Der britische Sänger Freddie Mercury (1946-1991) hatte eine enge Beziehung zu München. Foto: imago/United Archives / ZIK
Im September kommen bei Sotheby’s rund 1500 persönliche Gegenstände von Freddie Mercury unter den Hammer. Manches davon stammt aus München: Die Rockband Queen hatte eine enge Verbindung nach Bayern. Spuren findet man dort noch heute .
Freddie Mercury sitzt als Harlekin verkleidet auf einem Bartresen. Der Sänger der Band Queen trägt Leggings mit schwarz-weißen Rauten, den freien Oberkörper verdeckt die Uniformjacke betont nachlässig. Seine Epauletten, prächtig wie Lametta, wackeln rhythmisch an den Schultern, die Adidas-Turnschuhe tippen im Takt auf der Theke. Mercury singt „Living on my own“, und die Nahaufnahmen wechseln sich ab mit Szenen einer schrägen Party.
Die Gäste sind völlig ausgeflippt: In Leder gekleidete Kerle mit am Hintern herzförmig ausgeschnittener Hose. Männer in Strapsen und Glitzerfummel. Einer ist als Zebra verkleidet, Queen-Gitarrist Brian May geht als Hexe. Es wird mit Champagner herumgespritzt, als wäre es eine Siegerehrung in der Formel 1. Der Song wurde 1985 auf dem Solo-Album „Mr. Bad Guy“ veröffentlicht. „Was kaum jemand weiß: das war nicht einfach nur ein Videodreh. Diese Riesensause hat wirklich stattgefunden. Es war die Party zu Freddie Mercurys 39. Geburtstag. In München. Im Old Mrs. Henderson“, sagt Christine Schneider. Die 59-Jährige arbeitet als Stadtführerin und hat sich auf Rundgänge zu Promis spezialisiert.
Roger Taylor, Freddie Mercury, Brian May und John Deacon im Jahr 1974. Foto: Tom Schmid/Archiv Herbert Hauke
Freddie Mercury wurde 1946 als Farrokh Bulsara auf der Insel Sansibar geboren. Seine Eltern stammen aus Indien. Als er 17 Jahre alt war, flüchtet die Familie nach London, dort studiert er Grafikdesign und lernt über Kommilitonen die anderen Mitglieder von Queen kennen. Warum zieht es die Band nach München? „Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon heißt Musicland Studio“, sagt Christine Schneider. In dem von Giorgio Moroder gegründeten Tonstudio im Keller des Arabella-Hochhauses geben sich in den 1970er und 1980er Jahren weltbekannte Künstler die Klinke in die Hand – Donna Summer, Falco, die Rolling Stones, T. Rex, Deep Purple, Led Zeppelin, Electric Light Orchestra und eben Queen nehmen hier Alben auf.
Der Mann am Mischpult heißt Reinhold Mack. Man bezeichnet ihn auch als das fünfte Bandmitglied von Queen. Als seine Frau Ingrid 1982 ein Baby bekommt, wird Freddie Mercury Patenonkel. Den Job nimmt er ernst: Er bewirft Freddie Junior mit Geschenken und taucht im vieläugigen Garnelenkostüm aus dem Video „It’s a hard life“ bei einem Kindergeburtstag auf.
Gemeinsam mit dem „genialen Mack“, wie Freddie Mercury den aus dem schwäbischen Heidenheim stammenden Toningenieur nennt, entstehen Songs wie „Crazy little thing called love“ oder „Another one bites the dust“ – die erste Nummer eins in den USA für Queen und die meistverkaufte Single der Band. Im Video von „One vision“ sieht man sowohl das Studio als auch den Mann am Regler.
An den ersten Live-Auftritt von Queen in München erinnert sich der Rock-Experte Herbert „Herbi“ Hauke: „Auf den Werbeplakaten stand: ,It’s Time for Queen‘, das fand ich spannend“, erzählt der 68-Jährige. Das Ticket kostet 11 Mark 30 im Vorverkauf. An der Abendkasse am 2. Dezember 1974 im ziemlich kleinen Theater an der Brienner Straße zahlt man 13 Mark. Hauke erzählt von einer erstaunlichen Show, Parfüm auf den Drums, das sich beim jedem Schlag im Raum verteilt, und einen charismatischen Frontman mit lackierten Fingernägeln.
Eintrittskarte für das erste Queen-Konzert in München. Foto: Herbert Hauke
„Niemand, aber auch absolut niemand konnte beim ersten Queen-Konzert in Deutschland ahnen, dass hier stilprägende kommende Rock-Götter am Werk waren“, sagt Hauke. In seiner Jugend entwickelt Hauke ein erstaunliches Talent, sich nach Konzerten charmant an den Ordnern vorbei in den Backstagebereich zu quatschen und dort abgebrochene Drumsticks und andere Devotionalien geschenkt zu bekommen. Von 2004 bis 2021 betrieb er auf dem Olympiaturm das Rockmuseum München. Im Moment ist es wegen der Sanierung des Turms geschlossen, Teile der Ausstellung werden in der Pasinger Fabrik präsentiert.
