Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Romantische Reminiszenzen verbieten sich bei Managern wie Renner natürlich beim Gedanken an ein traditionelles Kulturgut, wenn man selbst beim eigenen Nachwuchs in Businesskategorien denkt. Warum sonst sollte er Sätze wie diesen sagen? "Wenn ich meine Kinder als Kernzielgruppe sehe, wird der Verzicht auf jegliche physischen Träger sehr naheliegend sein."

 

Werden sich künftig also nur noch ein paar Ewiggestrige am haptischen Erlebnis weiden, eine Schallplatte aus der Hülle zu ziehen und die Nadel in die Rille sinken zu lassen, ein schön gestaltetes CD-Booklet während des Musikgenusses durchzuschmökern und vielleicht sogar den abgedruckten Texten darin Aufmerksamkeit zu schenken?

Oder sollen die Menschen diese künstlerische Welt lieber als Bits und Bytes auf einem iPod durch die Gegend tragen? Einem iPod, das in minderer Klangqualität omnipräsent und ohne jegliche Kontemplation Töne aus zwei Kopfhörerchen ins Ohr zischt, in einer heruntergeladenen Hitabfolge, die ihnen Online-Streamingdienste wie Spotify, Simfy, iCloud oder Musicmonster maschinell generiert - "Kunden, denen dieses Lied gefallen hat, interessierten sich auch für..." - und oktroyiert haben? Ein schauderhafter Gedanke. Aber wenn es nach der Musikindustrie geht, soll es wohl genau so sein.

Vertrauen in die Plattenfirmen sinkt

Die nackten Zahlen zeigen jedenfalls, wohin die Reise in der Branche geht. Der erzielte Umsatz mit Tonträgern ist in Deutschland in den vergangenen neun Jahren von 2,3 Milliarden auf unter 1,5 Milliarden Euro gefallen, Tendenz sinkend. Der Absatz von Tonträgern ist von knapp über zweihundert Millionen auf knapp über einhundert Millionen Exemplare geschrumpft - um alarmierende fünfzig Prozent in weniger als einer Dekade, Tendenz auch hier: sinkend. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, darf man sicher sein, dass die CD, die gerade erst ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hat, ihren fünfzigsten nicht erleben wird. Die Musikkassette wird dann längst tot sein, ihre einstigen Käufer sind jedoch mitnichten, auch das zeigt die Tabelle, ins Lager der CD-Käufer übergewechselt. Und die Musik-DVD, vor Jahren noch als großer Heilsbringer gefeiert, dümpelt derzeit bei gleichbleibenden Absatzzahlen trostlos vor sich hin.

Aus Sicht der Industrie mag der von ihr seit Jahren eingeschlagene Weg, Musik nicht mehr nur auf klassischen "physischen" Tonträgern anzubieten, sondern sie in Downloadportalen auch als Dateien zum Herunterladen zu verkaufen, auf den ersten Blick plausibel erscheinen. Die Musikkassette ist als Medium mehr oder weniger ausgestorben, die CD-Single in die Nische gedrückt worden, die CD-Verkäufe befinden sich im steilen Sinkflug, Vinylplatten spielen allenfalls eine marginale Rolle für vermeintlich unverbesserliche Nostalgiker.

Wer keine CDs und Schallplatten mehr im Repertoire führt, sondern den Käufern lieber digitale Downloads anbietet, spart sich die Kosten für Herstellung, Lagerung und Vertrieb sowie die Margen für Groß- und Einzelhandel, er kann somit - bei mindestens gleichbleibenden Erlösen - also obendrein noch damit argumentieren, dass Musik dem Käufer auf diese Weise billiger angeboten werden kann. Tatsächlich scheint der Erfolg den Musikunternehmen vordergründig recht zu geben: der Digitalmarkt, so die vor wenigen Tagen veröffentlichten Halbjahreszahlen des Bundesverbands der Musikindustrie, konnte von Januar bis Juni abermals um fast zwanzig Prozent zulegen.

Für Musik wird ungern Geld ausgegeben

Aber es ist kein Erfolg. Fast 83 Prozent des Umsatzes entfallen in Deutschland nach wie vor auf physische Tonträger, die angeblich rasanten Zugewinne bei den Downloads können die Verluste im "klassischen" Tonträgergeschäft bei Weitem nicht kompensieren: im ersten Halbjahr 2011 wurde im gesamten Musikmarkt abermals 1,5 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum umgesetzt - lediglich noch 650 Millionen Euro.

