Das Team um Lahm und Schweinsteiger muss auch weiter auf den ersten Titel warten. Auch wenn sie einen hervorragenden Fußball gespielt haben, versagten ihnen im entscheidenden Moment die Nerven.

Warschau - Mit betrübtem Gesicht rollt Manni Drexler die Alukisten Richtung Mannschaftsbus, zum letzten Mal in seinem Leben. In den Ruhestand verabschiedet sich der Schuhwart der DFB-Auswahl, 27 Dienstjahre und 348 Länderspiele liegen hinter ihm. So lange ist Mario Gomez, der kurz nach Drexler aus der Kabine kommt, noch nicht dabei – aber auch der Stürmer weiß inzwischen, dass betrübte Mienen nach bedeutenden Spielen zur Grundausstattung eines jeden Teammitglieds gehören: „Ich spüre die Enttäuschung“, sagt Gomez, „jedes Mal, wenn wir knapp davor sind, wird es nichts.“

 

Auch weiterhin muss die DFB-Auswahl auf den ersten Titel seit 1996 warten. Als einer der großen Favoriten ist das Team in die EM gegangen; die Spieler fühlten sich reif, um Spanien zu schlagen. Während es nun die Italiener sind, die sich mit dem Titelverteidiger messen dürfen, sind die Deutschen gestern mit leeren Händen aus Warschau zurück nach Frankfurt geflogen.

„Wir haben trotzdem ein gutes, ein sehr gutes Turnier gespielt“, sagt Joachim Löw. Der Bundestrainer erinnert an die vier Siege in den vier ersten Turnierspielen und die zehn Siege in der EM-Qualifikation. „Wir hatten zwei hervorragende Jahre, die Mannschaft hat sich klasse entwickelt“, sagt Löw. Nur gegen die „unglaublich guten Italiener“ habe das Team verloren – „es gibt keinen Grund, irgendetwas anzuzweifeln“.

Die Nerven haben versagt

In der Tat spielt die DFB-Auswahl inzwischen schöneren, anspruchsvolleren Fußball als früher. Doch gehört zu den Unterschieden auch, dass das Personal keine Titel mehr gewinnt, so wie es frühere, technisch limitiertere Nationalspieler getan haben. Dieter Eilts oder Steffen Freund hießen die Mittelfeldakteure, mit denen Deutschland 1996 Europameister wurde.

Zumindest zwei weitere Jahre muss sich die vermeintlich goldene Generation um Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr auf dem höchsten internationalen Niveau in den entscheidenden Momenten die Nerven versagen. Mit dem FC Bayern München haben sie dieses Jahr das schon gewonnen geglaubte Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea verloren, genau wie vor zwei Jahren gegen Inter Mailand.

Aus dem Jahr 2001 datiert der letzte internationale Titelgewinn einer deutschen Fußballmannschaft. Im Elfmeterschießen gewann der FC Bayern damals die Champions League gegen Valencia – mit der Generation Oliver Kahn und Stefan Effenberg. Solange kein neuer Titel folgt, dürfen sie weiterhin unwidersprochen (und mit vermutlich klammheimlicher Freude) erklären, dass dem deutschen Fußball die Typen und die Siegermentalität fehlen.

Manuel Neuer zeigte vollen Einsatz

Im Halbfinale gegen Italien war von Lahm sehr wenig zu sehen; Schweinsteiger konnte sich im ganzen Turnier nur einmal in Szene setzen, im Gruppenspiel gegen Holland. Als Gewinner dieses Turniers darf sich der jederzeit furchtlose Sami Khedira fühlen oder auch der Torwart Manuel Neuer, der während der gesamten EM konstant gut hielt und am Ende mit dem Mute der Verzweiflung das Scheitern abzuwenden versuchte. Auch der Innenverteidiger Mats Hummels konnte sich profilieren, doch trübt es die Gesamtbilanz entscheidend, dass er sich im letzten Spiel düpieren ließ.

Als Teil des „normalen Entwicklungsprozesses“ wertet Joachim Löw das vorzeitige Ausscheiden und verweist mit Recht darauf, dass sein Team das jüngste im ganzen Turnier war: „Viele Spieler haben Erfahrungen gesammelt, von denen sie noch profitieren können.“ Die Entwicklung werde weiter vorangetrieben, es werde „weitere Möglichkeiten geben“, ein Turnier zu gewinnen. Allerdings: „Für Titel gibt es keine Garantien“, sagt Philipp Lahm. Kaum einer weiß das besser, als der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft.