Nachruf Helmut Reißer: Ein Leben für die Firma

Helmut Reißer war ein schwäbischer Unternehmer, wie er im Buche steht: pflichtbewusst, sparsam, fürsorglich gegenüber den Mitarbeitern. Foto: Reisser

Helmut Reißer ist tot. Im Alter von 88 Jahren ist der langjährige Geschäftsführer des Böblinger Sanitärgroßhändlers Reisser am Montag im engsten Familienkreis verstorben. Sein Leben galt dem Unternehmen, das er mit Leidenschaft und Pflichtbewusstsein zu imposanter Größe aufbaute.

Böblingen: Jan-Philipp Schlecht (jps)

Böblingen - Sein Andenken ist weithin sichtbar. Der 24 Meter hohe Glasturm mit der grünen Fassade und den leuchtend gelben Lettern im Gewerbegebiet Hulb ist seit drei Jahren das neue Wahrzeichen der Reisser AG, dem größten Sanitärgroßhändler Süddeutschlands. Trotz der verheerenden Brandkatastrophe 2014 feiert Reisser in diesem Jahr voller Stolz sein 150-jähriges Bestehen. Es ist das Lebenswerk von Helmut Reißer, der am Montag im Alter von 88 Jahren im engsten Familienkreis verstarb. Mit ihm verliert Böblingen eine Unternehmerpersönlichkeit, deren Wirken stets der Firma und ihren Mitarbeitern galt. Und das bis ins hohe Alter.

 

Ein Bild des Unternehmers hat sich besonders ins kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt. Es entstand im Juli 2014, rund sechs Wochen, nachdem das Reisser-Zentrallager am 11. Juni in der Hans-Klemm-Straße 21 einer verheerenden Brandkatastrophe zum Opfer fiel. Ein Brand, über den Feuerwehrleute hinterher sagten, er sei der größte in Böblingen seit dem Zweiten Weltkrieg gewesen. 450 Einsatzkräfte rangen stundenlang mit den Flammen, sogar die Stuttgarter Flughafenfeuerwehr rückte zur Unterstützung an. Mit Schläuchen musste der Lange See auf dem Flugfeld angepumpt werden, um Löschwasser herbeizuschaffen. Da die Leitungen nur über die Bahngleise gelegt werden konnten, stand der S-Bahnverkehr stundenlang still. Noch auf den Fildern war die Rauchsäule zu sehen.

Neuanfang mit 81 Jahren

In diesem Schicksalssommer stand Helmut Reißer vor der Brandruine seines Zentrallagers, in der sich verkohlte Dachstreben wie Spaghetti über das Gerippe der Stahlträger bogen, so heiß brannte das Feuer. Doch der Seniorchef ließ sich von der Katastrophe, der glücklicherweise niemand zum Opfer fiel, nicht entmutigen. Im Gegenteil: „Wir gehen davon aus, dass die Bagger in sechs bis acht Wochen die Ruine abgearbeitet haben. Und dann geht’s los mit der Planung“, sagte er damals unverzagt und immerhin schon im stolzen Alter von 81. Es waren die letzten Jahre seines Wirkens als Kapitän des zum Tanker angewachsenen Unternehmens. Man hätte ihm diese Katastrophe auf den letzten Metern gerne erspart. Aber er ließ sich von ihr nicht unterkriegen.

Getreu dem Motto seines Vaters Adolf Reißer „Wo ein Wille ist, ist ein Weg“ stellte er noch die Weichen für den Wiederaufbau. Dort, wo damals der Stahl schmolz, thront jetzt die schmucke Designausstellung des Großhändlers. Im Jahr 2019 ging nebenan das neue Logistikzentrum in Betrieb. Aktuell beschäftigt die Reisser AG rund 1850 Mitarbeiter an über 50 Standorten in ganz Süddeutschland. Sie beliefert mit ihrer Lastwagenflotte Installateure vom Bodensee bis nach Frankfurt und Rheinland-Pfalz. Die ist auf über 150 eigene Lastwagen angewachsen, bis zu 60 weitere Spediteure fahren täglich zusätzlich Ware aus.

