Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Und man spürt, bei immenser Güte des Solistenensembles, das Suchende in allen, weil das Forschen nach dem jeweiligen Klangideal idealerweise keiner direkten Vorgabe folgt, sondern immer ein Herantasten an Möglichkeiten ist. So fallen die Frage-und-Antwort-Momente im Konzert auf der in Kirchenfensterfarben weinrot und lila illuminierten Bühne – und davor und dahinter – manchmal vorerst ein bisschen blutleer aus und unterbrechen zumindest den ansonsten frei fließenden Rhythmus: Tempo, das dankenswerterweise nicht darauf aus ist, Geschwindigkeitsrekorde zu brechen.

 

Umgedreht werden Gipfel der Schönheit, der Zwiegesang von Dorothee Mields und Gerlinde Sämann in „Pulchra es“ zum Beispiel, nicht über Gebühr zelebriert. Falsche Feierlichkeit ist nie das Maß der Dinge für Rademann, der in Stuttgart am Anfang eines Weges steht, auf dem er bereits ein Riesenstück vorangekommen ist. Unter der Woche beim Musikfest, dann mit Bach, und am nächsten Wochenende, mit Händel, wird man hören, wie weit die neuen Ensembles dort, in der Interpretation geschlossenerer Formen, sind.

Im Übrigen gab es, neben vielen außerordentlichen Momenten, einen ganz besonderen Augenblick, in dem deutlich wurde, dass ein radikales Musizieren sogenannter Alter Musik die Pforten der Wahrnehmung wie Türen öffnet: das war, als zwischen Psalm 121 und 126 durch die drei fein austarierten Chorgruppen eine Raumwirkung erzielt wurde, die wie von selbst den Sinn stiftete zwischen dem, was der barocke Komponist Claudio Monteverdi im Klang angelegt hat, und dem, was der gleichzeitig keusche und sinnliche Zeitgenosse des zwanzigsten Jahrhunderts, der Venezianer Luigi Nono, später paraphrasierte. Minutenlang hörte man die Zukunft reden. Bezeichnenderweise war gerade („Nisi dominus aedificaverit domus“) vom Hausbau die Rede. Wohlan!