Mögliche Vorbilder für das Stöckach-Areal Innovatives Wohnen – Blick über die Grenzen

So könnte es einmal im neuen Stöckach-Areal aussehen. Foto: tong+/tong+

Das Stöckach-Areal ist inzwischen ein IBA ‘27-Projekt. Es lohnt sich der Blick in die Schweiz oder nach Schweden, wo schon neue Beteiligungs- und Wohnformen ausprobiert werden.

Helsingborg - Mit Einsamkeit haben immer mehr Menschen zu kämpfen. Das hat die Professorin Christine Hannemann von der Universität Stuttgart beim jüngsten von der EnBW organisierten Stadtgespräch mit Experten wie der Trendforscherin Oona Horx-Strathern zum Thema „Der Mensch im Mittelpunkt. Über die Kunst Stadtviertel so zu gestalten, dass sie mehr Lebensqualität bieten“ angesprochen. Die Individualisierung führt manchmal schon in jungen Jahren dazu, dass sich Frauen und Männer einsam fühlen. Mit zunehmenden Alter kann das zu einem großen Problem werden. In Helsingborg in Schweden wurde im vergangenen Jahr ein außergewöhnliches Projekt gestartet, mit dem versucht wird, die Einsamkeit von jungen, alten und auch geflüchteten Menschen gemeinsam zu überwinden.

 

Helsingborg ist eine südschwedische Stadt mit rund 110 000 Einwohnern und liegt direkt am Öresund. Der größte Player im Wohnungsmarkt der Stadt ist das städtische Non-Profit-Wohnungsunternehmen Helsingborgshem, dem allein rund 12 000 Mietwohnungen gehören. Etwa jeder fünfte Einwohner von Helsingborg lebt in einer Helsingsborgshem-Wohnung. Das Wohnprojekt „SällBo – the new way to live“ begann Ende vergangenen Jahres. Ein deutlich in die Jahre gekommenes Pflegeheim im Stadtteil Fredriksdal war zuvor rundum saniert und mit Blick auf ein bis jetzt wohl einzigartiges Konzept umgebaut worden.

Die 51 Wohnungen dort mit 36 bis 49 Quadratmetern Wohnfläche werden nur an Menschen vermietet, die entweder 70 Jahre und älter oder 18 bis 25 Jahre alt sind. Die jüngere Zielgruppe ist noch weiter untergliedert, ein Teil der Wohnungen ist für junge Neu-Schweden reserviert, die aber eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung haben müssen. Insgesamt leben seit vergangenem November 60 Menschen in SällBo. Wer die Altersvoraussetzungen erfüllt, muss eine zweite Besonderheit des Wohnprojekts akzeptieren: Im Mietvertrag ist festgeschrieben, dass die Bewohner der unterschiedlichen Gruppen mindestens zwei Stunden pro Woche miteinander verbringen müssen. Die Voraussetzungen dafür wurden beim Umbau geschaffen. Es gibt Gemeinschaftsräume wie große Küchen, Räume für Spiele, Sport oder beispielsweise auch eine kleine Bibliothek. So soll den Bewohnern die Möglichkeit gegeben werden, die Generationen- und Kulturgrenzen gemeinsam zu überwinden. Die Warmmiete beträgt zwischen 4650 und 5410 schwedische Kronen, also umgerechnet 450 bis 525 Euro.

Dragana Curovic ist eine der Verantwortlichen für das SällBo-Projekt und beschreibt die ersten Monate so: „Bis jetzt haben wir sehr gute Erfahrungen mit dem Projekt gemacht. Die Mieter tauschen ihre Erfahrungen aus, helfen sich gegenseitig bei der Hausarbeit, mit der Sprache und gegen die Einsamkeit.“ Die Corona-Pandemie sei auch in SällBo eine Herausforderung, gerade auch die gemeinsamen Aktivitäten hätten reglementiert werden müssen. „Aber es hat gut funktioniert und die Mieter haben gemeinsam Verantwortung übernommen.“

Das Projekt hat inzwischen europaweit für Aufmerksamkeit gesorgt, einige schwedische Städte überlegen bereits, ob und wie sie ähnliche Wohnkonzepte umsetzen könnten.

