den 18. März geplante Mitgliederversammlung zu verschieben. Doch nicht in den September, wie es Vogt eigentlich anstrebt, sondern die neu terminierte Veranstaltung soll zeitnah stattfinden, möglichst noch im März.
Rein virtuell soll das Ganze ablaufen, und möglichst viele der mehr als 70 000 Vereinsmitglieder sollen die Chance haben, sich an der Versammlung zu beteiligen und somit online an der Präsidentenwahl teilzunehmen. Damit hofft das Präsidium, die extrem angespannte Lage beim VfB etwas befrieden zu können. Jedenfalls sehen das zwei Drittel des Vereinsgremiums so – Gaiser und Mutschler, die jedoch im Zuge der Aufklärung der Datenaffäre mehr (Mutschler) oder weniger (Gaiser) durch den Abschlussbericht der ermittelnden Kanzlei Esecon belastet werden.
Aus unserem Plus-Angebot: Claus Vogt, Volker Zeh oder Mister Unbekannt
Dass Vogt dem Ansinnen folgt, noch im Frühjahr eine Mitgliederversammlung abhalten zu lassen, ist nahezu ausgeschlossen. Er hält daran fest, eine Präsenzveranstaltung zu ermöglichen. Die Entscheidung darüber soll an diesem Mittwoch in einer eigens anberaumten Sitzung fallen. Aber auch hier wird klar, wie verzwickt sich die Verhältnisse darstellen. Vogt hatte zuvor versucht, eigenmächtig die für den 18. März in der Schleyerhalle terminierte Veranstaltung zu verlegen – indem er sich weigerte, die Einladungen zu unterschreiben, um sie fristgerecht den Mitgliedern zukommen zu lassen. Dies hätte bis zu diesem Mittwoch geschehen müssen.
Nun soll eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen werden. Mit dem Kniff, dass hierzu das Präsidium einlädt und nicht zwangsläufig der Präsident. Bisher handelte es sich formell ja um die ordentliche Mitgliederversammlung 2020, die aufgrund der Coronakrise in das Frühjahr 2021 verlegt wurde. Und in einer idealen Welt würde man sich bei der Abstimmung im Präsidium wohl ein einhelliges 3:0-Ergebnis wünschen, aber beim VfB herrscht Führungschaos – obwohl es gute Gründe gibt, sich mehr Zeit zu geben, wie auch Vogt ausführte. Dennoch ist damit zu rechnen, dass es am Ende 2:1 heißt für eine Verlegung möglichst auf einen Termin in den folgenden zwei Wochen.
Auch der Vereinsbeirat gewinnt Zeit
Ob dieses Resultat dann juristisch Bestand hat, bleibt abzuwarten. Zumal Mitglieder den Beschluss, der durch Gaiser und Mutschler herbeigeführt wäre, hinterfragen könnten. Dennoch zeigt der Blick auf den Kalender, dass sich eine Versammlung zum Beispiel am 28. März anböte. Ein Sonntag. Traditionell ein willkommener Tag für Mitgliederversammlungen, weil die Menschen dann vermehrt die Möglichkeit hätten, sich ihrem Lieblingsclub zu widmen. Zudem handelt es sich um ein spielfreies Wochenende in der Bundesliga, was die Emotionalität der Debatten nach Sieg oder Niederlage aus dem Spiel nimmt. Denn zu klären gibt es beim VfB jenseits der Präsidentenwahl viel.
Noch immer steht die Veröffentlichung der juristischen Bewertung des Abschlussberichts zur Datenaffäre aus. Viele Fans warten auf die möglichen personellen Konsequenzen, die gezogen werden könnten. Auch der Vereinsbeirat will diese Entscheidungen grundsätzlich verkündet wissen, ehe er die Präsidentschaftskandidaten benennt. Zwei sollen es nach wie vor sein, und das Gremium um den Vorsitzenden Wolf-Dietrich Erhard tut sich äußerst schwer mit den Nominierungen.
Amtsinhaber Vogt und der Unternehmer Volker Zeh stehen bereit. Mehr offiziell nicht. Weshalb der Vereinsbeirat die gewonnene Zeit für die Suche brauchen könnte. Auch soll die geplante Verlegung dazu beitragen, einen Weg aus der Sackgasse zu finden, in die sich der VfB manövriert hat. Zu befürchten steht jedoch, dass das nächste Beben an der Mercedesstraße nicht lange auf sich warten lässt.
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