Wolfgang Gönnenwein hat als Dirigent, Generalintendant in Stuttgart und als Festspielleiter in Ludwigsburg Jahrzehnte den Ton angegeben. Jetzt ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.

Stuttgart - Manche sind ihrer Zeit voraus, manche hinken ihr hinterher. Wolfgang Gönnenwein passte in seine Zeit, als hätten sich die Gegebenheiten und die Person gegenseitig erschaffen. Gönnenweins beste zwei Jahrzehnte begannen Anfang der Siebziger. Er lebte und wirkte in einem Land, in dem es immer nur aufwärts ging: CDU-Dauerregierung, Porsche- und Mercedes-Autos vom Fließband, eine kraftstrotzende MaschinenbauIndustrie – Baden-Württemberg schaffte und schaffte, das Geld wurde nicht knapp.

 

Das war die richtige Zeit des in Schwäbisch Hall geborenen Musikers und Intendanten Gönnenwein, der in einem kein patriotischer Landsmann gewesen ist: Er war kein stiller Anbeter der Bescheidenheit. Gönnenwein war maßlos und ehrgeizig – immer im Dienst der Musik. So schillernd und beweglich war dieses Künstlerleben, dass es Vorbild zu einer Figur in Manfred Zachs Schlüsselroman „Monrepos oder Die Kälte der Macht“ wurde. Das Buch erregte nach seinem Erscheinen 1996 einiges Aufsehen, vor allem weil es die politische Klasse im Land und ihre Akteure aufs Korn nahm: Jeder erkannte im fiktiven Ministerpräsidenten Specht den echten Lothar Späth, und der „ehrgeizige und kontaktfreudige“ Bönnheim war kein anderer als Wolfgang Gönnenwein. Zachs Beschreibung ließ dem kundigen Leser keinen Zweifel, wer da gemeint war: „Er liebte das Spiel mit der Macht und vermaß die kulturelle terra incognita mit derselben fantasievollen Unbekümmertheit wie ein mittelalterlicher Kartograf Westindien.“

In Ludwigsburg widmete er sich Mozart und Verdi

Am Anfang dieser beispiellosen Karriere – nur Helmuth Rilling konnte da mit seinem internationalen Renommee mithalten – stand die Frage: Elektriker oder Musiker? Der Sohn eines Kirchenmusikdirektors entschied sich für die Welt der Töne und wurde zunächst Musiklehrer an einem evangelischen Aufbaugymnasium. 1959 übernahm der 26-Jährige die Leitung des Süddeutschen Madrigalchores, 1968 wurde er Professor für Chorleitung an der Stuttgarter Musikhochschule. Bald danach begann die große Zeit des linkshändigen Dirigenten. 1972 wurde er künstlerischer Leiter der Ludwigsburger Schlossfestspiele, die er 32 Jahre leiten sollte; ein Jahr später wurde er zum Rektor der Musikhochschule berufen, blieb dort bis 1982 im Amt.

In Ludwigsburg initiierte Gönnenweineinen Mozart-Zyklus in deutscher Sprache und setzte sich für die frühen Verdi-Opern ein. Gern stellte er sich selbst ans Pult – manchmal mit respektablen Ergebnissen. Wenn er große Solisten an seiner Seite hatte – wie gesagt, er verstand, Geld locker zu machen – dann kam es zu schönen Konzertmomenten. Etwa 1988 bei den Rückert-Liedern von Gustav Mahler, bei denen er und das Orchester der Ludwigsburger Festspiele der himmlischen Sopranistin Margaret Price einen prächtigen Teppich ausbreiteten. So geschehen 1988 bei der Einweihung des Forums am Schlosspark, für dessen Bau sich Gönnenwein eingesetzt hatte. Im gleichen Jahr war er vom kunstliebenden und -fördernden Ministerpräsidenten Lothar Späth zum Staatsrat ehrenhalber mit Ministerrang ins Kabinett berufen worden. In dem CDU-Strippenzieher Späth hatte Gönnenwein – pikanterweise verheiratet mit einer Schwester des SPD-Politikers Erhard Eppler – seinen ultimativen Protegé gefunden. „Späths Dirigent“ titelte einmal die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Der Gipfel der Männerfreundschaft war erreicht, als Gönnenwein 1985 von Späth auch noch als Generalintendant der Württembergischen Staatstheater in Stuttgart durchgesetzt worden war.