Hunziker-Areal, Zürich

Zürich - Für Christine Hannemann von der Universität Stuttgart könnte das Hunziker-Areal in Zürich „ein wunderbares Referenzprojekt“ für das Stöckach-Areal sein. „Wir haben sehr viele Wohnungen, die ein individuelles, abgeschottetes Leben ermöglichen, aber wir haben sehr wenige Angebote, die etwas Gemeinschaftliches haben“, sagte die Professorin für Architektur und Wohnsoziologie beim Stadtgespräch über das EnBW-Areal. Für sie ist es wichtig, Wohnprojekte zu entwickeln, die die Vereinsamung in Einzelwohnungen reduzieren und den gemeinschaftlichen Aspekt im Fokus haben – wie eben das Hunziker-Areal.

Leutschenbach liegt im Norden Zürichs und war früher ein Gewerbequartier. Im Zuge des Strukturwandels lag dort eine Fläche von 41 000 Quadratmetern brach. Im Jahr 2007 feierten die Stadt Zürich und ihre Wohnungsbaugenossenschaften unter dem Motto „100 Jahre mehr als wohnen“ ein Jahrhundert gemeinnützigen Wohnungsbau. Das Jubiläum war der Anlass, eine Meta-Genossenschaft zu gründen. Sie bekam den Namen „mehr als wohnen“ und den Auftrag, eine „Innovations- und Lernplattform für den gemeinnützigen Wohnungsbau“ zu sein, hat eine eigene Forschungsstelle und arbeitet eng mit Forschungseinrichtungen zusammen. Das Hunziker-Areal ist das erste Projekt der Genossenschaft.

In dem Quartier leben heute 1200 Menschen. „Die 13 Gebäude bieten Wohn- und Lebensraum für Einzelpersonen, Paare, Familien aller Art sowie für kleine und große Wohngemeinschaften”, heißt es auf der Webseite des Areals. Das Wohnungsangebot reicht von der Ein- bis zur 13,5-Zimmer-Wohnung.

Roseli Ferreira von der Genossenschaft „mehr als wohnen“ spricht von einer „sehr großen Anzahl von Wohntypologien“ auf dem Areal. Die Lebensentwürfe und damit auch die individuellen Biografien veränderten sich. Es gebe vielleicht eine Phase, in der man in einer klassischen Familienwohnung wohne. Dann gebe es vielleicht eine Phase, in der man Lust hat auf eine größere Gemeinschaft – oder auf eine Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnung. „Und wenn man sein Netzwerk aufgebaut hat, dann wäre es ja bedauerlich, wenn man das wieder aufgeben und sich an einen ganz neuen Ort verpflanzen müsste.“ Auf dem Hunziker-Areal könnten den Menschen, die sich verändern wollten oder müssten, genau diese passenden Angebote gemacht werden, sodass sie nicht wegziehen müssten.

Eine weitere Besonderheit sind die sogenannten Allmendräume. „Allmendräume sind Räume für die gemeinschaftliche Nutzung für die Personen, die im Quartier leben“, erklärt Ferreira. Diese Räume – vom Saal für Familienfeiern über das Quartierscafé bis zur Dachsauna oder voll eingerichteten Werkstatt – kann man mieten und werden zum Teil von den 40 Quartiersgruppen organisiert. Finanziert werden diese Gruppen und ihre Aktivitäten durch einen einkommensabhängigen Solidaritätsbeitrag aller Bewohner, verwaltet wird das Geld von der Allmendkommission, die aus Bewohnern besteht.

„Es geht viel ums Kollektiv dort“, sagt Roseli Ferreira. „Es ist wirklich schön zu sehen, dass die nachbarschaftlichen Beziehungen auch tragen, auch jetzt während der Pandemie, während des Lockdowns. Das ist auch das Ergebnis aktiver Genossenschaftsarbeit. Im Kontext der Pandemie wurden wir auch tätig mit Mietzins-Stundungen und –erlassen, zudem mit Extra-Reinigung, Schutzkonzepten und Krisenmanagement.“

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