Und doch muss man sagen: Das alles reicht nicht aus, um den Niedergang aufzuhalten – jährlich verliert Baden-Württemberg schätzungsweise 200 000 Bäume. Derzeit sind es noch etwa sieben Millionen. Was also müsste passieren, damit sich das Blatt noch wendet? Wie könnte ein großer Wurf aussehen?
Fragt man Experten, fällt fast immer ein Satz: Der Preis für einen Doppelzentner Obst sei viel zu niedrig – so lohne sich die aufwendige Arbeit auf dem Stückle nicht. Im vergangenen Jahr zahlten die Mostereien bundesweit im Schnitt 11,48 Euro für 100 Kilo Äpfel; waren die Wiesen bio-zertifiziert, lag der Preis bei 15,48 Euro. Das sind Zahlen aus dem Preisbarometer des Vereins Hochstamm Deutschland. Damit sich die Bewirtschaftung lohne, müssten es mindestens 25 Euro sein, argumentiert Markus Rösler, Nabu-Streuobstexperte und grüner Landtagsabgeordneter.
Der zu geringe Preis für das Obst ist das Hauptproblem
Manche Aufpreis-Initiativen bezahlen diesen Preis sogar. Doch von den 70 bis 100 Millionen Litern Apfelsaft, die jährlich in Baden-Württemberg gemostet werden, fallen nur fünf Millionen in diese Kategorie. Wer sein Obst in Mostereien zu Saft in Fünf-Liter-Kartons verarbeiten lässt, hat eigentlich auch einen ordentlichen Ertrag. Denn die Ersparnis gegenüber dem Ladenpreis beträgt vier bis sechs Euro pro Karton, auf den Doppelzentner hochgerechnet wären das 25 bis 40 Euro. Dennoch befeuert das die Nachfrage nur wenig.
Trotzdem betonen auch die Autoren der Studie „Streuobststrategie“ vom vergangenen Jahr, die das Agrarministerium in Auftrag gegeben hatte: „Das Kernproblem ist die zu geringe Wirtschaftlichkeit des Produktionssystems traditioneller Streuobstanbau“, heißt es dort vornehm akademisch.
Jetzt aber kommt der Haken: Ein direkter Zuschuss auf die abgegebenen Doppelzentner ist wegen des EU-Rechts nicht möglich, weil das Marktverzerrungen zur Folge hätte. Theoretisch bezahlbar wäre das Geld womöglich sogar. Bei einer durchschnittlichen bundesweiten Ernte von 5,5 Millionen Doppelzentnern in den vergangenen zehn Jahren wären das bei 15 Euro Förderung pro Doppelzentner 82,5 Millionen Euro pro Jahr in Deutschland. Baden-Württemberg, das traditionell ein Drittel bis die Hälfte des bundesweiten Obstes hervorbringt, müsste also 27 bis 41 Millionen Euro aufbringen.
Dass diese Summe nicht utopisch wäre, zeigt Bayern. Dort will der eher stramm konservative Ministerpräsident Markus Söder jährlich rund 50 Millionen Euro für die Streuobstwiesen ausgeben. Vor zwei Jahren, durchaus auf Druck der Naturschutzverbände im Rahmen des Bürgerbegehrens „Rettet die Bienen“, hat er einen Streuobstpakt geschlossen: Bis 2035 sollen bis zu 600 Millionen Euro in diese Kulturlandschaft investiert werden. So erhalten zum Beispiel Stücklesbesitzer junge Bäume im Wert von bis zu 45 Euro umsonst, neue Wiesen werden je nach ökologischer Qualität zusätzlich gefördert. Auf diese Weise will man eine Million neue Bäume pflanzen. „Das ist schon ein großer Schritt nach vorne“, sagt etwa Hannes Bürckmann von der Geschäftsstelle des Vereins Hochstamm Deutschland. Selbst der Grüne Rösler sagt etwas neidisch: „Davon kann sich auch Baden-Württemberg eine Scheibe abschneiden.“ Das Stuttgarter Agrarministerium will sich zum bayerischen Plan nicht äußern – es handle sich „um eine bundesweite Besonderheit“, heißt es nur.
Ein anderes Modell ist in der Schweiz zu besichtigen. Dort wird schon länger über den nationalen Obstverband ein Richtpreis festgelegt – Erzeuger und Vermarkter sitzen dazu zusammen in einem Gremium. In diesem Jahr liegt dieser garantierte Preis für konventionelles Mostobst bei 25 Schweizer Franken (knapp 26 Euro). Das entschärfe den Konflikt, sagt eine Mitarbeiterin des Schweizer Obstverbands; allerdings hätten sich die Produzenten dieses Jahr durchaus einen höheren Preis gewünscht. Doch wieder wäre eine solche Preisabsprache schwer mit EU-Recht zu vereinbaren.
