Vor zehn Jahren ist das Museum Ritter in Waldenbuch eröffnet worden. Zum runden Geburtstag zeigt das Haus eine Schau mit Werken aus dem beständig wachsenden Fundus.

Waldenbuch - Im Jahr 2005 begann in Waldenbuch ein ungewöhnliches Experiment. Ein Museum, gewidmet einem einzigen Bildthema: dem regelmäßigen Vierkant. Denn die Schokoladenfabrikantin und Museumsstifterin Marli Hoppe-Ritter sammelte und sammelt vorwiegend Kunst im markanten Format der kakaohaltigen Tafeln, mit denen das Unternehmen Ritter Sport seit drei Generationen Naschmäuler versorgt. Zehn Jahre und rund dreißig Ausstellungen später kann man festhalten: das Experiment, das mancher als private Marotte abtat, ist geglückt. In der Kunst nämlich gelten für Quadrate andere Regeln als im Mathematikunterricht. Es gibt sie nicht nur monochrom gemalt, sondern auch kreischig koloriert, als blitzende Spiegelmaschine, als digitale Animation oder als komplex eingeschnittenen Kubus. Bald fügen sie sich zum Gesicht, bald zur abstrakten Stadtlandschaft. Vier Ecken, die die Welt bedeuten.

 

„Ein Quadrat ist ein Quadrat ist ein Quadrat“ lautet dagegen der schlichte Titel der Geburtstagsschau, die anhand von Sammlungshöhepunkten den Weg des puristischen Vierkants durch die moderne Kunstgeschichte verfolgt – allerdings in umgekehrter Chronologie. Im Erdgeschoss des Hauses grüßen jüngere Beispiele wie Alfonso Hüppis Bretterwand mit Quadratfleck, Beat Zoderers Aktenordnergeometrie sowie eine Bodenplastik von Thomas Rentmeister, der Hoppe-Ritter den Gefallen tat, eine gigantische Schokoladentafel in Eisen zu gießen.

Deutlicher noch als etwa das Burda-Museum in Baden-Baden, die Würth-Museen oder die anderen privaten Sammlertempel des Südwestens ist das Museum Ritter ein kolossaler PR-Schachzug, der die Kunst vor den Karren einer Marke spannt. Gegenüber dem Eingang zur Sammlung liegt ein Schokoshop. Genauso einräumen muss man fairerweise aber, dass das Waldenbucher Haus viel für das Renommee der geometrischen Abstraktion geleistet hat. Hier erlebten die zu Beginn des Jahrtausends vergessenen Kinetikpioniere Hartmut Böhm und Heinz Mack mit ihren Bewegtquadraten eine Renaissance, hier auch fanden norditalienische Avantgardisten wie Marcello Morandini oder Grazia Varisco erstmals eine Bühne in Deutschland.

Quadrate besitzen nicht zwangsläufig etwas Statisches

Die alles überspannende Botschaft des Museums ist dabei folgende: Quadrate sind nicht langweilig, besitzen nicht zwangsläufig etwas Statisches. Da reicht schon ein Blick auf das herunterkippende braune Vierecklein, mit dem Camille Graeser die Ruhe einer monumentalen Farbfeldkomposition platzen lässt. Es scheint, als sei die Geschlossenheit der geometrischen Grundform der frechen Künstlerfantasie stets aufs Neue ein Ansporn, die strenge Tektonik aufzubrechen. In tausend Varianten dreht, zerteilt, krümmt und vervielfältigt der kreative Erfindergeist das Quadratische, schleift ihm die Kanten rationaler Ästhetik weg.

Und all das wurde belohnt. Insgesamt lockten Sammlungspräsentationen und Sonderausstellungen seit der Eröffnung 400 000 Kunstfreunde an. Auch der Gedenktagskalender meint es gut mit den Waldenbuchern. Fällt der erste runde Geburtstag des Museums doch mit einem anderen Erinnerungstermin aus der Geschichte der Abstraktion zusammen.

1915, vor hundert Jahren also, schuf der russische Revolutionskünstler Kasimir Malewitsch jenes legendäre „Schwarze Quadrat“, das nicht nur zum offiziellen Auftaktgemälde der Konkreten Kunst wurde, sondern auch zur bis heute radikalsten Ikone der modernen Darstellungsskepsis. Das Bleistiftblättchen, auf dem der Sowjetmeister eine gemischte Viereckkonfiguration hingestrichelt hat, bildet im Obergeschoss denn auch den Höhepunkt des Jubiläumsparcours. Eine ganze Wand für sich allein bekommt dieses älteste Werk des Hauses, vis-à-vis tummeln sich in Petersburger Hängung all die mehr oder weniger konstruktiven Zeitgenossen Malewitschs.

Rund Tausend Werke im Museum

Landsleute wie El Lissitzky („Studie zur Geschichte von zwei Quadraten“) treffen auf Beispiele aus der mitteleuropäischen Moderne. Vom optisch pulsierenden Mäandermosaik Adolf Fleischmanns bis zu einer ungegenständlichen Maschinenfiktion Willi Baumeisters aus dem Jahr 1927. Aber auch der dadaistische Schalk Kurt Schwitters’ wollte nicht auf rechte Winkel verzichten. Er zerschnippelte Kleinanzeigen und Werbung für Hühneraugenpflaster zu geometrischen Absurditäten.

„Wenn ich mit der Museumsgründung noch einmal von vorne anfangen könnte“, sagt die zufriedene Gründerin, „würde ich alles wieder genauso machen. Nur noch ein bisschen größer bauen.“ Denn wie jede engagierte Kollektion wächst auch die des Museums Ritter kontinuierlich weiter. Rund tausend Werke sind es derzeit. Und damit stieß die Muschelkalktrutzburg des Schweizer Architekten Max Dudler trotz siebenhundert Quadratmetern Ausstellungsfläche zuletzt beinah an ihre Kapazitätsgrenzen. Aber noch ist Platz.

Platz für die virtuellen Kachelräume Victor Vasarelys ebenso wie für François Morellets Pyramide aus flimmerbunten Wandkacheln. Platz in der Schau vor allem aber für die fast schon hochaltarwürdige Elementargeometrie, die der Altmeister Joseph Albers freischwebend in eine illusionistische Fensternische setzt. Strahlend, grell und gelb. In Waldenbuch scheint auch die Sonne im Quadrat.