Musikfest Stuttgart Spektakuläre Klangbilder

Konzert im Beethovensaal Foto:  

Hans-Christoph Rademann und die Gaechinger Cantorey spielen im Beethovensaal mal wieder Haydns „Jahreszeiten“.

Sauf- und Tanzlieder, quakende Frösche, dramatische Jagdszenen samt hetzenden Hunden und Gewehrschüssen, ein prächtiger Sonnenaufgang, ein Sommergewitter: In Haydns „Die Jahreszeiten“ ist mächtig was los.

 

Kein Wunder also, dass sie zu den Publikumslieblingen der Oratorienliteratur gehören. Trotzdem war der Beethovensaal am Sonntag, am Musikfest-Tag Nummer 3, an dem das Werk von der Gaechinger Cantorey in der Leitung von Hans-Christoph Rademann aufgeführt wurde, nur höchstens zu einem Drittel gefüllt. Das könnte man natürlich aufs schöne Wetter und eine etwaige Biergartenfavorisierung durchs potenzielle Publikum schieben. Aber es ist wohl eher der beliebigen Dramaturgie des diesjährigen Musikfestes Stuttgart der Internationalen Bachakademie geschuldet.

Luzide, farbig und mit großem Gestaltungswillen

Am Freitag war schon Haydns „Schöpfung“ erklungen, am Samstag Bachs h-Moll-Messe – beide Konzerte offenbar noch gut besucht –, und dann folgte gleich darauf mit den „Jahreszeiten“ ein weiteres Werk, das ohnehin regelmäßig in Bachakademie-Veranstaltungen zu erleben ist. Aber Haydns Oratorien passen halt als zwei der wenigen Programmpunkte des Musikfests wirklich hinein in die vage Festival-Thematik „#natürlich“. Die Bach’sche h-Moll-Messe entzog sich da bereits dem Motto. Was ist an ihr „natürlich“? Sie ist ja eher das Gegenteil von Natur: Höchste Kunst.

Sei’s drum. Qualitativ gab es an der Aufführung der „Jahreszeiten“ nichts zu meckern. Das zweieinhalbstündige Oratorium kann sich schnell mal in die Länge ziehen. Nicht so an diesem Abend. Luzide, farbig und mit großem Gestaltungswillen spielte das Orchester mit Petra Müllejans vom Freiburger Barockorchester als Konzertmeisterin. So konnten sich die vielen spektakulären Klanggemälde unmittelbar wirksam und plastisch entfalten: von der Schilderung der unter brütender Sommerhitze langsam dahinsiechenden Natur über eine dick vernebelte Winterlandschaft bis hin zur ohrenkinematografischen Darstellung einer Jagd mit gleich vier schmetternden Waldhörnern.

Straffe Spannungskurve

Mit großen Schwungbewegungen bündelte Hans-Christoph Rademann die Energien und brachte alle in einer packenden Musik zusammen – auch in den sehr komplex komponierten Genrebildern von Jagd, Erntefest und Spinnstubenidylle. In die orchestrale Bildkraft fügte sich der lebendig agierende, stimmlich ausgewogene Chor perfekt ein – auch in der Lobgesang-Fuge auf die bürgerliche Tugend „Fleiß“, der Haydn in den „Jahreszeiten“ kurioserweise ein musikalisch besonders aufwendiges Kapitel gewidmet hat.

Auch die Solopartien passten sich wunderbar ins Gesamtbild ein: der Bariton Jóhann Kristinsson mit warmem Timbre, dem nur in der Tiefe ein bisschen Erdung respektive Volumen fehlte, und die Sopranistin Elsa Benoit, die durch Ausdruckskraft und tirilierende, sichere Höhen erfreute. Zum besonderen Erlebnis des Abends wurde aber der Tenor Julian Habermann, der auf jegliche oratorische Distanz und Routine pfiff und seine Partie des Lukas in jedem Ton hörbar durchlebte. Was nicht unerheblich zur straffen Spannungskurve dieses Abends beitrug. Erste Sahne!

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