Es ist eine verrückte Geschichte mit Happy End. Ein Lebensmittelmarkt hat Pfarrerin Petra Frey wegen „Containerns“ angezeigt – und sich jetzt friedlich mit ihr geeinigt.

Ob es die Vorweihnachtszeit war, welche die Leitung des Lebensmittelmarktes Hit in Bietigheim-Bissingen milde gestimmt hat? Oder doch eher der Druck durch die Berichterstattung in der Presse? Fakt ist: Eine Anzeige gegen die Kleiningersheimer Pfarrerin Petra Frey, die mit der Initiative „Zu gut für die Tonne“ auch als Lebensmittelretterin unterwegs ist, wurde zurückgezogen.

 

Und mehr noch: „Es ist zu einer erfreulichen Einigung gekommen“, berichtet die engagierte Seelsorgerin. „Nicht mehr verkäufliche Lebensmittel, welche nicht von der Tafel abgenommen werden und dennoch weitergereicht werden können, werden künftig an die lokale Initiative weitergegeben.“

Die Geschichte, die sich dahinter verbirgt, ist ungewöhnlich. Der Lebensmittelmarkt hatte Petra Frey angezeigt, weil sie eine Milchtüte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum nach ihren Angaben noch nicht abgelaufen war, aus einem Abfallcontainer des Geschäftes mitgenommen hatte. Und das gilt rein rechtlich als Diebstahl. Eine weitere Anzeige gab es wegen Hausfriedensbruchs, weil Frey trotz eines zwischenzeitlich ausgesprochenen Verbots, das Grundstück zu betreten, einige Zeit später erneut versuchte, noch verwendbare Lebensmittel aus einem Container des Marktes zu retten. Diese Anzeige sei von Seiten der Staatsanwaltschaft aber zurückgewiesen worden, so die Pfarrerin im Gespräch mit dieser Zeitung.

Lebensmittel wertschätzen statt wegwerfen

Weil pro Kopf und Jahr in Deutschland rund 78 Kilogramm Lebensmittel einfach weggeworfen werden, gehen einige Kleiningersheimer schon seit Jahren dagegen an. Junge Leute holten Lebensmittel aus Containern, die Kirchengemeinde thematisierte die Wertschätzung von Lebensmitteln an Erntedank am biblischen Beispiel von Ruth, die übrig gebliebene Ähren von einem Feld aufliest. Es gab einen Erwachsenenbildungsabend zum Thema Lebensmittelverschwendung und „Schnippelpartys“, bei denen aus übrigem Gemüse Suppe und Eintopf gekocht wurde. Im Jahr 2020 schließlich wurde die lokale Initiative „Zu gut für die Tonne“ gegründet, die mit der evangelischen Kirchengemeinde Kleiningersheim kooperiert.

Seitdem konnten mit mehreren Lebensmittelgeschäften in Ingersheim und Bietigheim-Bissingen Vereinbarungen geschlossen werden. Die Geschäfte überlassen der Initiative aussortierte Lebensmittel, die sie nicht an die Tafelläden geben können. Die Aktiven der Initiative verpflichten sich, die Waren entweder selbst zu verbrauchen oder kostenlos an jedermann weiterzugeben. Der Verzehr erfolgt auf eigenes Risiko. So wurden seitdem täglich im Schnitt etwa 50 Kilogramm Lebensmittel gerettet – größtenteils solche, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum schon überschritten ist.

Viel Zuspruch von der Gemeinde

Die Frage, was mit solchen Lebensmitteln passiert, war laut Petra Frey auch der Hauptstreitpunkt zwischen ihr und Hit. „Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, nehmen die Tafeln die Ware nicht ab, aber Trockenware wie beispielsweise Nudeln ist trotzdem noch gut verwendbar“, erklärt sie. Dass so etwas künftig nicht mehr weggeworfen wird, war für sie entscheidend – eine, wie sie es formuliert, „conditio sine qua non“. Von ihrer Gemeinde habe sie für ihre klare Haltung viel Zuspruch bekommen, sagt sie. Dabei war ihr durchaus bewusst, dass das sogenannte „Containern“, also die Entnahme weggeworfener Lebensmittel, in Deutschland zwar illegal ist. Doch deshalb könne es trotzdem legitim sein, betont sie.

Was die Tafel nicht abnimmt, bekommt nun die Initiative

Die Dohle Handelsgruppe, zu welcher der Hit-Markt gehört, verweist darauf, dass man seine soziale und gesellschaftliche Verantwortung sehr ernst nehme. Das wenige, das trotz intelligenter Warenwirtschaft nicht mehr verkaufsfähig, aber zur Weitergabe geeignet sei, erhalte die lokale Tafel. „Sollte Ware aus anderen Gründen unverkäuflich sein - etwa, weil es Produktrückrufe gab, die Ware verdorben ist oder weil das Verbrauchsdatum, das nicht mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum verwechselt werden darf, überschritten ist -, entsorgen wir diese. Und es kommt auch hin und wieder einmal vor, dass ausgesonderte Ware nicht von der Tafel abgenommen werden kann. In diesen Fällen haben wir der Initiative ‚Zu gut für die Tonne’ angeboten, solche Lebensmittel künftig von uns abzunehmen, damit diese nicht entsorgt werden müssen“, teilt eine Unternehmenssprecherin mit.

Dass die Hit-Märkte in ihrer Strategie zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung jetzt auch mit der lokalen Initiative zusammenarbeiten, freut Petra Frey und alle anderen Aktiven. Sie verbinden damit zudem nicht nur die Hoffnung, dass „sich die jetzt in Bietigheim angestoßene Kooperation für alle Beteiligten erfreulich gestaltet“, sondern auch, dass sie zu einem Pilot-Projekt wird, das sich auch an den anderen Hit-Standorten – in Deutschland seien dies immerhin rund 100 – in der Zusammenarbeit mit den jeweils vor Ort aktiven Gruppen umsetzen lässt.

Lebensmittelverschwendung in Anteilen und Zahlen

Private Haushalte
Rund 78 Kilogramm Lebensmittelabfälle pro Kopf und Jahr landen in Deutschland im Müll privater Haushalte. Das entspricht einem Gesamtanteil von 59 Prozent. Allerdings: Zum Weggeworfenen gehören neben Speiseresten auch Dinge wie Nuss- und Obstschalen oder Knochen.

Außer-Haus-Verzehr
Was in Kantinen, Mensen, Restaurants oder Buffets übrig bleibt, macht rund 17 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel aus.

Handel
Der Handel wirft rund sieben Prozent weg – nicht verkaufte, leicht verderbliche Produkte, beim Transport beschädigte Produkte und Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum abgelaufen ist.