Reißer führt Unternehmen mit Schwager

Das Herz der Firma aber schlägt nach wie vor auf der Hulb, wo sie seit 1970 residiert. Zuvor befand sich das 1896 von Adolf Reißer sen. gegründete Unternehmen im Böblinger Zentrum „Am Seebuckel“, wie es damals noch hieß. Der Umzug auf die Hulb machte Platz für den Neubau von Kreissparkasse und City-Center. Anno 1968 war Helmut Reißer in die Führung des Unternehmens aufgestiegen, gemeinsam mit seinem Schwager Klaus-Georg Hengstberger. Reißer übernahm die Sparte Bad und Sanitär, Hengstberger Druckrohr und Kanalisation. Zwar war sich das ungleiche Führungsduo nicht immer einig, sagen Weggefährten, doch dem Erfolg tat das keinen Abbruch.

Reißer führte den Betrieb zupackend und trieb auch die Fusion mit der Gustav Reisser KG in Stuttgart-Untertürkheim voran. 1971 verschmolzen die beiden Firmen zur Reisser GmbH & Co. KG, deren Geschäftsführer Reißer wurde. Dass der Firmen- und Markenname seit jeher mit Doppel-S geschrieben wird und nicht wie der Familienname mit scharfem ß, hat Marketinggründe: Das Doppel-S macht sich besser in der Werbung.

In Reißers Sparte Bad und Sanitär wuchs die Firma zum größten Großhändler Süddeutschlands an – mit schwäbischen Tugenden. Bei der Feier zum 140-Jahr Firmenjubiläum 2012 sagte der Senior zu seinem Erfolgsgeheimnis: „Zuerst einnehmen, dann ausgeben.“ Sparsamkeit und eiserne Disziplin steckten Reißer im Rückenmark.

Als Chef auch mal harte Entscheidungen getroffen

„Als Chef ist mein Schwiegervater sich immer selbst treu geblieben“, sagt Guntram Wildermuth-Reißer, der 2017 die Führung des mittlerweile zur AG umfirmierten Unternehmens in vierter Generation übernahm. „Er hatte immer eine klare Struktur, war geradlinig und manchmal auch hart“, sagt er. Doch bei seinen Mitarbeitern war der Senior überaus beliebt. „Er hatte immer Verständnis für sie und war treusorgend.“ Reißer führte das Unternehmen mit großem Weitblick, sagt Wildermuth-Reißer. „Sein Credo war: Wir müssen immer nach vorne schauen.“ Mit seiner mitreißenden Art und seinem Charisma band er die Mitarbeiter an sich. Viele sind dem Unternehmen auch in der Rente noch treu verbunden. Betriebszugehörigkeiten von 25, 40 oder sogar 50 Jahren sind keine Seltenheit. Der Senior toppte sie aber alle, trat er doch schon 1952 als Lehrling ein und arbeitete sage und schreibe 65 Jahre aktiv im Unternehmen. Wo blieb bei so viel Arbeit die Familie? Die Freizeit?

Als Ingrid und Helmut Reißer 2018 diamantene Hochzeit feiern, sagte sie: „Die Firma ist immer vorgegangen.“ Das galt indes für sie beide, Ingrid Reißer engagierte sich sozial und trug mit ihrer Herzlichkeit und Fürsorge viel zum Familiensinn im Unternehmen bei. Die Ehrungen für ihren Gatten sind also auch ihr Verdienst: Bundesverdienstkreuz, Wirtschaftsmedaillen und die Ehrenmedaille in Gold von seiner Heimatstadt Böblingen. Der er immer sehr verbunden war, wie Schwiegersohn Wildermuth-Reißer betont. Hier ging er auch seinem Hobby nach: der Jagd. „Er hatte ein Jagdrevier gepachtet draußen beim Zimmerschlag“, sagt Wildermuth-Reißer. Ab und zu genoss er die frühen Morgenstunden dort auf dem Hochsitz.

Reißer war ein Familienmensch

Seine Urlaube verbrachte er gerne am Bodensee, in seinem Domizil auf der Höri zwischen Stein am Rhein und Radolfzell. Dann war die Firma ausnahmsweise mal weit weg. Mit einem kleinen Motorboot schipperte er über die Wellen. Überhaupt sei Reißer privat ein Familienmensch gewesen. In seinem Haus auf der Waldburg verbrachte er gern Zeit mit seinen drei Enkeln. Eine davon, Jessica Reißer, tritt in seine Fußstapfen. Die 25-Jährige hat ihren Master in BWL absolviert und arbeitet bereits im Unternehmen. „Er war sehr froh, dass bereits die fünfte Generation herangewachsen ist und wir ein Familienunternehmen bleiben“, sagt Guntram Wildermuth-Reißer.

Bis zuletzt hat Helmut Reißer auf die Firma geblickt und sich immer wieder erkundigt, wie es um sein Lebenswerk steht.

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