Die Staatliche Instrumentenbauschule in Mittenwald baut auf einer langen Handwerkstradition auf und zieht Schüler aus allen Kontinenten an. Gänzlich von Hand gefertigt werden nicht nur Geigen und Gitarren, sondern auch Blasinstrumente aus Holz und Metall.

Mittenwald - Da kommen sie aus buchstäblich aller Welt, junge Leute, angelockt vom Geist des Ortes, vielleicht auch von den Gipfeln des Karwendels und des Wettersteins, die da so malerisch durch die Panoramafenster hereinleuchten. Und was bekommen sie in die Hand gedrückt? Ein roh zurechtgesägtes Holzbrett. Dann klappen sie ihren Werkzeugschrank auf und schrecken erst mal zurück. Denn dort hängt das Semesterprogramm; dort steht haarklein, was aus der dicken Bohle werden soll: „Violine nach Antonio Stradivarius, goldene Periode.“ So einfach beginnt sie, die dreieinhalbjährige Ausbildung zum Geigenbauer.

 

So einfach hat dort, in Mittenwald, vor 340 Jahren auch ein gewisser Mathias Kloz angefangen. Lauten hat er gebaut, die waren Mode damals, und gelernt hatte er das – genauso modisch – bei den Italienern, in Padua. Sage keiner, Kloz‘ Heimatgemeinde in den bayerischen Alpen liege hinterm Berg: Schon damals führte die wichtigste Handelsstraße zwischen München, Augsburg, Nürnberg einer- und Venedig andererseits durch Mittenwald und weiter über die Brennerschneise nach Süden. Waren kamen vorbei, Ideen auch; die Händler – die Mittenwalder Bäcker nicht zuletzt, für den schnellen Reiseproviant – lebten gut davon. Mit Mathias Kloz entdeckten dann die eher armen Bergbauern, dass die Fichten und der Bergahorn in ihren Wäldern ein famoses „Tonholz“ abgaben; sie lernten, die arbeitsleere Zeit im Winter mit musikalischem Schnitzen zu füllen. So begann der Mittenwalder Geigenbau mit seinen zeitweise mehr als hundert Familien. Und es begann der Handel. Sonst wäre man ja nicht berühmt geworden.

Handarbeit im Zehntelmillimeter-Bereich

Noch heute ist Frederik Habel, der Schulleiter in Mittenwald, stolz darauf, dass seine Schüler alles selber machen. Es gibt einen reichen Bestand aus gut abgelagertem Holz, 20 bis 60 Jahre alt; es gibt aber – „anders als in anderen Schulen“ – keine industriell vorgefrästen Stücke für das, was eines Tages eine „High-End-Geige“ werden soll, ein Instrument in einer Gipfelregion, wo nur mehr der Klang eine Rolle spielt, nicht aber der Preis. Klar, sie lernen Computerdesign auch in Mittenwald; sie haben einen, sündteuren, mit Hightech vollgestopften, „reflexionsarmen Raum“ für die Klangvermessung. Aber die Arbeit mit Laubsäge und Stechbeitel, mit Dampf, mit lupenfeinen Intarsienblättchen, mit Hobeln, die so klein sind, dass sie zwischen zwei Fingern fast verschwinden – „da kommt’s ja auf Zehntelmillimeter an“, sagt Habel –, die machen sie in Mittenwald ausschließlich von Hand.

Den guten, alten Haut- beziehungsweise Knochenleim kochen sie auf kleinem Öfchen selber; Dutzende von Naturharzen lösen sie in Öl oder Alkohol, um daraus in geradezu alchimistischer Wissenschaft die klangoptimierenden Lacke anzurühren. Und die genau passenden Farbtöne – denn „weil vom Instrumentenbau allein heute kaum mehr einer leben kann“, wie Habel sagt, gehören zur Mittenwalder Ausbildung auch die Reparatur und die historisch exakte Restaurierung alter Instrumente. „Eine gute Geige hält 400 Jahre“, sagt Habel, aber manchmal braucht sie Hilfe.

Rohstoff von der Rolle

Seit Bayerns König Maximilian II. eingriff, um die durch billige Massenproduktion bedrohte Qualität und damit den internationalen Ruf der Mittenwalder Geigen zu sichern – schon 1858 war das der Fall –, gibt es die Geigenbauschule. Das heißt, eigentlich gibt es sie nicht mehr, auch wenn die traditionsstolze Marktgemeinde sie auf ihren Hinweisschildern noch so nennt. Heute hat sie sich zur „Staatlichen Musikinstrumentenbauschule“ erweitert. Denn schon 1882 bekam die üppige Familie der Streichinstrumente einen gewissermaßen schrägen Zuwachs in Gitarren und sonstigen Zupfinstrumenten; 2013 gesellten sich mit Klarinetten und Oboen die Holzblasinstrumente dazu, 2009 waren es Trompeten und anderes Metall. Wer in dieser Sektion anfängt, beginnt eben nicht mit einer Holzbohle; man schneidet ihm einen Fladen Messingblech von der Rolle: „Machen Sie, für Ihre Gesellenprüfung, ein Flügelhorn daraus!“

Die Schule betreibt eine Website in acht Sprachen, darunter in Japanisch und Koreanisch. Der seit 2006 amtierende Chef stammt – erstaunlich genug für den Leiter einer bayerischen Renommierschule – aus Baden-Württemberg; die Schüler drängen aus allen Kontinenten heran, „viel, viel mehr, als wir je aufnehmen könnten“, sagt Frederik Habel, der vor zwanzig Jahren selber Schüler war in Mittenwald und später über die Merkmale anthroposophisch gebauter Geigen promoviert hat.

Musizieren auf eigenen Werken

Ausbildungsplätze gibt es nicht eben viele in Mittenwald: In die drei- bis dreieinhalbjährige Berufsfachschule werden pro Jahr höchstens zwölf angehende Geigenbauer aufgenommen, dazu jeweils etwa vier Kandidaten für die drei anderen Instrumentengruppen. Dafür, sagt Habel, verlange der Staat auch kein Schulgeld und garantiere jedem seine ganz persönliche Werkbank – alle am Fenster, mit Tageslicht und (viele) mit Bergblick. Wer nicht zeichnen kann – gefordert werden diverse Ansichten der jeweiligen Geigen, Flöten, Gitarren, Trompeten – und wer nachweislich nicht mindestens zwei Jahre Unterricht auf „seinem“ Instrument hatte, braucht sich erst gar nicht zu bewerben. Genauso wie der Schulleiter Wert darauf legt, dass die in Mittenwald begonnenen Instrumente auch zu Ende gebaut werden. „Die Schüler müssen ja hören, wie’s klingt, sie sollen am Klang arbeiten und das Gesamtkonzept eines Instruments verstehen. Da reichen Arbeitsproben nicht aus“, sagt Habel beim Gang durch den modernen, lichten Bau.

Hören soll schließlich auch die Öffentlichkeit, was aus Brettern und Blech geworden ist: Dafür ist der Konzertsaal der Schule da, wo die Schüler musizieren, viermal im Jahr – auf eigenen Werken und mit der begründeten Aussicht, dass sie auf diesen nicht sitzen bleiben: Die Kaufinteressenten melden sich beim Landratsamt als dem Schulträger. Und dort gibt es, so Habel, „eine lange Warteliste“.

ZUSATZINFOS

Als Berufsfachschule für gleich vier Zweige des Musikinstrumentenbaus (von acht) steht Mittenwald einzig da in Deutschland. Im sächsischen Vogtland, einem weiteren traditionellen Zentrum der Branche, gibt es – Praxis und Theorie in kompakter Ausbildung vereinend – eine vergleichbare Schule für Geigenbauer. Hinzu kommt dort, genauso wie in Ludwigsburg, eine „normale“, lehrbegleitende Berufsschule für die nicht eben zahlreichen Azubis, die ihr Handwerk bei einem der etwa 1200 deutschen Instrumentenbauer direkt lernen. Einen solchen Berufsschulzweig bietet Mittenwald auch; hier trifft sich auch die einzige deutsche Berufsschulklasse für kaufmännische Auszubildende im Musikalienhandel.