Er war gewiss kein einfacher Mensch, das wissen alle, die ihn erlebt haben. Mit Velvet Underground und als Solo-Künstler bereicherte er die Popmusikgeschichte gleich doppelt. Auch nach seinem Tod wird Lou Reed im ewigen Gedächtnis bleiben.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Ein einfacher Mensch? Nein, das war Lou Reed gewiss nicht, allein schon durch seine Prominenz. Lewis Allan Reed, geboren am 2. März 1942 in New York, bereicherte die Popmusikgeschichte nämlich mit gleich zwei künstlerischen Karrieren. Die erste bescherte dem Sänger und Gitarristen Ruhm als Mitbegründer der Band Velvet Underground, die zweite ließ diesen legendären Musiker als so gefeierten wie erratischen Avantgarde-Solokünstler rund um den Globus glänzen.

 

Ein einfacher Mensch – das war Lou Reed auch deshalb nicht, weil er sich nie als bescheidener Instrumentalist verstand. „Wenn Gott morgen zu mir kommen und mich fragen würde: ,willst du Präsident sein?‘ ,Nein!‘ ,Willst du Anwalt sein?‘ ,Nein!‘ ,Was willst du dann sein?‘ ,Ich will Rhythmusgitarrist sein!“, heißt zwar einer seiner Aussprüche. Tatsächlich jedoch war schon als Student sein unbescheidenes Ansinnen, den großen amerikanischen Roman zum großen amerikanischen Songbook zu formen. Oft sehr anspruchsvoll mit gelegentlich gar überkandidelten Ansprüchen geriet fortan das komplette Oeuvre dieses Mannes, der schon als Teenager sein erstes Album aufnahm.

In seinem Kopf spukten viele Flausen

Ein einfacher Mensch war Lou Reed schließlich aber auch deshalb nicht, weil in seinem Kopf viele Flausen spukten. Schon als Teenager unterzogen seine Eltern ihn angesichts psychischer Probleme einer Behandlung mit Elektroschocks. Komplizierte Klänge, Free Jazz und experimentelle neue Musik etwa von La Monte Young, zählten nach dem Bruch mit den Eltern schon früh zu seinen Leidenschaften. Jede einzelne Saite seiner Gitarre stimmte er gleich, um einen Drone genannten, ganz schön abschreckenden Klangeffekt zu erzielen. Heroin nahm er zur Seelenpeinlinderung. „Ich habe versucht, von den Drogen loszukommen, indem ich getrunken habe. Das hat nicht geklappt“, lautete das Fazit seiner nächsten Lebensstation.

Und die Lebensgefährt(inn)en? Nach seiner ersten Ehe lebte er mit einem Transvestiten zusammen, seine zweite Frau lernte er in einem Sadomaso-Club kennen, seine dritte Frau – die Performancekünstlerin Laurie Anderson, die am kommenden Wochenende eigentlich in Frankfurt ihr einziges Deutschlandkonzert geben wollte – gilt auch nicht gerade als pflegeleichter Charakter. Wer Lou Reed je auf der Bühne erlebt hat, diesen stets mürrisch und griesgrämig dreinblickenden Mann, weiß, wie das Gegenteil eines beschwingt-heiteren Abends aussieht. Reeds letztes Stuttgarter Konzert vor zehn Jahren im halb vollen Beethovensaal fand ein jähes Ende, weil der spröde Maestro Angst hatte, von einem wackelnden Deckenstrahler erschlagen zu werden.

Gestorben ist der Mann, den Falschmeldungen schon 2001 aufgrund einer angeblichen Heroinüberdosis tot wähnten, 71-jährig in seiner Geburtsstadt New York, nachdem er sich im Mai dieses Jahres einer Lebertransplantation unterziehen musste. Die Todesursache blieb am gestrigen Abend unklar.

Reed legte die Grundlage für Independent- und Punkrock

Lou Reed war nicht nur Anwalt der Qualitätsmusik, er war auch einer ihrer Präsidenten. Mit seinem größten Gassenhauer als Solomusiker, „Walk on the wild Side“ von 1972, wird er sogar dem Mainstream im Gedächtnis bleiben. „Transformer“ heißt das dazugehörige Album, David Bowie hat es produziert, als Klassiker wird es im Kanon der größten Rockalben die Zeitläufte überdauern.

Zuvor hatte Reed, und das wird als sein Jahrhundertverdienst im Gedächtnis haften bleiben, kurzerhand die Grundlage für alles gelegt, was hernach als Independent-, Alternative- oder Punkrock kommen sollte. 1965 formierte er mit seinem kongenialen Partner John Cale, Angus MacLise und Sterling Morrison die stilprägende Band Velvet Underground. Mit der Sängerin Nico spielten sie ihr legendäres Debütalbum mit Andy Warhols Banane auf dem Cover ein, das folgende Album „White Light/White Heat“ gab mit seiner Sperrigkeit einen Vorgeschmack auf Reeds kommende musikalische Vorlieben, drei weitere Alben zeigten dann noch, wo Barthel den Most holt. Das war’s – mit Velvet Underground.

Es folgten „Transformer“ und nach dem Solodebüt das Album „Berlin“, noch so ein dolles Ding. Reeds Reminiszenz an das europäische Exil, wo er einst in einer WG mit Bowie und Iggy Pop lebte, wurde von der Kritik wahlweise zerrissen oder mit Unverständnis aufgenommen; den Rest verstörte er anschließend mit „Metal Machine Music“ komplett. Ein Rückzug ins Privatere folgte, Reed wirkte fortan weitaus abgeklärter, veröffentlichte 1990 – abermals mit John Cale - en passant noch das nächste Meisterwerk, „Songs for Drella“. Ein paar weitere Volten folgten, zuletzt vor zwei Jahren das Album „Lulu“ – eingespielt mit der Metalband Metallica, sehr frei nach Wedekind, abermals von der Kritik in der Luft zerrissen. Lou Reed wird dennoch bleiben. Auf der wilden Seite. Und im ewigen Gedächtnis.