Monatelang gab es Termine zuhauf in den Impfzentren. Jetzt stehen Ärzte und Impfteams unter Druck. Mobile Impfteams sollen für direkte Angebote sorgen und mehr Menschen erreichen. Aber einige Impfwillige stehen vor verschlossenen Türen.

Notzingen - Dutzende Menschen stehen im Nieselregen und warten, die Regenschirme sind aufgespannt vor dem Impfbus in Notzingen (Kreis Esslingen). Alle wollen sie sich heute noch impfen lassen, viele kommen auch zur Auffrischung, zum „Boostern“. Und viele kommen umsonst. Denn der Ansturm ist zu groß, das Impfteam muss Wartende wieder nach Hause schicken. Noch bevor der Impfbus in Notzingen zum nächsten Einsatzort aufbricht, verlassen sie die Warteschlange und brechen auf. Sie wollen dem Bus an seinem nächsten Standort zuvorkommen und in der Schlange dort einen Platz weiter vorne ergattern.

 

Ein jüngerer Mann ist von seinem Hausarzt zur Auffrischung weiter geschickt worden. Er war mit dem Vakzin von Johnson & Johnson geimpft worden, ein früherer Booster wird in diesen Fällen empfohlen. „Gestern war ich schon in Reutlingen“, erzählt er. Die Schlange sei aber schon zu lang gewesen. „Deshalb bin ich nicht mehr dran gekommen. Heute wird es wohl auch nichts mehr“, sagt der Mitarbeiter eines Automobilzulieferers aus der Gegend.

Ärzte und Impfteams unter Druck

In der Schlange wartet auch eine Finanzbuchhalterin, die ihren Namen ebenfalls nicht in den Medien lesen möchte. „Die Schlange hier war vorhin auch noch länger“, sagt sie. „Die Hälfte ist schon gegangen, als das Impfteam meinte, dass das heute nichts mehr wird.“ Eine Seniorin spricht eine Mitarbeiterin aus dem Impfteam direkt an, als klar wird, dass wohl nur noch wenige Menschen im Bus geimpft werden können. „Mein Mann ist 85 Jahre alt“, sagt sie. „Der Hausarzt hat erst im Januar einen Termin. Können sie ihn bitte noch dran nehmen?“

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Jeweils zwei Stunden war das Malteser-Impfteam des Landkreises Esslingen an diesem Tag an zwei Orten im Einsatz. Fahrtwege und Transport, Einpacken und wieder Auspacken - das alles habe dem mobilen Team wertvolle Zeit geraubt, die es dringend zum Impfen benötigte, wie ein eine Mitarbeiterin des Teams in Notzingen beschreibt. „Wenn man überlegt: Vor einem Monat waren die Impfzentren noch offen - und die waren leer! Wir hatten nichts zu tun!“ Jetzt müssten sie viele Impfwillige unverrichteter Dinge nach Hause schicken.

Das Rote Kreuz zieht Bilanz

Auch das Rote Kreuz in Ulm zieht Bilanz und bestätigt: Der Andrang ist groß, viele müssen abgewiesen werden. Täglich würden Anfragen aus den Gemeinden an das mobile Impfteam kommen. Für November sei die Kapazität aber schon ausgereizt, das Team ausgebucht. Schon vor einiger Zeit habe das DRK Ulm einen Antrag beim Sozialministerium gestellt, um die Impfteams zu verstärken. Für das Klinikum Stuttgart sind wegen der hohen Nachfrage mittlerweile sieben statt der ursprünglich vier mobilen Impfteams des Klinikums in der Stadt unterwegs. Auch in der Landeshauptstadt kämen die Menschen nach Angaben des Klinikums großteils für eine „Booster“-Impfung an die Stationen.

Das Land will deshalb aufstocken: Bereits in der kommenden Woche sollen 50 zusätzliche Impfteams ihre Arbeit im Land aufnehmen, kündigt Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) an. Außerdem will eine Initiative im Kabinett starten, um weitere 50 Teams aufzusetzen. „Dann wären es 130 Teams für das ganze Land“, sagt Lucha. „Wir müssen jetzt schnelle und pragmatische Lösungen anbieten. Die Zeit läuft uns sonst davon.“ Unklar ist laut Ministerium, bis wann die geplanten weiteren Impfteams genehmigt werden und bereitstehen können.

Impfzentren im Südwesten geschlossen

Seit Ende Oktober sind die Impfzentren im Südwesten geschlossen. Für eine Übergangszeit von drei Monaten plante das Land zunächst 30 mobile Impfteams ein, um die Impfkapazitäten der Arztpraxen zu ergänzen. Nun drängt die Zeit, denn nach der bereits ausgelösten Warnstufe und bei einer sprunghaft steigenden Zahl von Corona-Fällen im Land steht die Alarmstufe mit weiteren Verschärfungen vor der Tür.

Die Belegung der Intensivstationen im Südwesten mit Covid-19-Patienten stieg zuletzt auf 308 Erkrankte (Stand: Donnerstag, 16.00 Uhr). Tag für Tag stecken sich allein im Südwesten Tausende Menschen mit dem Virus an, am Donnerstag wurden 20 neue Todesfälle in Verbindung mit dem Coronavirus registriert und Befürchtungen vor einer brechenden „vierten Welle“ werden immer lauter.