Ein Landtagsabgeordneter der Grünen will Hirten loben. Die Gelobten schimpfen über den Gesetzesdschungel und Regulierungswut.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Grafenau - Das Verhältnis Ziege zu Mensch ist recht genau eins zu eins. Hinter dem Zaun meckert das Vieh, 30 Ziegen. Vor dem Zaun schimpft ihr Hirte Karlheinz Krüger über Bürokratie, anmaßende Amtmänner, unsinnige EU-Erlasse. Gemeinderäte hören ihm zu, Landwirte, die Gescholtenen aus diversen Behörden. An ihrer Spitze steht gleichsam Andre Baumann als jüngst ins Amt gesetzter Staatssekretär im Umweltministerium. Er freue sich, dass rege diskutiert werde, sagt er. Allerdings wird auch rege gestritten.

 

Eingeladen hat der Grünen-Landtagsabgeordnete Bernd Murschel. Er wollte auf einer Wiese am Rand von Grafenau vorbildliche Landwirtschaft loben, nebenbei auch die inzwischen grün-schwarze Politik. Der Umweltschutz sei auch der neuen Koalition eines der wichtigsten Ziele, sagt er. Näheres ist nachzulesen im „Gesetz zur Neuordnung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege“. Das ist so sperrig, wie es klingt, aber es soll „Umweltschutz und Landschaftspflege in Einklang bringen“, sagt Murschel. Und genau darum geht es ihm heute.

Die Ziegen ahnen gewiss nichts von ihrer Bedeutung

Die Ziegen ahnen gewiss nichts von der Bedeutung dessen, was sie fressen, manche der Menschen wohl auch nicht. Sie stehen auf einer Wacholderwiese. Deren Entstehung „geht zurück bis in die Bronzezeit“, sagt Baumann, „ihre Erhaltung ist eine internationale Verpflichtung“. Just zu diesem Thema hat der Staatssekretär seine Doktorarbeit verfasst. Ihn muss niemand überzeugen von der Wichtigkeit dessen, was Karlheinz Krüger und seine Frau Sabine leisten. Im Gegenteil: Er erklärt, warum es ohne Ziegen und Schafe solche Wiesen nicht mehr gäbe. Sie würden alsbald überwuchert von dem Wald, der sie säumt.

Die Hirten messen wohlwollende Worte an Taten

Die Krügers messen die wohlwollenden Worte an Taten. Der Tierschutz verbietet, dass ihre Ziegen hungern. Der Landschaftsschutz gebietet, wie viel Gras sie von den Weiden zupfen dürfen. Findet das Vieh nichts zu fressen, was ihm schmeckt, büxt es aus. Dann rückt die Polizei an und die Krügers zahlen 300 Euro je Einsatzstunde. Das Regierungspräsidium hat auferlegt, Herden nahe Straßen nicht mehr mit flexiblem Elektrozaun zu sichern, sondern mit festem Drahtgeflecht. Diese Wiesen fallen weg. Die Kosten könnte der Betrieb nicht erwirtschaften. Auch drunten an der Bahnlinie ist Weideland entzogen worden. Zwar fährt dort keine Bahn mehr, es soll aber wieder eine fahren. Die Fressleistung der Ziegen wird amtlich bewertet. Die Krügers haben gegen Richtlinien verstoßen. Womöglich droht eine fünfstellige Strafe. „Das wäre unser Ruin“, sagt Krüger. Ohnehin „zahlen wir alle drauf“. Gemeint sind alle Nebenerwerbs-Hirten.

Es wäre nicht der persönliche Ruin, nur der des Betriebs. Die Krügers haben Hauptberufe. Die Ziegen halten sie aus Überzeugung, eben des Naturschutzes wegen. „Die Frage ist“, so sagt es Grafenaus Bürgermeister Martin Thüringer: „Wer tut das, wenn die Krügers es nicht mehr tun?“