Tiefe Verbundenheit, Nostalgie, Identität: Die Stuttgarterin Alessandra Coronato widmet ihren ersten Film dem Heimatdorf ihres Vaters. Am Samstagabend wird "Paradiso" im Kultur Kiosk gezeigt.

Stadtkind: Tanja Simoncev (tan)

Allein das Wort "Paradiso" macht Lust auf mehr (vor allem auch Meer). In Gedanken reisen wir in das Land, das Dolce Vita lebt wie kein anderes - uns überkommt eine Italiensehnsucht im allerbesten Sinne. Wir träumen von reifen Tomaten, lauen Lüftchen und Salz auf unserer Haut. Schmecken den Sommer und wollen weg. Doch wer wie Alessandra in Italien verwurzelt ist, der sieht auch Schattenseiten, Perspektivlosigkeit, das Begrenzte.

 

Das alles in einem Film festzuhalten, ohne es wirklich gelernt zu haben, ist mutig. Denn eigentlich sei sie ja Redakteurin und Texterin und hätte nichts mit Film am Hut, so die 31-Jährige. Doch die Geschichte vor Augen und der Wunsch beziehungsweise Wille im Herzen ließen Alessandra einfach mal machen. Nicht unbedingt schlecht vorbereitet, ganz im Gegenteil, aber eben auch sympathisch ahnungslos drauf los filmend.

Eine Hommage an das Heimatdorf des Vaters

"Ich habe schon ganz lange eine Hommage an das Heimatdorf meines Vaters im Kopf", erinnert sich die Stuttgarterin mit italienischen und kroatischen Wurzeln, die in Böblingen aufgewachsen ist. Da sie entschieden habe, sich auf ein neues Abenteuer einzulassen und Film zu studieren, hätte sich alles gefügt. Denn Alessandra brauchte einen Bewerbungsfilm, einen Sieben-Minüter, aus dem 40 Minuten wurden (dazu später mehr). Und so machte sie sich also auf gen Süden.

"Ich habe aber schnell gemerkt: Man kann dieses Dorf nicht in sieben Minuten packen, dafür gibt es zu viel zu erzählen." Aus zwei Wochen Dreharbeiten wurden schließlich insgesamt sechs. "Ich war drei Mal dort, am Anfang noch mit einer Freundin als Kamera-Assistenz, später habe ich alles alleine gemacht." Dabei war etwas ganz entscheidend: "Dort zu sein, tut mir so gut, die Ruhe tut mir gut, niemand sein zu müssen, sondern einfach sein zu dürfen."

Pertosa - Alessandras Paradiso

Doch was heißt denn jetzt genau "dort" beziehunsweise "dieses Dorf"? Die Rede ist von Pertosa, süd-östlich von Neapel in Campanien, mitten in den Bergen in einem Nationalpark gelegen. "Es gibt dort nicht viel, vielleicht zwei Bars, aber die Menschen, das Dorf an sich, die Kulisse machen es so besonders." Und es gab keinen Plan, kein Thema. "Ich bin einfach mit den Leuten ins Gespräch gekommen, die Geschichten kamen zu mir und der Film hat mich gefunden, nicht anders herum."

Aber Alessandra gibt zu: "Ich wollte unbedingt festhalten, wie die Tomatensoße dort eingekocht wird, stundenlang, im Sommer für den Winter - eine Tradition, die für mich normal ist, weil ich damit aufgewachsen bin, aber in Deutschland ist uns das fremd." Um fünf Uhr morgens oder sogar noch früher ist die begeisterte Geschichtensammlerin dafür aufgestanden, hat sich mitreißen lassen und ist eingetaucht, vielleicht auch in eine neue Welt samt Perspektivenwechsel - und zwar die des Films.

"Ich weiß noch ganz genau, wie ich da auf dem Feld stand - mit der Kamera in der Hand - und dachte: Ja, das will ich machen."

Alessandras Augen strahlen beim Erinnern an das Erlebte, sie ist begeistert, mit was für einer Liebe, Hingabe und Zeit diese Traditionen gepflegt werden, aber auch von den Lebensweisheiten, die ihr mit auf den Weg gegeben wurden. Protagonistin Maria etwa führte ihr vor Augen: "Lebe im Hier und Jetzt! Denke nicht an das, was war oder was kommt, sondern konzentriere dich auf das, was im Jetzt passiert und mache dir nicht so viele Sorgen und Gedanken."

Aber natürlich werden in "Paradiso" auch alle anderen Seiten gezeigt. Dass dort ohne Auto zum Beispiel gar nichts funktioniert, weil man nicht wegkommt, nicht mal einkaufen gehen kann. Um diese und andere Momente nicht zu verfälschen, habe Alessandra deshalb auch viel mit Zoom gearbeitet. "Ich wollte, dass die Menschen sich unbeobachtet fühlen und dadurch auch authentisch bleiben, um alles so real wie möglich einzufangen."

Einen Satz, der sie auch besonders berührt hat, möchte die Filmemacherin nicht unerwähnt lassen: "Die alten Menschen haben versäumt, den jungen Menschen mitzugeben, dass Haben nicht wichtiger ist als Sein." Nicht viel auf das Materielle zu geben, sich darauf besinnen, was wirklich wichtig ist und dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein - Reminder, die einen zu Tränen rühren. Denn so ist es.

Über "Paradiso" könnte man noch so viel mehr erzählen, etwa von Jugendlichen, die im Dorf etwas bewegen wollen, um so der Landflucht entgegenzuwirken. Denn wie wir Stuttgarter bestens wissen: "Es ist nicht, wo du bist; es ist, was du machst." Oder auch, dass "Paradiso" nicht nur für Paradies steht, sondern eben auch für Tomaten (Österreicher wissen mehr). Das alles und noch viel mehr wird Alessandra am Samstagabend im Kultur Kiosk zu berichten wissen.

Filmabend im Kultur Kiosk, 11.3., Lazarettstr. 5, Stuttgart-Mitte, Beginn: 20 Uhr, im Anschluss Gespräch mit Filmemacherin