Die Rampensau ist in München ein Mensch wie jeder andere
Queen kommt seit jenem Konzert 1974 immer wieder nach München. Rasch merken die britischen Musiker, dass man hier nicht nur gut arbeiten, sondern noch besser feiern kann. Biergarten, Oktoberfest, Fasching – vor allem Sänger Freddie Mercury verliebt sich in die Weltstadt mit Herz. „Das Münchner Nachtleben war zu der Zeit legendär. Die Schwulenszene rund um das Gärtnerplatzviertel konnte mit denen in San Francisco, Amsterdam oder New York mithalten“, erzählt Stadtführerin Schneider. In München kann der Sänger, der sich nie offiziell outete, nicht nur lieben, wen er will, sondern auch unbehelligt leben. Keine Paparazzi wie in London, dafür viele neue Freunde. An der Isar ist die Rampensau ein Mensch wie jeder andere. In der Promidisco P1 wird er vom Türsteher abgewiesen. Im Restaurant von Feinkost Käfer fliegt Mercury beinahe raus, weil er im Feinripp-Unterhemd speisen will. Bis auf eine Mitarbeiterin erkennt niemand den Superstar. Für viele ist er einfach nur ein höflicher stiller Engländer mit einer ungewöhnlichen Zahnstellung.
„Freddie lässt es gerne krachen und hat viele Stammkneipen“, sagt Christine Schneider. Daher liegen einige Szene-Bars und Clubs im Bermudadreieck des Glockenbachviertels auf ihrer Tour. Der Leder-Club Ochsengarten und das Pimpernel in der Müllerstraße, die Deutsche Eiche in der Reichenbachstraße, Kays Bistro am Viktualienmarkt und eben Old Mrs. Henderson, Rumfordstraße Ecke Müllerstraße, die Partylocation aus dem Video. Den Travestie-Club in der Nähe des Gärtnerplatzes gibt es seit 2008 nicht mehr. Inzwischen befindet sich in den Räumen die Tanzbar Paradiso.
Die österreichische Schauspielerin Barbara Valentin (1940-2002) war eine enge Freundin von Freddie Mercury. Foto: imago stock&people
Im Frisco in der Blumenstraße, dem heutigen Club Vertigo, feiert Freddie Mercury gerne mit seiner Busenfreundin Barbara Valentin. Die österreichische Schauspielerin wird eine seiner engsten Bezugspersonen in der Zeit in Deutschland. Im Heiliggeiststüberl am Viktualienmarkt trinken die beiden gerne „Rüscherl“ – Asbach Uralt mit Cola – und helfen nach Sperrstunde auch mal beim Auskehren. Barwirtin Bobby drückt Freddie einfach den Besen in die Hand. Der 1991 an der Immunschwäche Aids gestorbene Rockstar konnte den Erzählungen nach sogar ein bisschen deutsch. Wichtige Wendungen wie „Bleder Hund“ oder „Leg misch am Arsch“ sollen zu seinem Wortschatz gehört haben.
Mercury zieht nach München – unter anderem wegen der Steuer
Irgendwann möchte der Sänger nicht mehr im Hilton Hotel am Tucherpark übernachten. Er sucht sich eine Wohnung in München. „Der astronomische Steuersatz von 83 Prozent in Großbritannien dürfte auch ein Argument für einen Wohnsitz im Ausland gewesen sein“, sagt Christine Schneider. Unter anderem wohnt der Rockstar am Sebastiansplatz, gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Winnie Kirchberger, dem Wirt des Lokals Sebastianseck. Das Lied „It’s a hard life“ soll er für Winnie geschrieben haben. „Er braucht Drama, das ist die Inspiration zu seinen Songs“, sagt Christine Schneider.
Denn zu Hause in London gibt es da noch die offizielle Verlobte Mary Austin. Sie ist die Erbin von Mercurys Besitz und lässt den Nachlass am 6. September 2023 versteigern. 30 Jahre nach seinem Tod und fast pünktlich zum 77. Geburtstag kommen die Bühnenkostüme, persönlichen Gegenstände und Manuskripte bei Sotheby’s unter den Hammer.
Mary Austin und Freddie Mercury bei einer Party im Juli 1986. Foto: Hulton Archive/Dave Hogan
In Montreux am Genfer See, wo Queen in den Mountain Studios auch einige Alben produzierten, steht zu Freddies Ehren ein Bronzedenkmal. Im Londoner Stadtteil Feltham ganz in der Nähe vom Flughafen Heathrow hat man eine Plakette an sein ehemaliges Wohnhaus in der Gladstone Avenue 22 geschraubt.
In München gibt es immerhin eine Freddie-Mercury-Straße , sie liegt im Kreativquartier Neuhausen an der Dachauer Straße. Doch rund um den Gärtnerplatz, wo er sich ständig bewegt, erinnert nur ein Graffiti an einem Klohäuschen an den Sänger.
