Otto Sander war unverwechselbar und gleichzeitig sehr wandlungsfähig. Am Donnerstag ist der Schauspieler nach langer Krankheit im Alter von 72 Jahren in Berlin gestorben.

Berlin - Otto Sander ist nicht als Star geboren worden, obwohl ihn eine Lokalzeitung 1941 zum schönsten Baby von Peine kürte. Er war ein blasser, rothaariger, sommersprossiger und sehr schüchterner Junge. Seine Mitschüler hänselten ihn, die Mädchen übersahen ihn. Immer hatte er Angst, dass sich jemand über sein Aussehen lustig macht. Zum jugendlichen Helden auf dem Theater war er völlig unbrauchbar. Aber er versteckte sich nicht, er traute sich ins Rampenlicht und machte das Beste aus seinen Unvollkommenheiten. Dafür liebte ihn das Publikum. Der Schauspieler ist am Donnerstag nach langer Krankheit mit 72 Jahren in Berlin gestorben.

 

Der Vater diente im Krieg als Schiffsingenieur auf See, und auch der Sohn Otto ging nach dem Abitur zur Marine. Dem Seefahrer, Kabarettisten und Poeten Joachim Ringelnatz fühlt er sich besonders nah. Schräge Vögel, irgendwie schief ins Leben gekommen waren beide. Und wie es der Zufall will: in der Rolle eines deutschen U-Boot-Helden, der sein Wissen um die Sinnlosigkeit des Krieges in Alkohol ersäuft, hatte Sander einen seiner unvergesslichen Filmauftritte. In Wolfgang Petersens Film „Das Boot“ nimmt er in einer kurzen Suffszene das ganze Drama der U-Boot-Besatzungen vorweg, das danach mit viel Action ausgewalzt wird.

Einer der größten Chargenspieler überhaupt

Solche Nebenfiguren wurden bei ihm immer zu eindringlichen Hauptfiguren, das war eine seiner Stärken. Der ältere, von ihm bewunderte Kollege Bernhard Minetti nannte Otto Sander respektvoll einen der größten Chargenspieler überhaupt.

Sander 1993 beim „Polizeiruf 110“ Foto: dpa
Seine Schauspielausbildung machte er an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Dort lief ihm Peter Stein über den Weg, der damals Regieassistent oder vielmehr Kaffeeholer beim alten Fritz Kortner war. Eine schicksalhafte Begegnung. Als Stein 1970 die Berliner Schaubühne übernahm, wollte er Sander unbedingt in seinem Ensemble haben. Neben Jutta Lampe, Edith Clever und Bruno Ganz hat er der Schaubühne ihr Gesicht gegeben. Der knorrige Sander war unverwechselbar, aber im Rückblick auf seine Rollen auch erstaunlich verwandlungsfähig. Er war eine Idealbesetzung für die verstörten Männer in den Stücken von Botho Strauß und für Tschechows Melancholiker in den legendären Stein-Inszenierungen. Er war aber auch ein großer Komiker, schon wegen seiner Statur. Machtfiguren und Bösewichtern verlieh er eine anrührende Labilität, so seinem Amphitryon in Grübers Berliner Kleist-Inszenierung oder dem eher passiven Usurpator Claudius in Zadeks „Hamlet“ mit Angela Winkler in der Titelrolle.

Sander: „Wenn man festgelegt ist, muss man das ändern“

„Wenn man auf irgendetwas festgelegt ist, muss man es ändern“, hat Sander einmal gesagt. Eigensinnig war er und rastlos. Vor der Kamera erholte er sich vom Theaterspielen und umgekehrt, dazwischen trat er als Rezitator auf und las im Studio. Seine Stimme war so widerborstig wie sein Aussehen. Aber Sander beherrschte sein eigenartiges Instrument virtuos. Als Sprecher besaß er so etwas wie ein absolutes Gehör für den richtigen Ton.

Sander 1979 in der Schaubühne, wo er berühmt wurde. Foto: dpa
In Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“ spielte er den Schutzengel Cassiel an der Seite von Bruno Ganz. Seitdem wissen wir, dass Engel keine Flügel brauchen. Sie binden sich die Haare zum Pferdeschwanz und vergraben die Hände in den Taschen ihrer langen, dunklen Mäntel. Sie führen Buch über ihre Schutzbefohlenen, leiden mit ihnen und wissen oft nicht zu helfen. Sie sind unergründlich traurig. Wenn die Engel sich ausruhen, dann am liebsten hoch oben auf der Berliner Siegessäule, auf der Riesenschulter der preußischen Viktoria. Vielleicht sitzt Otto Sander jetzt dort oben.