Baumschnittprämie könnte auf 20 Euro steigen
Wie also dann fördern? In Baden-Württemberg erhalten Landwirte fünf Euro pro Baum fürs erschwerte „Drumrummähen“ (in Bayern sind es zwölf Euro), Privatleute können die erwähnte Baumschnittprämie beantragen. Markus Rösler betont, diese Prämie dürfe man nicht gering schätzen: Dadurch seien im vergangenen Jahr zehn Prozent des gesamten Bestandes gepflegt worden.
Die genannte Studie sollte nun zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung der Wiesen erarbeiten und hat dies auch getan, doch noch lässt das daraus folgende neue Streuobstkonzept der Landesregierung auf sich warten. Sie sei in der „finalen Abstimmung“, sagt Jonas Esterl, der Sprecher des Agrarministeriums. In der Studie wird zwar eine Erhöhung der Baumschnittprämie um fünf auf 20 Euro pro Baum vorgeschlagen, ansonsten geht es aber mehr um Vernetzung der Akteure oder um bessere Vermarktung und wenig um finanzielle Förderung.
Was genau im neuen Konzept drinsteht, darüber schweigt sich das Ministerium noch aus. Eine einzelne Maßnahme, so groß sie auch wäre, sei aber nicht ausreichend, betont Jonas Esterl. Einige Hoffnung setzt man auf ein Qualitätszeichen Streuobst, zudem müsse man möglichst viele Menschen ausbilden und begeistern.
Was aber könnte sonst helfen gegen den Schwund der Streuobstwiesen? Ein wichtiger Schritt war vor drei Jahren, übrigens ebenfalls durch den Druck eines Volksbegehrens, dass die grün-schwarze Landesregierung die Rodung der Wiesen verboten hat. Allerdings nur auf dem Papier – in der Wirklichkeit erteilten die Landratsämter munter Ausnahmegenehmigungen. Trotz eines weiteren Erlasses des Umweltministeriums und trotz einer gewonnenen Klage des Nabu gehe die Rodung leider weiter, sagt Caroline Wittor vom Nabu. Allein in diesem Jahr seien 34 Anträge von Kommunen zur Rodung eingereicht worden, insgesamt hat der Nabu rund 150 Fälle registriert. Es brauche den unbedingten Willen aller politischen Akteure, die Wiesen zu retten, so Wittor. Das Umweltministerium spricht dagegen von einem Rückgang der Fälle und glaubt, dass die Maßnahmen langsam greifen.
Klaus Schmieder von der Universität Hohenheim plädiert noch für einen weiteren Weg aus der Misere. Die kleinteilige Besitz- und Vermarktungsstruktur müsse aufgebrochen werden. Er stellt sich wie in der Weinbranche Genossenschaften vor, in denen alles von der Erzeugung bis zur Vermarktung in einer Hand liege. Dabei dürfe man aber nicht allein auf Apfelsaft setzen, weil die Konkurrenz aus Polen oder China übermächtig sei. Er träumt davon, Cidre aus dem Ländle berühmt zu machen. Ein Cidre-Boom könne dem Streuobst das Überleben sichern, so Schmieder.
Bessere Vermarktung mit Obstgenossenschaften
Im Kleinen gibt es solche Modelle bereits. Jörg Geiger aus Schlat ist das gelungen, indem er aus Äpfeln und Birnen Schaumwein macht, der heute als edle Alternative zum Weinsekt gilt. Er zahlt deshalb den Obstlieferanten dieses Jahr 25 Euro, für die Champagnerbratbirne sogar 58 Euro pro Doppelzentner. Die „Obstivisten“ in Ravensburg versuchen etwas Ähnliches. Mehrere Biohöfe, darunter auch der Rösslerhof von Gedeon Güldenberg, liefern ihr Obst an eine Bio-Essigmanufaktur ab. Der Apfelbalsamico kommt bei der Kundschaft gut an. Güldenberg konnte deshalb zu seinen 250 Bäumen weitere 100 pflanzen, und er will weiter expandieren.
Auch Markus Rösler sieht darin eine Chance. Der Nabu - Experte schaut nicht nur neidisch nach Bayern, sondern auch ins österreichische Mostviertel. Dort habe man es geschafft, um den Most herum einen Kult aufzubauen und in eine touristische Infrastruktur einzubetten. Mit Mostbaronen, Mostsommeliers und Jahrgangscuvées habe man den vergorenen Apfelsaft zu einem begehrten Produkt gemacht. Im Ländle dagegen rümpfen bei Most die meisten die Nase.
Es gibt also Lösungen, und die Idee von Streuobstregionen, die die Landesstudie entwickelt hat, geht in diese Richtung größerer Zusammenschlüsse. Aber es müsse sich schnell etwas tun, sagt Klaus Schmieder: „Der Klimawandel mit Trockenheit, Mistelbefall und Ausbreitung des tödlichen Schwarzen Rindenbrands könnte sonst alle noch so großen Bemühungen ins Leere laufen lassen.“