Zuerst lief es prächtig für den Intendanten

Zuerst lief es dort nicht so schlecht: In der Opernsparte setzte Gönnenwein intuitiv markante Punkte, berief interessante Regisseure, darunter Robert Wilson und Axel Manthey – doch der Theateralltag hielt bald nicht, was der Chef versprach. Zu viel Geld floss in Stars und Produktionen, es wurde zu wenig gespielt, die Schließtage belasteten den Etat. Auch hieß es, dass der Generalintendant zu wenig präsent sei im Haus. Immer in Aktion dirigierte Gönnenwein in Peking, Paris, Tokio, Leipzig, Madrid, war als Kulturbotschafter im Namen des Ministerpräsidenten unterwegs. 1992 kam es zum Crash: die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen „Veruntreuung öffentlicher Gelder“. Wolfgang Gönnenwein trat als Intendant zurück, die Verfahren gingen für ihn glimpflich aus. Gönnenwein verteidigte sich, dass dieses Theater halt ein „nahezu manövrierunfähiger Ozeandampfer“ sei. Berühmt-berüchtigt wurde sein Satz über die finanzielle Situation, das dicke Millionen-Minus im Budget: „Wir haben da so eine Bugwelle vor uns hergeschoben“. Heute lässt sich darüber beinahe schmunzeln.

Der Mann hatte eben auch einen enormen Unterhaltungswert, er war einer, der sich nicht scheute, mit kreativen Sprachbildern Kante zu zeigen. „Unter ihm machen sogar Senatssitzungen Spaß“, bemerkte einst Joachim Kaiser, der von Gönnenwein an die Stuttgarter Musikhochschule geholt worden war und dort Vorlesungen in Musikgeschichte hielt.

Am Ende seiner Karriere holte ihn das Pech ein

Bei allen Einwänden: Wolfgang Gönnenwein besaß Sinn für Qualität – zwar nicht immer für die Grenzen des eigenen Künstlertums –, und er förderte sie, engagierte sich. Am Ende seiner Karriere holte ihn noch einmal das Pech ein. Als künstlerischer Leiter des 1998 eröffneten Festspielhauses in Baden-Baden hatte er mit alten Verbindungen und viel Zuversicht ein enormes Programm entworfen – und war nach einem Jahr Pleite sowie den Posten los. Er hatte halt oft den Kopf in rosigen Wolken, der Alltag mit penibler Planung, solider Buchhaltung, Verabredungen waren nicht seine Sache.

2004 gab er nicht ganz freiwillig die Leitung der Ludwigsburger Schlossfestspiele auf. Dass es ordentliche Jahren gewesen waren, zeigte ex negativo der glücklose Nachfolger. Gönnenwein hatte den Vorteil in Zeiten zu wirken, in denen die Kulturaffinität des Publikums die Säle beinahe von allein füllte. 2005 wurde er zum Präsidenten des Landesmusikrats Baden-Württemberg gewählt – mit großer Mehrheit. Seine Tatkraft hatte bei vielen ihren Ruf nicht verloren. Dort, wo überwiegend Basisarbeit geleistet wird, von „Jugend musiziert“ bis zur Pflege der Volksmusik, hörte man seine anspornenden Worte („Kultur ist ein spannender Krimi“) mit Freude. 2010 gab er das Amt krankheitshalber auf. In den letzten Jahren hatte er sich vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Am Sonntag ist Wolfgang Gönnenwein im Alter von 82 Jahren gestorben.