Wolfram Schwinger hat fast drei Jahrzehnte lang das musikalische Leben in Stuttgart an vorderster Stelle mitgeprägt.

Stuttgart - Wolfram Schwinger hat fast drei Jahrzehnte lang das musikalische Leben in Stuttgart an vorderster Stelle mitgeprägt. Bescheiden und zurückhaltend, wie es seine Art war, hat er sich nie in den Vordergrund gedrängt und doch markante Spuren hinterlassen - als Musikkritiker der Stuttgarter Zeitung von 1964 bis 1975 und anschließend bis 1991 als Operndirektor des Staatstheaters.

Schwinger wurde am 14. Juli 1928 als Sohn einer Theologenfamilie in Dresden geboren. Die sächsische Herkunft hat er nie verleugnet, den melodiösen Anklang ans Sächsische nie ganz abgelegt. Wie seine Brüder, von denen der eine ebenfalls als Musikkritiker, der andere als Musikhochschulprofessor Karriere machte, war er seit seiner Jugend der Musik verfallen. Als Student saß er im geteilten Nachkriegs-Berlin fast allabendlich im Konzertsaal oder in der Oper und besserte sich sein schmales Taschengeld durch journalistische Arbeiten auf. Aus dieser Zeit stammt seine große Liebe zu Erich Kleiber, die sich später auf dessen genialen Sohn Carlos übertrug und die ihn ein Leben lang begleitete. Seine letzte große Funkarbeit, die er nicht mehr selbst abschließen konnte, war 2004 der Dirigentensaga der Kleibers gewidmet.

1954 promovierte er mit einer Arbeit über den französischen Romantiker Hippolyte Chélard an der Humboldt-Universität. Noch in Ostberlin schrieb er die später im Westen mehrfach nachgedruckte populäre George-Gershwin-Biografie. 1960, gerade noch rechtzeitig vor dem Mauerbau, wechselte er als Kritiker nach Hannover und von dort schließlich 1964 nach Stuttgart.

Für die Stuttgarter Zeitung hat Schwinger während seiner Zeit als Musikkritiker zahllose Artikel geschrieben, die sein weit gespanntes Interesse vom Barock bis zur Moderne widerspiegeln. Als junger Leser habe ich damals bewundert, wie geschliffen und souverän er sein Urteil selbst in knapp bemessenen Zeilen zu formulieren wusste. Später, im Ruhestand, brillierte er viele Jahre als gerngehörter Moderator der allmorgendlichen "Musikstunde" im Südwestrundfunk, bis eine schwere Erkrankung ihn 2004 zum Aufgeben zwang. Sein publizistisches Hauptwerk ist die 1994 in zweiter Auflage erschienene Monografie über den polnischen Avantgardisten Krysztof Penderecki, mit dem ihn eine enge Freundschaft verbunden hat.

1975 wird er Operndirektor in Stuttgart


Der wichtigste Einschnitt in seinem Leben kam 1975, als er in Stuttgart Operndirektor wurde - ein Wirken, das durch die intellektuelle Umtriebigkeit und publizistische Präsenz seines Nachfolgers Klaus Zehelein zu Unrecht in Vergessenheit zu geraten droht. Nachhaltig trieb Wolfram Schwinger die Erneuerung des Repertoires mit den großen Werken Mozarts, Verdis und Wagners voran, gab aber andererseits der Avantgarde mit Experimentalstücken von Mauricio Kagel, György Ligeti, Bruno Maderna, Aribert Reimann und Wolfgang Rihm im Kammertheater ein Podium. Und Namen wie Achim Freyer, Harry Kupfer, Axel Manthey, Giancarlo del Monaco, Jean-Pierre Ponnelle, Robert Wilson und Götz Friedrich, dessen zahlreiche Stuttgarter Arbeiten ihm besonders am Herzen lagen, beweisen, dass das moderne Regietheater schon bei ihm und nicht erst unter Zehelein Einzug hielt.

Dass der Generalintendant Wolfgang Gönnenwein ihn 1991 aus dem Amt drängte, hat er nur schwer verwunden, auch wenn er kaum je darauf zu sprechen kam. Auch nach seiner Verabschiedung ließ sich das Ehrenmitglied der Staatsoper so gut wie keine Premiere entgehen und wirkte überdies als künstlerischer Berater der Bachakademie. Nach 2004 zog er sich krankheitsbedingt aus der Öffentlichkeit zurück. Zuletzt sah ich ihn - ein Schatten seiner selbst und der Welt fast schon abhandengekommen - im Juni 2008 bei der Wiederaufnahme von Achim Freyers "Freischütz"-Inszenierung, einem der glanzvollen Höhepunkte seiner Zeit als Operndirektor. Am Donnerstag ist er im Alter von 82 Jahren nach längerer Krankheit gestorben.