Stadtführerin Christine Schneider zeigt das Mercury-Graffito an einem Klöhäusel in der Holzstraße, gesprayt vom Künstler Martin Arz. Foto: Susanne Hamann
Die Betreiber des Hotels Deutsche Eiche wollen das gemeinsam mit Herbi Hauke und dem Autor Nicola Bardola ändern. Der Schweizer Bardola ist Musikkritiker und hat ein Buch über Mercurys Zeit in München geschrieben. Zu Ehren des berühmten Stammgastes soll an der Fassade des Hotels ein Mosaik, das Freddie zeigt, entstehen. Der Ideenwettbewerb ist gerade abgeschlossen.
Dietmar Holzapfel, Herbert Hauke und Nicola Bardola (von links) planen ein Wandgemälde zu Ehren von Freddie Mercury. Foto: Herbert Hauke
Die meisten von Freddie Mercury bevorzugten Lokalitäten kann man nur von außen besichtigen – zumindest als Frau. Bei der Deutschen Eiche ist das anders. Die freizügige Enklave im katholischen München gibt es seit 1864. „Wir sind bunt, aber für alle offen. Wer Toleranz erwartet, muss auch selbst tolerant sein“, sagt Roger Holzapfel-Barta (41), der Geschäftsführer des legendären Schwulentreffs. Im Restaurant und im Hotel ist jeder Gast willkommen. Aber in die Sauna, die bis zu 320 Gäste fasst und die Größe einer U-Bahn-Station hat, dürfen nur Männer. „Wir veranstalten aber Führungen, bei denen man hinter die Kulissen sehen kann – immer unter der Woche um 9.30 Uhr, sagt der Geschäftsführer.
Kartoffelknödel zum Frühstück
Holzapfel-Barta selbst hat – Schicksal der späten Geburt – den britischen Sänger nicht live erlebt, kennt aber durch seine beiden Adoptivväter viele Geschichten: „Freddie kam oft zum sogenannten Frühstück um 15 Uhr und bestellte ,Fucking balls‘ – das waren Kartoffelknödel mit Bratensoße“, erzählt Roger Holzapfel-Barta.
Die Rechnung der Geburtstagsparty kommt auch bei Sotheby’s unter den Hammer. Foto: dpa/Philip Dethlefs
In der Deutschen Eiche lernt Freddie Mercury den Regisseur Rainer Werner Fassbinder und den Schauspieler Kurt Raab kennen, die fortan zu seinem Münchner Freundeskreis gehören. Raab spielt übrigens die die Can-Can-Tänzerin mit dem blauen Kleid im Video von „Living on my own“. Bei der Versteigerung von Sotheby’s kommt nicht nur Freddies Jacke im Militärlook unter den Hammer, sondern auch die Rechnung der Party. Das Fest kostete demnach 82 500 Mark und es wurden allein 284 Liter Champagner der Marke Roederer getrunken.
► Das Hotel Cocoon Sendlinger Tor liegt sehr zentral zwischen dem hippen Glockenbachviertel und der Altstadt. Doppelzimmer ab 90 Euro, https://cocoon-hotels.de
► Die Sauna im Untergeschoss des Hotels Deutsche Eiche ist ein bekannter Treff der Schwulen-Szene und steht nur Männern offen, doch im Hotel darf jeder und jede absteigen. Doppelzimmer ab 165 Euro inkl. Frühstück, www.deutsche-eiche.de .
► Das Jams Hotel ist Münchens erste Adresse für Musik-Fans. Das Haus ist mit alten Vinylscheiben dekoriert, und auf den Zimmern stehen Plattenspieler bereit. Die perfekte Symbiose aus Rock‘n’Roll und Ruhe. Doppelzimmer ab 180 Euro, www.jams-hotel.com
Aktivitäten
► Die Teilnahme an der 2,5-stündigen Führung auf den Spuren von Freddie Mercury ist ab 18 Jahren möglich und kostet 29 Euro pro Person, buchbar bei München Tourismus, www.einfach-muenchen.de/freddie
► Auch Muc-Tours bietet Rundgänge mit Fokus auf den Queen-Sänger an, 3 Stunden kosten 42 Euro, inklusive Drinks, daher auch ab 18 Jahren, https://muctours.de/services/musiktouren
► Die Ausstellung „Nachts. Clubkultur in München“ ist noch bis zum 7. Januar 2024 im Stadtmuseum zu sehen. Geöffnet Di – So 10 -18 Uhr, Eintritt 7 Euro, www.muenchner-stadtmuseum.de
► Das Kulturzentrum Pasinger Fabrik widmet sich hin und wieder Musikthemen. Ab dem 8. November gibt es eine Schau zu Michael Jackson (bis Ende Februar 2024), https://pasinger-fabrik.de
► Was in München in Sachen Konzerten so los ist, fasst die Seite City of Music übersichtlich zusammen. https://munichcityofmusic.de
Buchtipps
► Herbert Hauke und Arno Frank Eser: Rock & Pop im Olympiapark München. München Verlag, 7,50 Euro.
► Nicola Bardola: Mercury in München. Seine besten Jahre. Heyne Verlag, 24 Euro.
► Harry Baer: Das Mutterhaus. Erinnerungen an die Deutsche Eiche. Edition Fassbinder im Verlag Rosa Winkel, 15,90 Euro.