Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schränkt im ARD-Talk die bundesweite Empörung über die verbalen Exzesse von Sylt etwas ein. Und sie wird von zwei Experten attackiert wegen der „Duldung“ radikaler Muslim-Vereine.

Gewalt gegen Politiker im Wahlkampf, ausländerfeindliche Parolen im Reichenmilieu auf Sylt, antisemitische Vorfälle an Deutschlands Universitäten: Wohin driftet unsere Republik? Hat Deutschland ein „Wutproblem“, nagen Hass und Gewalt an der Demokratie? Das waren Caren Miosgas Leitfragen am Sonntagabend in ihrer Talkrunde, zu der sie als Hauptgast Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eingeladen hatte.

 

Die Sendung kam erst im letzten Drittel so richtig in Schwung, als zwei Experten die Ministerin mit krassen Vorwürfen wegen der Duldung von extremen muslimischen Organisationen konfrontierten. Aber auch der Start war bisweilen spannend – und zwar wegen der leisen Zwischentöne, die Nancy Faeser in der Debatte über die „Champagner-Schnösel“ (Miosga) von Sylt setzte. Über jene jungen Leute, die in der Pony-Bar von Kampen mit ihren rassistischen Parolen bundesweit für Empörung sorgen.

Die dort gegrölten Parolen seien „zutiefst menschenverachtend und rassistisch“, sagte die Bundesinnenministerin und man müsse aufpassen, dass sich die Werte in unserer Demokratie nicht verschieben. Aber richtig überrascht worden sei sie von den Ausfällen auch nicht, denn es gebe schon seit Jahren Studien darüber, dass „rechtes Gedankengut“ tief in der Mitte der Gesellschaft verankert sei.

Aber wie Worten zu Taten werden, das erläuterte Faeser gleich darauf in einem Hinweis auf die „Zäsur“, die es mit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Jahr 2019, einem Menschenfreund, den sie persönlich gekannt hatte, für sie gegeben habe. Wie weit die rassistischen Vorfälle von Sylt aber schon Normalität sind, das erläuterte Caren Miosga mit einer Statistik, wonach es im vergangen Jahr 23 ähnliche Vorfälle gegeben haben soll, in Diskotheken oder bei Veranstaltungen in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein sowie nach einem Treffen der Jungliberalen in Bayern.

Ein „Laila“ für Rassisten?

Ob jetzt „Ausländer-Raus“-Gesänge zum „,Laila’ für Rassisten“ werde, fragte Caren Miosga und ob die Parole „Deutschland den Deutschen“ eigentlich strafbar sei. Die Bundesinnenministerin verneinte diese Fragen, aber es sei ein für viele Menschen „beleidigender Satz“ und die zitierten Parolen der Pony-Bar seien sicher „an der Grenze“ zur Strafbarkeit. Inwieweit die überschritten seien, das werde jetzt ermittelt. „Aber die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind elementar für unsere Demokratie. Wir müssen da als starke Gesellschaft auch was aushalten.“

Im übrigen sehe sie, dass „im Netz“ gerade eine Art Jagd gegen die vermutlich Tatbeteiligten begonnen habe, die mit Klarnamen und ihren Gesichtern gezeigt werden. Auch das erfülle sie mit Sorge. Es gehe nicht an, dass man von „einem Extrem ins nächste“ gerate und öffentlich Menschen an den Pranger stelle, es sei Sache der Strafverfolgungsbehörden, den Anzeigen nachzugehen. Auch die Pony-Bar-Besucher – so Faesers Botschaft – verfügen über Grundrechte.

Anwerbung von Islamisten in Neukölln

Nach einem kurzen Intermezzo zum Thema politische Gewalt in unserem Alltag – von 2014 bis 2023 ist die Zahl der Fälle von politischer Kriminalität in Deutschland um mehr als 83 Prozent auf 60.000 gestiegen, und Faeser setzte sich für eine rasche Strafverfolgung von Verdächtigen ein – nicht nur von Klimaklebern, „Wir dürfen da keine Unterschiede machen“, nach diesem Zwischenspiel ging es aber nochmals hart zur Sache.