Als Fazit bleibt: die Menschen wollen (unabhängig von der aktuellen Wirtschaftskrise übrigens, wie die seit einer Dekade sinkenden Umsatzzahlen zeigen) entweder immer weniger für Musik ausgeben - oder aber sie sind nicht mehr willens anzuerkennen, dass das Kulturgut Musik auch einen Preis haben muss, wie die trotz aller juristischen Bemühungen nach wie vor grassierende Kostenlosmentalität mittels Raubkopiererei zeigt.

Die verbliebenen Käufer, die womöglich sogar etwas scheinbar so antiquiertes wie sorgsame Beratung im Fachgeschäft schätzen, müssen sich hingegen von Musikindustriellen wie dem früheren Universal-Vorstandsvorsitzenden Tim Renner auch noch diskreditieren lassen. Im Vorfeld der Popkomm sagte er nämlich über das Aussterben und die Existenzängste des Musikeinzelhandels: "Wenn da jemand klagt, dann klagt er vermutlich, weil er romantisch an der alten Schallplatte hängt."

Physische Tonträger sterben aus

Romantische Reminiszenzen verbieten sich bei Managern wie Renner natürlich beim Gedanken an ein traditionelles Kulturgut, wenn man selbst beim eigenen Nachwuchs in Businesskategorien denkt. Warum sonst sollte er Sätze wie diesen sagen? "Wenn ich meine Kinder als Kernzielgruppe sehe, wird der Verzicht auf jegliche physischen Träger sehr naheliegend sein."

Werden sich künftig also nur noch ein paar Ewiggestrige am haptischen Erlebnis weiden, eine Schallplatte aus der Hülle zu ziehen und die Nadel in die Rille sinken zu lassen, ein schön gestaltetes CD-Booklet während des Musikgenusses durchzuschmökern und vielleicht sogar den abgedruckten Texten darin Aufmerksamkeit zu schenken?

Oder sollen die Menschen diese künstlerische Welt lieber als Bits und Bytes auf einem iPod durch die Gegend tragen? Einem iPod, das in minderer Klangqualität omnipräsent und ohne jegliche Kontemplation Töne aus zwei Kopfhörerchen ins Ohr zischt, in einer heruntergeladenen Hitabfolge, die ihnen Online-Streamingdienste wie Spotify, Simfy, iCloud oder Musicmonster maschinell generiert - "Kunden, denen dieses Lied gefallen hat, interessierten sich auch für..." - und oktroyiert haben? Ein schauderhafter Gedanke. Aber wenn es nach der Musikindustrie geht, soll es wohl genau so sein.

Vertrauen in die Plattenfirmen sinkt

Die nackten Zahlen zeigen jedenfalls, wohin die Reise in der Branche geht. Der erzielte Umsatz mit Tonträgern ist in Deutschland in den vergangenen neun Jahren von 2,3 Milliarden auf unter 1,5 Milliarden Euro gefallen, Tendenz sinkend. Der Absatz von Tonträgern ist von knapp über zweihundert Millionen auf knapp über einhundert Millionen Exemplare geschrumpft - um alarmierende fünfzig Prozent in weniger als einer Dekade, Tendenz auch hier: sinkend. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, darf man sicher sein, dass die CD, die gerade erst ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hat, ihren fünfzigsten nicht erleben wird. Die Musikkassette wird dann längst tot sein, ihre einstigen Käufer sind jedoch mitnichten, auch das zeigt die Tabelle, ins Lager der CD-Käufer übergewechselt. Und die Musik-DVD, vor Jahren noch als großer Heilsbringer gefeiert, dümpelt derzeit bei gleichbleibenden Absatzzahlen trostlos vor sich hin.

Zweifelsohne tragen die Internetpiraterie und das massenhafte Schwarzbrennen von CDs ihren Teil zur Krise der Musikindustrie bei. Aber der dramatische Bedeutungsverlust des - ob nun als CD oder LP gepressten - Albums drückt auch etwas Viel-tiefer-Reichendes aus: dass bei vielen Käufern der Respekt vor der künstlerischen Leistung der Musiker schwindet, weil die Menschen allzu oft das Gefühl haben müssen, zu hektisch, zu achtlos und zu gehaltlos produzierte und auf den Markt geworfene Alben in den Händen zu halten.

Infolgedessen schwindet wiederum das Vertrauen in die Plattenfirmen, bei denen einst von ihrer Profession beseelte Menschen darüber wachten, dass wirklich nur gute Künstler gute Alben veröffentlichen. In den Chefetagen dieser Firmen aber schwingen heutzutage Juristen und Marketingwirte das Szepter mit der Maxime, billigen Trends und oberflächlicher Unterhaltung, fantasielosen Reprisen und plumper Gewinnmaximierung hinterherzuhecheln. Falls zwischen den ganzen Businesstalks noch Zeit bleibt, könnte man auf der Berliner Popkomm auch darüber mal nachdenken.