Der Bildhauer Gerhard Tagwerker hat unzählige Kirchen ausgestattet, am Wochenende wird sein neuestes Werk enthüllt: eine Madonna für die Liebfrauenkirche in Filderstadt-Bonlanden. Der 86-Jährige spricht von einer besonderen Verbindung.

Filder - Ein klassischer Fall von Tiefstapelei. „Ich bin eine Mumie“, hat Gerhard Tagwerker eben noch gesagt, und jetzt flitzt diese angebliche Mumie in der Werkstatt hin und her, trägt Kunstwerke, Modelle und Arbeitsmaterialien, lupft Keramiken vom obersten Regal und holt Unterlagen aus verborgenen Ecken. Kaum hat sich Gerhard Tagwerker gesetzt, da springt er wieder auf, um etwas zu demonstrieren. 25 Jahre lang hat er nebenberuflich am Eduard-Spranger-Gymnasium in Filderstadt Kunst und Musik unterrichtet. Der Lehrer steckt noch immer im heute 86-Jährigen.

 

Er hat aber auch tatsächlich viel zu erzählen, dieser Gerhard Tagwerker. Gefühlt 100 Karrieren hat er hinter sich. Der gebürtige Österreicher ist Restaurator, Domsteinmetz, Barockstuckateur, studierter Bildhauer, Bassist, Posaunist, Schlagzeuger. Tausendsassa. Wer ihm gedanklich folgen will, muss auf Zack sein. In einer Minute berichtet er von Begegnungen mit Louis Armstrong und Papst Johannes Paul II., dann wieder von seiner Zeit als Musiker im Radio-Mitternachtsprogramm. Am Bamberger Dom oder am Wiederaufbau der zerstörten Stiftskirche in Stuttgart hat er gearbeitet. Die Ackermann-Gruppe in Zuffenhausen hat er ebenso geschaffen wie die Bischof-Moser-Gruppe im Bohnenviertel, den Echterdinger Rathausbrunnen oder die Edith-Stein-Großplastik in der Freiburger Klosteranlage Sankt Peter. Auch die Fassade des Rathauses in Gütersloh stammt von ihm. „60 laufende Meter Kunst, ich habe mit 30 Steinmetzen die Stadt in Schutt und Asche gelegt“, sagt er und grinst spitzbübisch. Weit mehr als 100 Kirchen hat Gerhard Tagwerker komplett ausgestattet.

Eine ganz besondere Madonna

Sein neuestes Werk ist gerade fertig geworden. Eine thronende Marienstatue für die Liebfrauenkirche in Bonlanden. Bereits Ambo, Altar, Tabernakel oder Taufstein stammen aus der Werkstatt im alten Echterdinger Bauernhaus. Im 60. Jahr der Kirche hat sich die Gemeinde eine besondere Madonna gewünscht. Im aktuellen Kirchenanzeiger wird vom „genialen Kunstwerk“ geschwärmt, der Schöpfer stellt jedoch mal wieder sein Licht unter den Scheffel. „Da ist mir endlich was gelungen im Leben“, sagt er, während er das Gipsmodell anblickt. Ein großer Madonnen- und Frauenverehrer sei er. Der Christus, der aus dem Schoß der Maria entspringt, aber durch die zum Segen gebreiteten Arme zugleich das Kreuz andeutet, „das imponiert mir“. Im gepflegten Tagwerkerschen Gärtchen ruht bereits eine ähnliche Skulptur, im Schatten eines großen Baumes. „Sie sagt mir was, sie hat einen besonderen Ausdruck, er fasziniert mich.“

Und dieser Mann soll eine Mumie sein?

Die etwa 1,20 Meter hohe und zwei Zentner schwere Statue steht schon in der Kirche und wird am Wochenende enthüllt. „Dieses Material hat etwas Hintergründiges“, sagt Gerhard Tagwerker über die Bronze. Wie lang er dran gearbeitet hat, kann er rückblickend nicht sagen. Ein Vierteljahr? Erst hat er eine 1:10-Miniatur erstellt, um sie beim bischöflichen Ordinariat genehmigen zu lassen. Dann kam das Ganze in Groß: ein Styropormodell mit Gips modelliert, wie er es eben als Stuckateur gelernt hat, dann ein Silikonabguss, der mit Wachs aufgefüllt und dann in einem Ofenstein langsam ausgeschmolzen wird, damit der Hohlraum dann mit Metall aufgefüllt werden kann.

Neue Ideen gibt es reichlich. Die Liebfrauenkirche soll noch eine Wandmalerei erhalten. Wasser, das aus einem Felsen sprudelt. Eine Skizze hat er schon erstellt. Außerdem arbeitet er an neuen Kleinplastiken. Eine Mumie, wer soll das denn glauben? Gerhard Tagwerker lächelt entschuldigend. „Es lässt mich nicht in Ruhe.“