Mütter und Mode Warum nicht mal im Kaschmirmantel auf den Spielplatz?

Mütter und Mode, das ist ein schwieriges, breiverschmiertes Kapitel im großen Buch der Modegeschichte. Foto: IMAGO/Westend61/IMAGO/Irina Heß

Kurz nach der Entbindung werden viele Mütter zur wandelnden Funktionsjacke auf Quechua-Schuhen. Muss das sein? Ein Plädoyer dafür, auch mit Kindern seinem Stil treu zu bleiben.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Diese Kollegin war eine Erscheinung. Sie trug Etuikleider und passende Kurzmäntel, hochtaillierte Bleistiftröcke, Culotte-Hosen und Schluppenblusen und schritt jeden Tag auf sehr hohen Pumps so gerade und anmutig durch die Möhringer Kantine wie bei einem Pariser Defilee. Nicht wenige Männer mussten zu ihr aufsehen. Sie war Führungsfigur, Frau und außerdem Mutter. Keine Frage: Diese Kollegin stellte etwas dar, sie taugte zum Vorbild.

 

Ein paar Jahre später dann, man hatte mittlerweile selbst Kinder bekommen, dachte man an sie, während man auf breitgelatschten Turnschuhsohlen, am Leib irgendeine Jeans, irgendeinen Pulli, in die man irgendwie zwischen Veschper-Richten, Kita- und Bürobeginn hineingeraten war, am Schreibtisch hing. Man fragte sich: Wie hat sie das nur gemacht?!?

Schnullerketten als Geschmeide

Mütter und Mode, das ist ein schwieriges, breiverschmiertes Kapitel im großen Buch der Modegeschichte. Mit der Schwangerschaft setzt bei vielen Frauen eine Verwandlung ein. Erst verpuppen sie sich in elastischer oder den Körper umwallender Umstandsmode. Dann werden sie nach der Niederkunft als Funktionsjacken tragendes Muttertier in Outdoor-Tretern, Gummizug-Hosen und mit festgewachsenem Rucksack wiedergeboren. Ihr Geschmeide sind Schnullerketten, ihr keckstes Accessoire: die Feuchttücher-Packung.

Natürlich hat all das seine Berechtigung. Erst mal. Der Körper wird zur gemütlichen Babyhöhle umgebaut, die Zeit mit dem Kind fordert alle Kraft und Gedanken. Da muss man es sich einfach, gemütlich und praktisch machen dürfen, da kann sich über die Modepersönlichkeit schon mal der Mantel des Mamaseins breiten.

Die Wickeltasche als Werkzeugkiste

Man kann es ja auch so sehen: Die Rolle der Mutter befreit Frauen vorerst vom Diktat des Schönseins und Sich-doch-bitte-schön-machen-Sollens. Stattdessen bekommen sie eine neue Aufgabe, eine(n) Beruf(ung). Die Jogginghose als Arbeitskluft auf der familiären Großbaustelle, die Wickeltasche als Werkzeugkasten für diese komplizierte Apparatur namens Kind. Zumal die mütterlichen Einsatzorte – Krabbelgruppen, Spielplätze, Fußballfelder – nach schmutz- und wasserabweisenden, atmungsaktiven und schweißabsorbierenden Textilien verlangen. Anders gesagt: Im Bleistiftrock wurde noch kein unterirdischer Bahnhof gebaut.

Allerdings gehört es zum Wesen der Berufskleidung, auch wieder abgelegt zu werden, weil der Mensch sonst hinter der Funktion verschwindet. Und hier beginnt nun das Problem, das sicherlich über die Mutter in Quechua-Tretern hinausreicht. Den Deutschen wird an sich ein Fetisch fürs Funktionale nachgesagt. Der Journalist Ulf Poschardt beschrieb sie schon vor zehn Jahren als lust- und luxusfeindliche Philister in Outdoor-Klamotten, einer „Funktionsmaskerade“, die unterstelle, man sei für alles gerüstet – auch wenn man in Active-Trail-Schuhen und Hosen mit Belüftungs-Reißverschlüssen nur den nächsten Edeka oder einen schwäbischen Funpark bezwinge und nicht etwa den Nanga Parbat.

