Der Monsterologe Matthias Burchardt studiert Ungeheuer, um mehr über die Menschen zu lernen. Er ist eigentlich Pädagogik-Professor. Doch seit einigen Jahren beschäftigt sich der 46-Jährige intensiv mit Monstern jeglicher Art – dazu gehören für ihn auch gesellschaftliche und politische Phänomene.
Herr Burchardt, was sind denn die Monster unserer Zeit?
Die Monster von heute sind nicht mehr die plakativen Figuren, die wir aus der Vergangenheit kennen. Als Monster würde ich heute eher die komplexen Zusammenhänge sehen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Das sind zum Beispiel die Finanzmärkte, die Wirtschaftsmacht oder die Technik, die wir oft nicht mehr beherrschen können, wie das Atomunglück in Fukushima gezeigt hat.

Was sagen die Monster der Gegenwart über unsere Gesellschaft aus?
Sie stellen unsere Gesellschaft in Frage. Sie sind erwachsen aus dem Traum, die Welt zu beherrschen, und kippen nun in den Albtraum von Abhängigkeit und Ohnmacht. Wir wissen zum Beispiel nicht, unter welchen Bedingungen unsere Kleider produziert wurden, wie das Holz für unsere Möbel gewachsen ist und wo das Wasser fehlt, das wir verschwenden. Aber wir können uns den Strukturen nicht entziehen. Wir sind alle Teil des weltweiten Systems und machen uns damit schuldig für Ungerechtigkeiten, ohne etwas dafür zu können.

Was fasziniert Sie so sehr an Monstern?
Die konkreten, unheimlichen Figuren faszinieren durch ihre Stärke und die unerwarteten Reaktionen auf sie. Bei den abstrakten Monstern wie beispielsweise der politischen Propaganda macht es mir Spaß, die subtilen Botschaften zu entschlüsseln und zu schauen, was dahinter steckt. Aber im Prinzip geht es mir um den Menschen. Ich bin Anthropologe und bin auf das Thema Monster gekommen, weil man viel über die Menschen erfährt, wenn man weiß, was ihre Monster sind.