Der Sozialdemokrat Peter Struck ist im Alter von 69 Jahren den Folgen eines Herzinfarktes erlegen. Der letzte Rocker des Politbetriebs ist gegangen. In diesem Metier, so sagte Struck einmal, gebe es „zu viele Glatte“. Er selbst gehörte gewiss nicht dazu.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Seine Abschiedsfahrt am Ende einer langen politischen Karriere hat Peter Struck im Sommer 2009 ausnahmsweise nicht mit dem Motorrad unternommen. Er bestieg dazu einen Reisebus – für einen Kerl wie ihn ein ziemlich spießiges Unterfangen. Die Tour führte zum Stechlin, dem vielleicht schönsten See im Umland Berlins. Das war eine Hommage an Theodor Fontane. Der hatte in einem Roman, der dort spielt und auch so heißt, ein Bekenntnis abgelegt. Den Pastor Lorenzen, eine der Hauptfiguren, ließ er erklären, er sei „nicht so ganz unbedingt mit dem Neuen; lieber mit dem Alten, soweit es geht, und mit dem Neuen nur, soweit es muss“.

 

Wer die Botschaft dieses Satz begreift, hat schon viel verstanden von Peter Struck. Für ihn war Fontanes Stechlin „eine Hymne an die Abgeklärtheit des Alters“. Die konnte er selbst nun nicht lange genießen. Der Sozialdemokrat ist am Mittwoch im Alter von 69 Jahren den Folgen eines Herzinfarktes erlegen. Der letzte Rocker des Politbetriebs geht. In diesem Metier, so sagte Struck einmal, gebe es „zu viele Glatte“. Er selbst gehörte gewiss nicht dazu.

Struck: „Die kann mich mal“

Der Mann aus Göttingen, zuletzt in Uelzen wohnhaft, wo seine Frau stellvertretende Bürgermeisterin ist, verkörperte einen Typus, der auf dem Parkett der Hauptstadt kaum noch anzutreffen ist: knorrig, undiplomatisch, schroff, aber keineswegs arrogant. Er konnte ziemlich wüst daherreden. Davon blieben auch Duzfreunde nicht verschont. Zum Beispiel Volker Kauder. Der war schon Chef der Unionsfraktion zu Zeiten der Großen Koalition, Struck sein Konterpart auf SPD-Seite. Die beiden haben ein durchaus verwandtes Naturell. Sie verstanden sich als „Scharniere“ des Koalitionsbetriebs – was Struck nicht davon abhielt, mächtig abzuledern, wenn ihm bei den Schwarzen etwas gegen den Strich ging. Als es wieder einmal Ärger mit der Union gegeben hatte, kläffte der SPD-Mann ins Mikrofon: „Die kann mich mal.“ Der Satz war so allgemeingültig, dass ihn auch Kanzlerin Angela Merkel auf sich beziehen konnte. Über die sagte Struck: „Sie kann mich nicht besonders leiden, und sie weiß, ich kann sie nicht besonders leiden.“ Struck war Politiker aus Leidenschaft. Doch Leidenschaft ist für Merkel keine politische Kategorie.

1964 ist der Niedersachse Genosse geworden. 1980 kam er in den Bundestag. Von 1998 bis 2002 und noch einmal von 2005 bis 2009 führte er die sozialdemokratische Fraktion. Sein schönstes Amt, so hat Struck stets behauptet, sei das des Bundesverteidigungsministers gewesen, in das ihn der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder 2002 berufen hat. Angeblich habe er sich zunächst gegen den Job mit Händen und Füßen gesträubt, so eine Anekdote, die Struck in immer neuen Farben erzählt hat. Er habe seiner Frau seinerzeit versprochen, sich unter keinen Umständen zu diesem Posten überreden zu lassen, als der Platz im Kabinett nach dem Rücktritt von Rudolf Scharping vakant war und Schröder ihn zu einem vertraulichen Gespräch bat. Am Ende gelang es Schröders Gattin Doris, Strucks Frau zu überzeugen.

Als Verteidigungsminister hat der kahlköpfige Pfeifenraucher die Weltsicht der Deutschen verändert. Das lässt sich an einem einzigen Satz festmachen, der in den Geschichtsbüchern überdauern wird: Die Sicherheit der Bundesrepublik, so Struck am 4. Dezember 2002, werde „auch am Hindukusch verteidigt“. Inzwischen sind die Zeitläufte weiter vorangeschritten. Die Bundeswehr wird sich im kommenden Jahr vom Hindukusch zurückziehen.

Ein Parlamentarier aus Leidenschaft

Doch der Name Struck ist sogar bei der politischen Konkurrenz salonfähig geworden. Er lebt in einem Begriff weiter: dem Struckschen Gesetz. Die Floskel hatte einst Schröder geprägt, da der sture Genosse an der Spitze der SPD-Fraktion darauf beharrte, dass keine Gesetzesvorlage den Bundestag so verlasse, wie die Regierung den Entwurf formuliert habe – ein Ausdruck parlamentarischen Selbstbewusstseins. Bisweilen berufen sich auch Repräsentanten des schwarz-gelben Lagers auf die nach Struck benannte Grundregel. In einer lauen Sommernacht Mitte August 2009 blickte Struck auf sein politisches Leben zurück. Es war im Park des Schlosses Liebenberg, einem Rittergut, auf dem sich während des Dritten Reiches Mitglieder der Widerstandgruppe „Rote Kapelle“ getroffen hatten. Solche Orte wählte er nicht zufällig. Er sinnierte zu fortgeschrittener Stunde darüber, was er anstreben würde, wenn ihm eine Wiedergeburt vergönnt wäre. Eine Rückkehr als Dennis Hopper, den er als Rocker in dem Kultfilm „Easy Rider“ verehrte? Oder als einer der Blues Brothers, die er bisweilen imitierte? Struck hatte einen anderen Traum: Er würde gerne wieder Parlamentarier sein, versicherte er in jenem Kreis.

Im Parlament fehlen solche kantigen Figuren, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen. Aber man soll die Hoffnung auf eine Wiedergeburt ja nie aufgeben.