Es ging um islamischer Verbände, die Gewalt verherrlichen und sowohl der „Süddeutsche-Zeitung“-Journalist Ronen Steinke als auch die Integrationsbeauftragte von Berlin-Neukölln, Güner Yasemin Balci, setzten sich vehement für ein Verbot der vom Verfassungsschutz „als gesichert extremistisch“ eingestuften Gruppe „Muslim aktiv“ ein, die kürzlich wegen ihres Rufes nach einem Kalifat für Aufsehen gesorgt hatten. Der letzte, der ein Kalifat gefordert habe, sei der „Islamische Staat“ (IS) gewesen. Dessen Leute hätten anderen die Kehle durchgeschnitten, Frauen vergewaltigt und versklavt. Ein Verbot von „Muslim aktiv“ sei längst überfällig.

Die deutschen Behörden übten sich seit Jahren in einer „Zurückhaltung“ beim Verbot von extremen Muslim-Vereinigungen, kritisierte Steinke, so habe es 2015 und 2019 Versammlungen von Hamas-Tarnvereinen gegeben, erst 2023 habe man mit Verboten reagiert. Für ein Betätigungsverbot sprach sich auch Güner Yasemin Balci aus, sie erhalte immer wieder Anrufe von besorgten muslimischen Eltern, weil „Muslim aktiv“ in Berlin-Neukölln auf der Straße oder bei Jugendtreffen junge Leute anzuwerben versuchten. In Neukölln gehe eine kleine Gruppe von Hamas-Sympathisanten immer wieder auf die Straße und rufe zur Gewalt auf. „Das ist eine Handvoll von Leuten, es sind immer dieselben.“ Aber auch bei den antisemitischen Vorfällen an der Berliner Humboldt-Universität habe sie allmählich den Eindruck, dass „eine Minderheit die Mehrheit in Schach hält“.

Es werde Angst erzeugt. Es sei eine „akademische Wohlstandsverwahrlosung“ im Gange, so Galci. Bei manchen Pro-Palästina-Fürsprechern sei man schon ein weißer Kolonialist, wenn man der Hamas das Existenzrecht abspreche. Die Meinungsfreiheit sei gefährdet, unsere freiheitliche Gesellschaft insofern bedroht. Ähnlich äußerte sich Ronen Steinke, der selbst Mitglied der jüdischen Gemeinde von Berlin ist. An der Humboldt-Universität habe eine lautstarke Gruppe das Regime übernommen, die Hamas-Dreiecke an Türen schmiere und gar keinen Dialog mehr wolle. „Die versetzen andere in Angst und Schrecken.“

Nancy Faeser zeigte sich „überrascht“ davon, wie sich beim Thema „Hass und Gewalt“ an den Universitäten die „Grenzen verschieben“. Was das Verbot von „Muslim aktiv“ sowie des andiskutierten Islamischen Zentrums in Hamburg – laut Verfassungsschutz ein Instrumentarium des Irans – anbelangte, bat Faeser um Geduld: „Wir reden nicht über Verbote, wir machen sie.“ So ein Schritt sei aber oft schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheine. Die Behörden prüften derzeit die Sachlage, aber auch hier gelte, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein hohes Gut sei.

Keine absolute Sicherheit bei EM

Ein Nebenaspekt der Sendung war ein Blick auf die Fußball-Europameisterschaft. Laut Bundeskriminalamt gibt es derzeit 483 Gefährder in Deutschland. Eine laut Faeser abstrakte und nicht konkrete Terrorwarnung von der islamischen Gruppe ISPK liegt schon vor. Die Sicherheit während der EM sei das Thema, das sie derzeit am meisten beschäftigte, so Faeser. Die Stadien würden sehr stark geschützt, aber es gebe nie eine „absolute Sicherheit“. In Neuss habe Polizeien aus mehreren Ländern ein Lagezentrum für die EM eingerichtet. Sie denke, dass die EM „ein schönes Ereignis“ werde und freue sich schon darauf: „Offene Demokratien müssen in der Lage sein, solche Großveranstaltungen durchzuführen.“