Die Jogginghose des Narzissten

Die Literaturwissenschaftlerin und Modetheoretikerin Barbara Vinken sieht in nachlässiger Kleidung einen Ausdruck der Moderne. Sie signalisiere, dass man Wichtigeres zu tun habe, als auf Äußerlichkeiten Gedanken zu verschwenden und sich danach beurteilen zu lassen. Für Vinken eine „eigentümlich narzisstische Abkehr von den Mitmenschen. Und eine Abkehr von allen ästhetischen Seiten des Lebens.“ Der Jogginghosenträger denke nur mehr an sich – „und negiert und verleugnet den Blick des anderen“.

In ihren Büchern, zuletzt in „Ver-kleiden: Was wir tun, wenn wir uns anziehen“, erklärt Vinken dieses antimodische Moment historisch: Das Schöne, einst zelebriert vor allem vom Adel, werde „im protestantisch reformierten Deutschland meist als Ärgernis betrachtet, als weibischer Luxus, überflüssig und politisch kontraproduktiv – da Mode als antirepublikanisch galt, als fest mit dem Tyrannischen verbunden“.

Diskussion über Rückkehr auf hohen Hacken

Welche symbolische Bedeutung Mutter-Mode entfalten kann, zeigte 2010 die damalige französische Justizministerin Rachida Dati. Die erschien wenige Tage nach der Niederkunft in High Heels (schon immer ihr Markenzeichen) und schwarzem Kostüm zurück im Amt. Und auch in Deutschland wurde hitzig diskutiert, ob sie das dürfe oder sich durch ihre frühe Rückkehr auf hohen Hacken nicht einem kapitalistischen, naturfeindlichen, antiemanzipatorischen System unterwerfe. Dass sich das Ringen der Frauen um Selbstbestimmung immer auch über Mode austrägt, das zeigte sich hier einmal mehr.

Und so sind auch all die Ratgeberformate, die den mütterlichen Kleiderschrank mittlerweile entdeckt haben, nicht ganz unpolitisch zu sehen. Mancher Mutti-Blog-Tipp kommt zwar gut gemeint daher, liest sich dann aber recht erniedrigend, wenn die „angesagte“ Tunika empfohlen wird, die „zudem noch kleine Pölsterchen nett kaschiert“.

Ulrike schneidet ihre Haare mit der Küchenschere

Auch in der sehr zeitgeistigen Netflix-Sendung „Queer Eye“, in der die fünf queeren Stil-Experten regelmäßig das Leben von Normalos umkrempeln, scheint die modisch vernachlässigte Mama ein lohnendes Subjekt. Zu sehen ist dann zum Beispiel Ulrike, 44, zwei Kinder, Medizinisch-Technische Assistentin aus Köln, die ihr Leben in 7/8-Hosen und Sack-T-Shirts verbringt. Die Lebensfreude, der Selbstwert sind ihr zwischen zwei Jobs und Familie abhandengekommen, die Haare schneidet sie sich mit der Küchenschere. Das Elend moderner Mutterschaft ist ihr auf den Leib geschneidert.

Wenn diese Frau am Ende der Folge, nun in Kleid und Pumps, sagt, sie trage endlich wieder die Dinge, die sie früher mochte („Das Gefühl von damals ist wieder da“), dann ist das nicht nur sehr rührend. Dann zeigt sich eben auch, dass Kleider mit Haltung zu tun haben, mit der Sicht auf sich und die Welt. In Jacken, Hosen, Röcken zeigt sich Haltung, aber sie geben sie auch. Barbara Vinken etwa ist überzeugt, in scharf geschnittenen Silhouetten schärfer denken zu können.

Im Etuikleid zum Kitafest

Was heißt das für die Mutter in Jogginghosen am Homeoffice-Schreibtisch? Vor allem, es sich modisch nicht zu bequem zu machen. Sich zu fragen, wer man vorher war und heute sein will. Und dann kommt man vielleicht dazu, die Schluri-Hosen auszuziehen. Einfach mal im Kaschmirmantel auf den Spielplatz zu gehen, im Etuikleid zum Kitasommerfest, in der Schluppenbluse zum E-Jugend-Punktspiel. Und das fühlt sich doch tatsächlich an wie ein kleines Defilee.

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